Auch wenn die Vereinigten Staaten ein starkes Interesse an der Zukunft der Ukraine haben – wie die massive Wirtschafts- und Militärhilfe für das Land zeigt – gibt es mehrere Gründe, warum Europa die Führung bei der Koordinierung und Finanzierung des Wiederaufbaus nach dem Krieg übernehmen muss.
Erstens sind Europas Interessen enger mit jenen der Ukraine verknüpft. Die USA haben zwar enorm vom Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 profitiert, doch den weit höheren Nutzen daraus haben die europäischen Länder gezogen. Auch hätte Europa im Falle einer Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg mehr zu verlieren, von der sich abzeichnenden Bedrohung einer nuklearen Eskalation ganz zu schweigen.
Zweitens muss sich Europa über eines im Klaren sein: Selbst wenn die militärische Unterstützung der USA für Europa und die Ukraine nach den Präsidentschaftswahlen 2024 intakt bleiben sollte – ein großes Fragezeichen angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA – wird die Begeisterung der US-Bevölkerung für eine langfristige finanzielle Unterstützung ungeachtet des Wahlergebnisses wahrscheinlich nachlassen. Sowohl Demokraten als auch Republikaner nehmen zunehmend populistische Positionen ein, und die Populisten von heute konzentrieren sich hauptsächlich auf innenpolitische Themen und kümmern sich kaum um den Rest der Welt.
Drittens hat die Europäische Union der Ukraine bereits den Status eines Beitrittskandidaten eingeräumt und damit anerkannt, dass das Land ein integraler Bestandteil Europas ist und Teil der Union sein sollte. Da die Ukraine höchstwahrscheinlich umfangreiche fachliche Unterstützung benötigen wird, um ihre Governance-Standards zu verbessern und die Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen, muss die EU alles in ihrer Macht Stehende tun, um diesen Prozess voranzutreiben.
Trittbrettfahrer bei der Verteidigung
Außerdem sind die europäischen Länder seit Jahrzehnten Trittbrettfahrer im Hinblick auf amerikanische Militärausgaben. Als Anteil am BIP geben die USA derzeit doppelt so viel für die nationale Verteidigung aus wie die EU-Mitgliedstaaten. Könnten die USA ihren Militärhaushalt auf europäisches Niveau absenken, würden sie jährlich rund 400 Milliarden Dollar einsparen. Umgekehrt müsste Europa mindestens 300 Milliarden Dollar pro Jahr mehr ausgeben, wenn es seine Ausgaben auf das Niveau der USA anheben würde. Das wäre ohne Weiteres ausreichend, um den Wiederaufbau der Ukraine und vieles mehr zu finanzieren. Dieser Betrag würde den Anteil der EU am Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg mehr als abdecken.
Freilich kann man nur mutmaßen, ob der russische Präsident Wladimir Putin im Falle eines vorherigen Ausbaus europäischer Verteidigungskapazitäten von einem Angriff auf die Ukraine abgesehen hätte. Ein Bericht der französischen Nationalversammlung vom Februar, demzufolge Frankreich im Falle eines massiven bewaffneten Konflikts seine vorhandene Munition innerhalb weniger Wochen aufgebraucht hätte, vermittelt jedoch wenig Vertrauen in die militärische Bereitschaft der Länder Europas. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zwar Schritte zur Aufstockung der Verteidigungsausgaben unternommen, doch diese Maßnahmen zielen lediglich darauf ab, die NATO-Schwelle von 2 Prozent des BIP zu erreichen.
Warum gibt Europa so viel weniger für seine eigene Verteidigung aus als die USA? In ihrer fulminanten Arbeit „An Economic Theory of Alliances“ aus dem Jahr 1966 argumentieren die beiden Ökonomen Mancur Olson und Richard Zeckhauser, dass größere Länder oftmals einen unverhältnismäßig hohen Anteil an den Kosten für Maßnahmen tragen, die dem gemeinsamen Wohl dienen. Die mickrigen Beiträge kleinerer NATO-Mitglieder sind ein typisches Beispiel dafür. Ein Land wie Kanada gibt beispielsweise nur 1,3 Prozent des BIP für Verteidigung aus, weil man ja weiß, dass die USA einen Großteil der Last schultern. Deswegen präsentieren sich auch Schwankungen im bescheidenen Verteidigungshaushalt Kanadas relativ unerheblich.
