Durch die Nacht mit …
„Une nuit“ von Alex Lutz; mit Alex Lutz, Karin Viard; zu sehen im Ciné Utopia
Obwohl der Schauspieler und Regisseur Alex Lutz hierzulande nicht weiter ein Begriff zu sein scheint, ist er von der französischen Bildfläche nicht mehr wegzudenken. Vom Theater zum Stand-up und dem Komödiantischen à l’esprit Canal wechselt Alex Lutz heute problemlos zwischen Positionen vor und hinter der Kamera. 2018 inszenierte er mit dem Mockumentary Guy ein berührendes Porträt einer alternden Generation des französischen Chansons. Und dann kam seine Rolle als abgefuckter Junkiesohn in „Vortex“, in dem Gaspar Noé nicht nur seine Erscheinung des leicht kaputten Schönlings mit blonden Haarlocken ausschlachtete. Und sein neuer 90-Minüter „Une nuit“ hat ihm einen Slot im diesjährigen „Un Certain Regard“-Wettbewerb in Cannes eingebracht.
Der Filmtitel ist Programm. Boy meets girl. Eher: Frau knallt in Mann beim Einstieg in die Pariser Metro. Der erste verbale Austausch ist mehr als angespannt. Die beiden – Aymeric und Nathalie, wie sich später herausstellen wird – liefern sich ein lautes Wortgefecht, welches nicht nur Mitreisende zum Schmunzeln bringt. Denn gleich ist klar, dass hier nur viel Rauch der Dramatik willens produziert wird. Weil wenige Augenblicke später treffen wir die beiden in einem Fotoautomaten wieder. Eng umschlungen und die Hosen heruntergezogen beim spontanen Sex in aller Öffentlichkeit. Nach diesen beiden Einführungen wollen sie sich schon verabschieden, doch ehe sich Nathalie schnell aus dem Staub machen kann, sucht Aymeric das Gespräch. Und es dauert nicht lange, ehe die beiden Paris bei Nacht durchqueren, Gespräche führen und verschiedene Begegnungen machen.
Lutz und Viard haben den Filmdreh nicht nur in 14 Tagen – und vor allem 14 Nächten absolviert –, sondern haben auch das Drehbuch zusammen zu Papier gebracht und den Spielfilm mitproduziert. Eine organische, Disziplin-übergreifende Zusammenarbeit, die auf das Endresultat abfärbte. Denn ein Film wie dieser steht und fällt mit dem zentralen Binom auf der Leinwand. Das war schon bei Richard Linklaters „Before“-Filmen so. Den Filmen also, in denen Julie Delpy und Ethan Hawke lange Spaziergänge durch Europa machten und über Gott, die Welt und die Liebe redeten. „Une nuit“ von Lutz hat das Setting von „Before Sunset – Paris -“, aber die vom Leben abgebrühten Figuren von „Before Midnight“, dem dritten Teil der Serie. Von den Spielern einmal abgesehen, unterscheidet Linklater und Lutz jedoch etwas ganz Maßgebliches. Nicht zum Vorteil des Franzosen. Karin Viards sehr explosive Darbietung zu Filmbeginn ist nicht die einzige, die einem Auftritt auf einer Theaterbühne gleichkommt. Wo Linklater mit seinem Casting einen einzigen erzählerischen Fluss entwickelt, mit dem das Publikum mitschwimmt, gibt es bei „Une nuit“ eine Vielzahl von Auftritten – sei es nun in der Metro, beim Crashen einer Party, beim Besuch in einem Echangistenclub – die ebendiesen Fluss unterbrechen. Und plötzlich findet man sich formell in einem Theaterstück wieder, welches in ganz klare Kapitel eingeteilt ist. Irgendwann besuchen die beiden sogar eine spätabendliche Vorstellung einer Amateurtheatertruppe. Diese auf den ersten Blick unsichtbare Regel wirkt sich auf die gewünschte Leichtigkeit des Films aus und auch Alex Lutzs freies Spiel bekommt so manchmal mühsame theatrale Risse. Karin Viard, die aus dieser hauchdünnen Grenze zwischen Natürlichkeit, Unbeholfenheit und Theatralik ihr Markenzeichen gemacht hat, fängt ihren Partner immer wieder auf. Stichwort: China-Restaurant. Und macht nebenher sogar das Filmende erträglich, das mit einer dramaturgischen Kehrtwende auflauert, die Richard Linklater nicht gutheißen würde.
