Herr Bartsch, Ihre Co-Vorsitzende an der Fraktionsspitze, Amira Mohamed Ali, hat überraschend ihren Rücktritt von ihrem Amt angekündigt – aus politischen Gründen. Steht die Parteispitze gegen Teile der Bundestagsfraktion?
Dietmar Bartsch: Der Schritt war für mich nicht überraschend. Wir werden die Aufgaben, die uns die Wähler zugewiesen haben, die soziale Opposition zu sein, in großer Entschlossenheit wahrnehmen, wie wir das als Bundestagsfraktion auch bisher getan haben.
Die Linke liegt bei aktuell vier Prozent, die AfD bei 22 Prozent. Was haben Sie falsch gemacht?
Die permanente Fixierung der gesamten Öffentlichkeit auf die AfD ist falsch und hilft auch der Linken nicht weiter. Wir müssen wieder unseren Wählerauftrag annehmen: die linke Opposition gegen die teilweise chaotische Politik der Ampel-Koalition zu sein. Ja, die Linke hat sicher auch eigene Fehler gemacht, aber wir bewegen uns jetzt wieder aus dem Tal heraus.
Welche eigenen Fehler?
Wir haben zu lange zu viel innere Probleme nach außen gekehrt. Es gilt die alte Regel: Eine Partei, die sich streitet, wird nicht gewählt. Das haben wir zu spüren bekommen. Wir müssen Politik zum Wohle der Menschen machen. Politik, Politik und nochmals Politik.
Warum ist die Linke im Osten keine Volkspartei mehr?
Wir sind nach Übernahme von Regierungsverantwortung in einigen Ländern wie auch in Kommunen nicht mehr die allererste Adresse für Protest gegen Berlin und Brüssel. Wir haben die Verankerung im Osten, die uns ausgezeichnet hat, teilweise verloren. Aber: Wir waren schon zwei Mal totgesagt, 1990 und nochmals 2002. So wie damals müssen wir uns durch harte Arbeit wieder aus dem Tief arbeiten.
Mit Sahra Wagenknecht?
Das muss Sahra Wagenknecht für sich entscheiden. Sie hat bereits deutlich gesagt, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht wieder für die Linke antreten will.
Die AfD wird in keinem ostdeutschen Bundesland Regierungsverantwortung übernehmen
Im kommenden Jahr stehen drei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Überall liegt die AfD deutlich vorne. Ist das mehr als nur Protest und Denkzettel?
Nochmal: Die Fixierung auf die AfD bringt gar nichts. Wir sind in allen drei Ländern vor allem mit der Union in einem Wettstreit. Die CDU ist der Hauptgegner. Die AfD wird in keinem ostdeutschen Bundesland Regierungsverantwortung übernehmen.
In Thüringen könnte es sehr kompliziert werden mit der Regierungsbildung im kommenden Jahr. Ist für Sie vorstellbar, dass CDU und Linke in Thüringen nach der Landtagswahl etwas zusammen machen?
In Thüringen geht es für uns darum, dass Bodo Ramelow Ministerpräsident bleibt. Die zentrale Auseinandersetzung läuft zwischen der Linken und der CDU. Die Höcke-AfD in Thüringen wird keine Regierungsverantwortung bekommen. Deshalb geht es um die Frage: entweder Bodo Ramelow oder die CDU. Ich bin zuversichtlich, dass Bodo Ramelow Ministerpräsident bleibt.
Haben Sie als Bundestagsfraktionschef mittlerweile Klarheit, ob die Abgeordnete Sahra Wagenknecht demnächst eine eigene Partei gründet?
Diese Klarheit hat aktuell niemand. Aber zu dieser Frage ist wirklich alles gesagt. Jedes Nachdenken über eine mögliche Parteineugründung ist aus meiner Sicht falsch, weil es nur die politische Rechte stärkt. Ich werde darum kämpfen, dass wir Fraktion im Deutschen Bundestag bleiben und es eine einflussreiche Linke in Deutschland geben wird.
Der Beschluss Ihres Parteivorstandes ist klar: Wer sich an einem Parteiprojekt in Konkurrenz zur Linken beteiligt, muss sein Mandat zurückgeben. Ist Wagenknecht noch Genossin oder schon Gegnerin?
