Nathan „Nate“ Waymaker ist ein Ex-Marine und Ex-Polizist. Wesentlicher dürfte vielleicht sein, dass er der Sohn einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters ist. Er gehört also zu gleichen Teilen dazu, wie er außen vor bleibt bei dem ganzen entsetzlichen rassistischen Gemengelage, das im Bundesstaat Virginia wie in den Südstaaten allgemein und den USA insgesamt seit Generationen herrscht. An einer Stelle wird Nate als „alter Teddybär“ beschrieben, wir könnten ihn aber auch als eine Art desillusionierten Robin Hood ansehen, der mit seinem furchteinflößendem Freund Skunk loszieht, um für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Zumal sich das zuständige „Queen County Sheriff’s Department (…) käuflich und mitunter völlig unfähig“ zeigt. So etwa, als Nates Eltern von einem gewissen Steven Vandekellum im Auto von der Straße abgedrängt und umgebracht wurden, wofür er dank bestechlicher Polizisten keinen Tag im Gefängnis saß. Damals hängte Nathan Wambacher seinen Job als Cop an den Nagel und nahm bei seinem Onkel Walt eine Tätigkeit in dessen Beerdigungsinstitut auf. Eine Anstellung mit Zukunft, denn gestorben wird immer! Seitdem lebt er in einem kleinen Kabuff hinter dem Geschäft. Alles zurück auf Los, könnte man meinen, bei so einer Vita …
Auf die ganz harte Tour
Dann wird Reverend Watkins tot in seinem Haus aufgefunden. Die Polizei geht von Selbstmord aus. Aber Gemeindemitglieder fühlen, dass etwas an Watkins Ableben falsch ist und bitten Nate, Fragen zu stellen, die behördlicherseits wohl eher vermieden werden. Und der Ex-Cop konstatiert: „Narren und Mücken. An diesem Tag war ich eines von beiden. Ich geb Ihnen einen Tipp: Ich hab keine Flügel.“ Wie lebt es sich so als Mücke ohne Flügel? Der betont nachlässig angelegte Schreibstil des Autors befördert solche Scherze, ansonsten bemüht sich Cosby, möglichst hart und cool seinen Protagonisten und dessen von Brutalität gezeichnetes Leben darzustellen. Manchmal greift er etwas tiefer in die Trickkiste, wird ernsthafter, in Sätzen wie folgendem: „Ich glaube, nichts symbolisiert die beschädigte amerikanische Psyche besser als ein armes weißes Kind, das über ein armes schwarzes Kind herzieht, weil es arm ist.“ Nachdem Nate den Auftrag angenommen hat, die eigentliche Todesursache des Predigers herauszufinden, beginnen sich die Ereignisse zu Problemen zusammenzuballen, auf deren Höhe der Ex-Cop über haufenweise Tote und Unmengen Blut stolpert, das sich wie Sprühregen über die Umgebung verbreitet.
Keine Frage, Cosbys Roman ist gut. Hart und gut. Abzüglich Handy und Internetkriminalität wirkt „My Darkest Prayer“ aber, als wäre er in den 1970er-Jahren geschrieben worden. Die gleichen Hinterwäldler, die gleiche Bigotterie, das gleiche hierarchische Verhältnis zwischen Mann und Frau. Was nicht heißt, dass Cosbys Story altmodisch wäre. Vielmehr hat man den Eindruck, dass der kaum verdeckte Rassismus als Grundstruktur der US-amerikanischen Gesellschaft das Kontinuum von Stillstand über 50 Jahre hinweg ermöglicht. Die schiere Unveränderlichkeit der Verhältnisse drückt sich auch in Nates Lebensmaxime aus, die da lautet: „Sicherheit ist eine Illusion. Es gibt keine Sicherheit. Nur Auszeiten zwischen Tragödien.“
Im Übrigen ist Cosbys eingangs geäußerte Hoffnung auf den Schatten eines Schriftstellers, der in „My Darkest Prayer“ erkennbar sein könnte, pure Koketterie! Denn der Autor weiß ganz genau um seine Mittel und wie er sie einsetzt.
Infos
„My Darkest Prayer“
S.A. Cosby
Von Jürgen Bürger aus dem Englischen übersetzt
Verlag Ars Vivendi, Cadolzburg 2023
279 S., 24,00 Euro
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