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SudanKrieg der Generäle zerstört die Hoffnung am Nil

Sudan / Krieg der Generäle zerstört die Hoffnung am Nil
Soldaten der sudanesischen Armee in Port Sudan am Roten Meer Foto: AFP

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Vier Jahre nach dem Sturz des Diktators al-Baschir führen im Sudan die beiden mächtigsten Militärchefs Krieg gegeneinander. Das Land stellt ein Beispiel für die falsche Politik des Westens in der Region dar und zeigt die unrühmliche Rolle, die einflussreiche Mächte von außen spielen.

Wieder hat eine Attacke alle Hoffnung auf eine Waffenruhe im Sudan zunichtegemacht. Dieses Mal war es ein Luftangriff, der Omdurman traf, die größte Stadt des Landes. Sie bildet, am Zusammenfluss des Blauen und Weißen Nils gelegen, mit der Hauptstadt Khartum und al-Chartum Bahri ein Konglomerat, das über mehrere Brücken miteinander verbunden ist. Dabei traf die sudanesische Luftwaffe ein Wohnviertel. Das Gesundheitsministerium der Hauptstadtprovinz geht von 22 Toten aus. Die Miliz Rapid Support Forces (RSF), die das Gebiet teils unter ihrer Kontrolle hat, spricht von mehr als 30. Die Luftwaffe wiederum dementiert, einen Angriff geflogen zu haben und behauptet, die RSF habe einen Überflug mit Artillerie beschossen.

Der Ballungsraum um Khartum steht im Zentrum des seit mehr als drei Monaten tobenden Bürgerkrieges zwischen der offiziellen sudanesischen Armee und der RSF. Seither haben Tausende von Bewohnern die Hauptstadt verlassen. So auch die Familie von Sara Albashir*. Die 33-Jährige verließ das nordostafrikanische Land nach ihrem Medizinstudium in Khartum. Sie erhielt ein Stipendium, um nach Italien zu gehen. Heute arbeitet sie als Ärztin in Mainz. Ursprünglich stammt Sara Albashir aus dem Bundesstaat al-Dschazira, etwa hundert Kilometer oder gut anderthalb Stunden südlich von Khartum. „Meine Familie floh in unsere Heimat, weil es dort relativ sicher ist“, sagt sie. „Eigentlich besuche ich sie jedes Jahr. Aber dieses Jahr herrscht Krieg.“ Sie erzählt auch von der seit Jahren grassierenden Inflation. „Die Brotpreise stiegen ins Unermessliche. Es war schon vorher schwierig, aber jetzt erst recht“, sagt Sara. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sprach von der Gefahr, dass der Bürgerkrieg die gesamte Region destabilisieren könnte. Dabei gehören die Länder am Horn von Afrika schon zu den instabilsten weltweit.

Kurze Zeit der Hoffnung

Die ostafrikanische Regionalgemeinschaft Intergovernmental Authority on Development (IGAD) lud kürzlich die beiden Anführer der Kriegsgegner zu einer Friedenskonferenz in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba ein. Doch die Staatschefs von Äthiopien, Dschibuti, Kenia und Südsudan unter sich. Ihre Vermittlungsbemühungen scheiterten, weil die verfeindeten Kriegsparteien dem Treffen fernblieben. So wie schon zuvor die Hoffnung in dem drittgrößten Flächenstaat Afrikas häufig nur kurz währte. Eine Zeit lang zumindest sah es so aus, als könnte das Ende der Herrschaft von Präsident Omar al-Baschir zu einem demokratischen Wandel in dem Land führen. Al-Baschir wurde am 11. April 2019 nach 30 Jahren an der Macht durch einen Militärputsch abgesetzt. „Das größte Problem ist“, sagt Sara Albashir, „dass sein Regime noch immer da ist. Seine Partei, seine Unterstützer, der ganze korrupte Apparat.“ Auch die beiden rivalisierenden Generäle, die sich seit Mitte April erbitterte Gefechte liefern, entstammen dem Machtgefüge al-Baschirs: der frühere Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und Mohammed Hamdan Daglo, besser bekannt unter seinem Kriegsnamen Hemetti, der Befehlshaber der sogenannten Rapid Support Forces (RSF). Beide nutzten die extrem fragile Übergangsphase und zerstörten dabei die Hoffnung.