Wenn Hypnose mit Tiefschlaf verwechselt wird
„Hypnotic“ von Robert Rodriguez; mit Ben Affleck; im Kinepolis Kirchberg
Man kann dem unverwüstlichen Handwerker Hollywoods, Robert Rodriguez, nicht böse sein. Seine Experimentierfreude hat ihm zwar nicht ansatzweise den Status eines James Cameron oder Robert Zemeckis eingefahren, aber der frühe Weggefährte Tarantinos macht stur sein Ding. Mit Ben Affleck im Gepäck lockte es ihn nun wieder ins Kino. Nur, hypnotisierend ist an diesem Film herzlich wenig.
Ein durch und durch gelangweilter Affleck spielt einen Bullen, der sich einem „hypnotic“ gegenübergestellt sieht, der für seine kriminellen Zwecke die Wahrnehmung und Realität zu manipulieren weiß. Nichts spricht gegen mittelbudgetierte amerikanische Genrefilme. Aber „Hypnotic“ ist im schlechtesten Sinne aus der Zeit gefallen. Die große Zeit der Mindgame-Filme endete mit „Inception“ … vor nunmehr 13 Jahren. Das Drehbuch wirkt wie eines von einem Christopher Nolan nachäffenden Filmbro, der rein gar nichts verstanden hat. Auch B-Filme sollen mit Gusto gemacht sein, sonst fühlen sich 90 Minuten wie eine Ewigkeit an.
Ist Blutsaugen eigentlich bio?
„The Last Voyage of Demeter“ von André Øvredal; mit Corey Hawkins, Aisling Franciosi, Liam Cunningham, David Dastmalchian; im Kinepolis Kirchberg & Cinextdoor
Auf einem klitzekleinen Teil aus Bram Stokers Dracula-Roman basierend, liefert der norwegische Regisseur André Øvredal („Troll Hunter“, 2010) einen polierten, leicht dreckigen, wenn auch überlangen Horrorfilm ab. Erzählt wird die Geschichte der Mannschaft des Schiffes Demeter, die aus den Karpaten nach London zu segeln gedenken. Mit einer Fracht, die ihr eventuell einen schönen Goldbonus einbringt. Doch die Fracht erwacht nach Sonnenuntergang und hat Hunger.
„Alien“ auf einem Schiff. Wieso eigentlich nicht? Das Drehbuch weiß sich darüber hinaus nicht sonderlich viel zu helfen. Jede Nacht werden ein bis zwei Seemänner gemeuchelt und die Crew versucht vergebens, Dracula bei Tage auf dem Schiff zu finden. Regisseur Øvredal gelingt es immerhin, mit düster stimmiger Atmosphäre vieles wettzumachen. Klaustrophobisch ja, spannend weniger, aber im Gegensatz zu „Hypnotic“ (der übrigens 20 Millionen Dollar mehr kostete!) kommt Langweile erst viel später, wenn überhaupt, auf.
Viele Flügelschläge für nichts
„Il colibrì“ von Francesca Archibugi; mit Pierfrancesco Favino, Bérénico Bejo; im Ciné Utopia
Der titelgebende Kolibri ist der Vogel, der einen großen Teil seiner Lebensenergie dafür aufbraucht, auf der gleichen Stelle in der Luft zu bleiben. Mit dieser überraschend schweren Allegorie wird das Leben von Marco Carrera versinnbildlicht. Ein gutbürgerlicher Italiener, dessen Leben über sechs Jahrzehnte im Mittelpunkt dieses Melodramas steht. Ein Leben voller Rückschläge, Verluste und verpasster Chancen, aber auch geprägt von Liebe, einer großen Familie und Glück.
Die Verfilmung des in über 20 Sprachen übersetzten Bestsellers des italienischen Autors Sandro Veronesi tappt in die gleiche Falle wie so viele andere Literaturadaptionen. Das formelle Gerüst eines 400 Seiten langen Romans funktioniert nur selten in Filmform. Die permanenten Zeitsprünge, die die nicht-lineare Lebensgeschichte erzählen sollen – und so eins zu eins aus dem Buch übernommen wurden -, verhindern auf ganzer Länge, dass beim Zuschauer auch nur eine einzige Andeutung einer Emotion ankommen könnte. Ein Melodrama ohne Emotionen ist so nutzlos wie ein Kolibri ohne Flügel. Und dabei geben Favino, Bejo und sogar Nanni Moretti alles. Alles ist auf dem Papier vorhanden, der Film jedoch zerfällt zu einer belanglosen Telenovela.
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