Der Beschluss ist hier schlicht korrekt: Wer in einer anderen Partei ist, kann nicht Mitglied unserer Fraktion sein.
Klimageld und Kindergrundsicherung
Die Ampel hat ein Klimageld im Koalitionsvertrag vereinbart, mit dem Bürger wegen der steigenden Öl- und Gaspreise entlastet werden sollen. Aber es kommt erst einmal nicht …
… die Ampel nimmt in vielen Fällen ihren eigenen Koalitionsvertrag nicht ernst. Die Ampel muss zeitnah das lange versprochene Klimageld vorlegen. Es kann doch nicht sein, dass die Regierung die Bürger mit steigenden CO2-Preisen immer stärker belastet, aber die angekündigten Entlastungen auf unbestimmte Zeit vertagt. Das verunsichert Menschen und belastet vor allem Haushalte mit kleinem Einkommen.
Bei der Kindergrundsicherung gibt es von Finanzminister Christian Lindner einen „Merkposten“ für den nächsten Haushalt in Höhe von zwei Milliarden Euro. Reicht das?
Dieser Merkposten ist wirklich beschämend. Die Einführung der Kindergrundsicherung muss einen Systemwechsel bedeuten. Es geht nicht darum, mit Geld etwas zuzuschütten. Ich bin enttäuscht, dass Familienministerin Lisa Paus es bis heute nicht geschafft hat, dazu ein Konzept vorzulegen. Hier versagt die Ampel sehr grundsätzlich. Was die Koalition sich im Koalitionsvertrag zur Kindergrundsicherung vorgenommen hatte, wird in dieser Legislaturperiode keine Realität. Stattdessen gibt es Augenwischerei. Die Kinderarmut in Deutschland war im vergangenen Jahr auf dem höchsten Stand in der Geschichte des Landes. Ein inakzeptabler Skandal und ein Armutszeugnis für die Ampel.
100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Die Ampel verfehlt in dieser Legislaturperiode ihr Ziel von 400.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr. Brauchen wir ein Sondervermögen Wohnen?
Auch beim Wohnungsbau versagt die Ampel, deswegen ist ein Sondervermögen Wohnen grundsätzlich sinnvoll. Wir müssen den Druck von Mieterinnen und Mietern nehmen, weil sich viele Menschen angemessenes Wohnen kaum noch leisten können. Ein Sondervermögen Wohnen wäre ein Weg dahin.
Ukraine-Krieg und NATO-Mitgliedschaft
Niemand weiß, wie lange der Krieg, den Russland vom Zaun gebrochen hat, dauert. Was spricht dagegen, der Ukraine Kampfjets zu liefern?
Kampfjets würden diesen Krieg weiter verschärfen. Wir brauchen keine Eskalation mit der Gefahr eines Dritten Weltkrieges, sondern müssen genau diesen vermeiden. Das Getreideabkommen ist gescheitert, Russland greift die Häfen der Ukraine an. Alles katastrophal. Wer meint, mit mehr Waffenlieferungen – auch mit Kampfjets – zu einer Lösung zu kommen, der liegt völlig falsch. Ich würde mir eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative wünschen und nicht mehr Waffen.
„Taurus“-Marschflugkörper, wie sie der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, fordert, sind also kontraproduktiv?
Ich empfinde das als kontraproduktiv, ja. Völlig klar, wer der Aggressor ist: Russland. Völlig klar, dass die territoriale Integrität der Ukraine außer Frage steht. Trotzdem kann der Weg nicht sein: immer mehr Waffen, immer schwerere Waffen! Das führt in die Katastrophe.
Soll die Ukraine in die NATO?
Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht ernsthaft zur Debatte. Das sind Kunstdebatten, die in Deutschland aus innenpolitischen Gründen geführt werden, die aber nichts bringen. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist aktuell nicht denkbar. Solange es Krieg gibt, sollten wir darüber nicht reden, sondern eher darüber, wie es zu einer Friedensordnung mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine kommen kann. Und dazu braucht es erst einmal einen Waffenstillstand.
Das gilt dann auch für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nach Kriegsende?
Das ist auf absehbare Zeit nicht realistisch.
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