Vollbeladener Lastwagen mit Binnenflüchtlingen vor der Fahrt nach al-Dschazira
Vollbeladener Lastwagen mit Binnenflüchtlingen vor der Fahrt nach al-Dschazira Foto: AFP

Während der Herrschaft al-Baschirs, der unter anderem eine Militärakademie in den USA besucht hatte, ab 1993 Staatspräsident und bei Wahlen 1996 und 2000 im Amt bestätigt wurde, bevor er das Parlament auflöste, setzten die USA den Sudan auf ihre Liste von sogenannten Schurkenstaaten. Al-Qaida-Terroristenanführer Osama Bin Laden etwa hielt sich damals ohne Probleme im Land auf. Die USA führten nach den Terroranschlägen 1998 auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania Militäraktionen gegen den Sudan durch. Beim Angriff mit Marschflugkörpern wurde eine Arzneimittelfabrik zerstört. Die jahrelangen Sanktionen hätten das Land schwer belastet, weiß Sara Albashir. Hinzu kamen der Krieg in der Provinz Darfur und der im Januar 2005 mit einem Friedensvertrag beigelegte Krieg mit den Südprovinzen, dem 2011 unabhängig gewordenen Südsudan. Und nun ein neuerlicher Konflikt, der Züge eines Bürgerkrieges hat.

Machtkampf der Generäle

Der Machtkampf der Generäle hat bisher Tausende ziviler Todesopfer gefordert. Im Sudan spielt sich einmal mehr eine humanitäre Katastrophe ab: „Die Wirtschaft liegt am Boden, die Transportrouten sind blockiert, die Infrastruktur ist vielerorts zusammengebrochen“, berichtet Simone Schlindwein, Afrika-Korrespondentin der taz. Außerdem sei der Zugang zu Wasser unterbrochen und die Wasservorräte beschädigt. Grundnahrungsmittel seien innerhalb eines Monats um die Hälfte teurer geworden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte bereits im Mai, dass bald mehr Zivilisten aus Mangel an grundlegender Versorgung sterben könnten als durch die Kämpfe. Zwei Drittel der Krankenhäuser sind nicht mehr funktionsfähig, die Stromversorgung ist gekappt. Wer kann, verlässt das Land. Ein Großteil der Ausländer hat dies bereits kurz nach dem Ausbruch der Kämpfe getan. Dabei ist die Lage in den Nachbarländern kaum besser: In Äthiopien, Eritrea und dem Südsudan herrscht ebenfalls Bürgerkrieg. Viele Sudanesen fliehen daher nach Ägypten. Die meisten suchen jedoch innerhalb des Landes Schutz.

Einst im Dienste des Diktators, heute Erzfeinde: Armeechef Abdel Fattah al-Burhan (links) und der RSF-Anführer Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemetti
Einst im Dienste des Diktators, heute Erzfeinde: Armeechef Abdel Fattah al-Burhan (links) und der RSF-Anführer Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemetti Foto: AFP

Es war nicht zuletzt die Zivilgesellschaft des Landes, die vor vier Jahren aufgrund der hohen Inflation gegen al-Baschir auf die Straßen ging. Zum ersten Mal war es gelungen, dass sich Zivilgesellschaft und Opposition zusammenschlossen. Zehntausende Menschen protestierten mit einem Sitzstreik gegen die Armee und riefen die Generäle auf, al-Baschir zu stürzen. Der Diktator landete im Gefängnis. Er war am Ende seiner Macht, doch sein kleptokratisches System, das auf einem Zusammenspiel von Geheimdiensten, Militär und Polizei aufbaute, blieb bestehen. Ihre Anführer waren die Nutznießer des Systems und auch des Umsturzes. Sie hatten sich die größten Unternehmen des Landes überschreiben lassen, etwa die Giad Industrial Group, die Zadna Holding oder das Defense Industrial System. Letztere ist einer der größten Rüstungskonzerne Afrikas, der sowohl Handfeuerwaffen und Granatwerfer als auch Haubitzen und Raketen sowie Drohnen herstellt – eine Tochterfirma produziert darüber hinaus Pickups, auf deren Ladeflächen Maschinengewehre und Raketenwerfer befestigt werden können. Offiziere der Armee sind oft Vorstandsmitglieder der Konzerne. Steuern zahlen sie nicht.

Ex-Diktator bis heute straflos

Der Sicherheitsapparat, auf den sich al-Baschir einst stützte, ist gespalten. Lange Zeit hatten sich die verschiedenen Teile gegenseitig in Schach gehalten. Hemettis berüchtigte Reitermiliz „Janjaweed“ (oder Dschandschawid, auf Deutsch: „Teufel auf Pferden“ oder „berittene Teufel“) war von al-Baschir 2003 aufgestellt worden, um Rebellen zu bekämpfen und ist für ihre Brutalität bekannt. Hemetti, Neffe eines Clanchefs aus der Bürgerkriegsregion Darfur, erledigte für den Präsidenten die Drecksarbeit und wurde grausamer Verbrechen bezichtigt. So überfielen seine Horden zum Beispiel am 23. November 2004 ein Dorf, erschossen die Männer, vergewaltigten die jungen Frauen und versklavten die älteren. Insgesamt brachten sie 128 Dorfbewohner um. Als der Internationale Strafgerichtshof 2009 einen Haftbefehl gegen al-Baschir erließ, wurde auch Hemetti wegen des Völkermordes in Darfur erwähnt. Al-Baschir wurde bis heute nicht ausgeliefert. Im April soll sich der mittlerweile 79-Jährige in einem Militärkrankenhaus aufgehalten haben.

