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UrteilFreigesprochen, aber beschädigt – der Prozess um Kevin Spacey bringt nur Verlierer hervor

Urteil / Freigesprochen, aber beschädigt – der Prozess um Kevin Spacey bringt nur Verlierer hervor
US-Schauspieler Kevin Spacey spricht vor dem Southwark Crown Court zu Journalisten Foto: Alberto Pezzali/AP/dpa

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Hollywood-Star Kevin Spacey bleibt ein freier Mann – beschädigt ist er ebenso wie alle anderen Teilnehmer des Londoner Sexualstrafverfahrens.

Wer selbst einmal an Beratungen englischer Geschworenenrunden teilgenommen hat, wie es diesem Korrespondenten dreimal vergönnt war, wird sich davor hüten, in den Urteilsspruch der Causa Kevin Spacey allzu viel hineinzuinterpretieren. Immerhin brauchten die drei Frauen und neun Männer zwölfeinhalb Stunden, um die Beweislage sorgfältig abzuwägen, und am Ende ließ sich die von englischen Gerichtsvorsitzenden stets erwünschte Einstimmigkeit nicht herstellen. Erst als Richter Mark Wall ein Mehrheitsvotum zuließ, klärte sich rasch die Lage: neunmal „nicht schuldig“, in allen neun ihm zur Last gelegten Delikten gegen vier Männer – ein schöneres Geschenk hätte sich der Schauspieler an seinem 64. Geburtstag kaum wünschen können.

Jene Prozessteilnehmer, die in den vergangenen vier Wochen Tag für Tag in Saal eins des Krongerichts von Southwark gesessen haben, mögen eine relativ genaue Vorstellung davon haben, was dem Freispruch zugrunde lag. Ein Faktor dürfte von vornherein eine wichtige Rolle gespielt haben: Als die englische Kronanwaltschaft nach jahrelangem Zögern im Mai vergangenen Jahres Anklage gegen den Weltstar erhob, ließ Spacey ohne jedes Zögern mitteilen, er werde sich den Anschuldigungen stellen. Der US-Amerikaner vertraute sich der Justiz jenes Landes an, in dem er als Chef des „Old Vic“-Theaters zu Beginn des Jahrhunderts Triumphe gefeiert hatte.

Spaceys Pioniertat bestand damals darin, das legendäre, aber künstlerisch ausgemergelte Haus südlich der Themse mit populären Inszenierungen und großen Stars wiederzubeleben. Automatisch stellten sich vermögende Mäzene ein, die sich gern im Umkreis berühmter Schauspielerinnen herumtreiben. Längst haben andere Theatermacher das Erfolgsrezept nachgeahmt.

Wagt Spacey ein Comeback?

Nach seinem Freispruch kann Spacey nun, wenn er das Geschehen der vergangenen vier Wochen verarbeitet hat, den Versuch eines Comebacks wagen. Im Herbst 2017 hatte seine glänzende Karriere ihr jähes, vorläufiges Ende gefunden, als im Zuge der #MeToo-Affäre Vorwürfe gegen ihn ans Tageslicht kamen. Zunächst führte der Schauspieler Anthony Rapp einen Vorfall von 1986 gegen den zweifachen Oscar-Gewinner ins Feld; bald sah sich der Star mit Vorwürfen von rund drei Dutzend Männern konfrontiert, sowohl in seiner amerikanischen Heimat als auch auf der Insel. Im Showbusiness gilt die Unschuldsvermutung für Prominente nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt. Spacey wurde öffentlich geächtet, die letzte Staffel der überaus erfolgreichen TV-Serie „House of Cards“ ohne ihn neu gedreht, Netflix stellte die Zusammenarbeit mit dem Star ein.

In Amerika sind mittlerweile sowohl das Strafverfahren wie ein von Rapp angestrengtes Zivilverfahren gegen Spacey verworfen worden. Die Vorwürfe in England bezogen sich auf die Jahre 1995 bis 2013, sie reichten von Übergriffen bis hin zur sexuellen Nötigung. Die englische Kronanwaltschaft destillierte daraus neun Delikte gegen vier Männer.

In der traurigen Bilanz der Verfahren gegen Kevin Spacey steht es nun 3-0 für den Schauspieler. Die Londoner Polizeibehörde Scotland Yard und die Kronanwaltschaft müssen sich bohrende Fragen gefallen lassen, warum sie ausgerechnet mit diesem Fall ihre verheerend schlechte Bilanz von Verurteilungen in Sexual-Strafverfahren aufbessern wollten. Am Ende bleiben nur Verlierer: Die Beschuldiger stehen als Lügner da. Und wer Spaceys Tränen im Gerichtssaal und kurzes Statement nach Prozessende verfolgt hat, weiß auch, dass da ein Beschädigter das Krongericht verließ.