Ein kostspieliges Unterfangen
Die erwähnte Theorie ist keineswegs makellos: Wie die beispiellosen Waldbrände dieses Sommers gezeigt haben, will die kanadische Regierung auch für die Bekämpfung von Waldbränden nicht allzu viel aufwenden. Sehr wohl jedoch gibt diese Theorie Aufschluss darüber, warum die USA am Ende oft für die Verteidigungsbedürfnisse anderer Länder aufkommen.
Aus einem kürzlich erschienenen Bericht des Kiel Institut für Weltwirtschaft geht klar hervor, wie gering der Beitrag einiger europäischer Länder wie Frankreich, Italien und Spanien zu den Kriegsanstrengungen in der Ukraine ausfiel. Zwar hat die EU kürzlich zugesagt, der Ukraine bis 2027 zusätzliche 50 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, doch wird nur ein Drittel dieser Summe als direkte Zuschüsse gewährt. Der Rest kommt in Form von Darlehen, die die Ukraine höchstwahrscheinlich nicht zurückzahlen können wird.
Zweifellos präsentiert sich der Wiederaufbau der Ukraine als gewaltiges, kostspieliges Unterfangen, dessen Erfolg von vielen Faktoren abhängen wird, darunter auch vom Engagement der Ukraine selbst, die notwendigen Wirtschaftsreformen durchzuführen. Doch die europäischen Länder müssen ihrer historischen Verantwortung nachkommen und bei diesen Anstrengungen vorangehen, selbst wenn dies in Zukunft höhere Schulden und ein langsameres Wachstum ihrer Volkswirtschaften bedeutet.
* Kenneth Rogoff ist ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds und Professor für Ökonomie und Public Policy an der Universität Harvard
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
© Project Syndicate 1995-2023
Europa muss gar nichts.
Leuten die in jedem satz mit dem "muss" kommen sollte man mit misstrauen begegnen...genau so wie das mantra dass die ukraine den krieg gewinnen muss.
Ausser sterben muss man bekanntlich gar nichts...vielleicht noch steuern zahlen aber da druecken sich ja auch manche drum herum.
@ awall Vollkomme richteg. Wëll, obschon den Här Selenskij behaapt géint d'Korruptioun an der Ukraine firzegoen, ass se nach ëmmer do. Als lescht Beispill: d'Entloossen vun Wehrersatzämter-Cheffen déi sech bestiechen geloss hun vu Männer a Fraen déi sollten un d'Front. Aner Männer a Fraen brauchen iwregens guer nëtt un d'Front, wéi sougenannte Studenten (Kanner vun de Superräichen) oder och Fussballspiller.
D'Ukraine ass weder en EU Land nach e NATO Partner. Europa huet also glât a guer kéng Verpflichtungen v.à.v vun hinnen. Bis elo si Milliarden gefloss, kee wees wou se geland sin, an als Kiischt um Kuch (wéi de Bausch seet) solle mer och nach dât erëm opbauen wât d'Russen a si selwer zerstéiert hun. Do sin der dach déi net richteg ticken och wa se sech Doktor a Professer nennen därfen.
@ Romain : Leider ass daat net d'Richtlinn vun eisen Politiker !
Europa muss sich da überhaupt nicht ruinieren! Die zerstörten Gebiete sollten nicht wieder aufgebaut werden und eine unbewohnte Grenze zwischen West und Ost bilden!
Erst mal abwarten wenn der Krieg vorbei ist. In Europa (auch Luxemburg) werden dann genug Schäden vorhanden sein die selber mal repariert werden müssen