In Polen hat am Wochenende endlich der heiße Wahlkampf vor den Parlamentswahlen begonnen. Normalerweise würde man bis zum Ende der Schulferien in zehnTagen warten, aber die Regierungsmannschaft von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski hat den Umfragen zuliebe den Wahltermin maximal vorgezogen.
Je später die Wahlen stattfinden, desto eher droht die populistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ nach immerhin acht Regierungsjahren die Mehrheit im Sejm, dem Parlament, zu verlieren. Nichts fürchtet Kaczynski mehr, denn seine „konservative Revolution“ ist noch nicht vollendet. Dazu hat die Opposition Prozesse wegen Verfassungsbruchs angekündigt. Diese können indes nur beginnen, wenn die Liberalen und Linken am 15. Oktober die Parlamentswahlen gewinnen.
Der Wahlkampf wird schmutzig sein, das zeigten bereits die vergangenen sechs Ferienwochen. Dabei wird der Krieg im Nachbarland Ukraine eine große Rolle spielen, wenn auch vor allem indirekt. So hat in Polen die Inflation nach der russischen Invasion in der Ukraine noch einmal massiv zugelegt. Erwartet werden aber vor allem Behauptungen, dieser oder jener Politiker sei de facto ein Agent des Kreml oder zumindest ein Putin-Freund.
Diese letzte, in Polen echt ziemlich absurd klingende Etikette, hat PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski Erzfeind Donald Tusk gegeben. Der liberale ex-Premier (2007-2015) und Ex-EU-Ratsvorsitzende hatte das Pech, zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs Wladimir Putin in Danzig als Staatsgast begrüßen zu müssen. Die Zeichen standen damals auf einer Entspannungspolitik mit Russland, einem sogenannten Reset, das man nach dem russischen Einmarsch und Teilrückzug aus Georgien 2008 wagen wollte. Barack Obama versuchte es in den USA, Angela Merkel in Deutschland und eben auch Donald Tusk in Polen. Berühmt geworden ist ein Flüstergespräch der beiden, womöglich gar auf Deutsch, bei Danzig unmittelbar nach dem Weltkriegsgedenken.
Kaczynski und die Verschwörung
Aus diesen Fernsehbildern leiten Kaczynski und seine treuesten Anhänger seitdem eine angebliche Verschwörung zwischen Tusk und Putin ab, deren Opfer am 10. April 2010 Staatspräsident Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder des PiS-Chefs, bei einem als Unglück getarnten Attentat auf das Präsidentenflugzeug unweit der westrussischen Stadt Smolensk geworden sei. Ein weiterer „Beweis“ dafür, dass Tusk die Politik eines von Berlin darin angeleiteten Putin-Freundes à la Gerhard Schröder und später auch Angela Merkel betrieben habe, ist auch ein Gasdeal mit Moskau unter der Regierung Tusk.
Um dies alles publikumswirksam noch vor den Parlamentswahlen im Herbst aufzuarbeiten, hatte PiS im Mai ein „Gesetz über die Berufung einer Sonderkommission zur Aufarbeitung russischen Einflusses in Polen 2007-2022“ durchs Parlament gepeitscht. Ziel dieser Sonderkommission mit Staatsanwalt-Kompetenzen sollte es sein, „Schuldige“ mit hohen Bußen zu bestrafen und sie für zehn Jahre mit dem Verbot jeglicher Staatsämter aus dem politischen Verkehr zu ziehen. Die Opposition taufte das umstrittene Gesetz deshalb schnell „Lex Tusk“, denn es schien alleine geschaffen, Tusk politisch noch vor den Wahlen kaltzustellen.
Inzwischen hat PiS sich selbst sehr viel Sand ins eigene Gesetzeswerk gestreut. Eine erste Sonderkommission „Russland-Gesetz“ wurde Ende Mai eingesetzt, doch dann sofort wieder von dem PiS-nahen Staatspräsidenten Andrzej Duda überarbeitet. Dudas Version trat schließlich Anfang August in Kraft, doch unter anderem wegen der Feriensaison wurde immer noch keine Sonderkommission „Russland“ berufen. Am Sonntag nun sagte selbst PiS-Chef Kaczynski auf einem Erntedankfest, es sei noch nicht ganz klar, ob die Kommission noch vor den Wahlen ihre Arbeit aufnehmen könne. „Ich will hoffen, dass es so kommt“, gab sich Polens starker Mann erstaunlich unsicher.
So kommt es nun, dass die von PiS so sehr gewollte „Sonderkommission Russland“ knapp vier Wochen vor ihrem ersten, bereits angekündigten Bericht, der Tusk auch quasi-staatsanwaltlich als „russischen Einfluss-Agenten“ diffamieren sollte, noch nicht einmal berufen ist. „Lex Tusk ist kläglich gescheitert, am 15. Oktober scheitert auch seine PiS“, frohlockte am Montag die Opposition. Laut Umfragen kommt es indes in zwei Monaten eher zu einem harten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Regierungs- und Oppositionslager.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können