Aus der paramilitärischen Reiterarmee entwickelte sich die RSF, die direkt dem Diktator unterstand und sich außerhalb der Befehlshierarchie der Armee befand. Sie hatte unter anderem die Aufgabe, die Grenze in der Wüste zu bewachen und nahm Migranten auf deren Weg in Richtung Europa fest. „Wir arbeiteten stellvertretend für Europa“, prahlte Hemetti. Er schickte seine Truppen los, um die Proteste gegen al-Baschir niederzuschlagen. Bei einem Massaker in Khartum ließ er einfach in die Menge schießen. Seine Miliz wird für zahlreiche Fälle sexualisierter Gewalt verantwortlich gemacht. Al-Baschir überschrieb ihm zur Belohnung Goldminen in Darfur.

RSF-Kämpfer mit erbeutetem Kriegsmaterial
RSF-Kämpfer mit erbeutetem Kriegsmaterial Foto: Picture Alliance/dpa

Burhan, unter al-Baschir Generalinspekteur der Armee, stand nach dessen Sturz dem sogenannten Übergangsrat vor und putschte sich am 25. Oktober 2021 gegen die damalige Regierung unter Ministerpräsident Abdullah Hamdok an die Macht. Seither galt er als oberster Machthaber, Hemetti war sein Vize. Burhan versicherte zwar, dass er die Macht an eine in diesem Juli zu wählende Regierung übergeben würde. Doch zu den Wahlen kam es wegen der jüngsten Kämpfe nicht. Auch nach dem Putsch rissen die Protestaktionen der Demokratiebewegung nicht ab. Dazu gehören etwa die 2008 von Studenten gegründete Bewegung Girifna, die Sudanese Professional Association (SPA) sowie mehrere lokale, untereinander vernetzte Nachbarschaftskomitees. Die Demonstrationen wurden jeweils brutal niedergeschlagen.

Die Nahrungsmittelversorgung ist prekär
Die Nahrungsmittelversorgung ist prekär Foto: AFP

Hemetti schickte am 15. April seine Truppen los, um den Flughafen und andere strategisch wichtige Punkte unter Kontrolle zu bringen. Schon Anfang Mai bezeichnete Raouf Mazou, der stellvertretende Hohe Kommissar des UNHCR, die humanitäre Lage im und um den Sudan als „tragisch“. Zwar bemühen sich, wie bereits erwähnt, die Nachbarländer und internationalen Institutionen um Friedensverhandlungen, so zum Beispiel die Arabische Liga, deren Mitglied der Sudan ist, in Kairo. Auch Saudi-Arabien bot sich gemeinsam mit den USA als Vermittler an, ebenso die Afrikanische Union im Schulterschluss mit den Nachbarstaaten des Sudans. Doch alle Versuche scheiterten, weil der Waffenstillstand jedes Mal gebrochen wurde. Die Fronten zwischen der nach unbestätigten Zahlen 300.000 Mann starken Armee und den rund 100.000 Kämpfern der RSF (zu Beginn des Krieges), die sich unter anderem über den Verlauf von Gold finanziert, sind verhärtet.

Beide nutzen dabei „ethnische Faktoren“, so der britische Sudan-Experte Alex de Waal, und sind in ethnische „Säuberungen“ in Darfur verwickelt, neben Khartum die am stärksten umkämpfte Region. Hemettis Miliz, aus der Janjaweed-Miliz heraus entstanden, wie auch die Armee von General Burhan bestehen aus erfahrenen Kämpfern. So waren rund 30.000 sudanesische Söldner im Auftrag von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) im Krieg im Jemen im Einsatz. Im Gegenzug hängen die Armee wie auch die RSF stark von ihren Geldgebern ab. Zu den einflussreichsten Akteuren von außen gehören Saudi-Arabien, die VAE und Ägypten, das auf das Wasser aus dem Nil angewiesen ist. Auch China, Russland und die USA versuchen Einfluss zu nehmen. Ersteres ist ein bedeutender wirtschaftlicher Partner und Gegenpol zu den USA, die in Militärhilfe und Demokratieförderung investieren, während Russland, das vor allem am Goldgeschäft interessiert ist, enge Beziehungen zu Hemetti unterhält und angeblich etwa 200 Kämpfer der Wagner-Gruppe im Sudan hat. Darüber hinaus unterstützt Moskau die RSF mit Waffen und Munition sowie in der Ausbildung der Kämpfer.

Vor einer Bank in Khartum
Vor einer Bank in Khartum Foto: AFP

Mit dem Putsch vom Oktober 2021 retteten die Generäle ihren in den vergangenen Jahrzehnten angehäuften Reichtum. Ihre Macht rührt daher, dass sich der Sudan seit seiner Unabhängigkeit 1956 in einem fast „permanenten Alarmzustand“ befindet, erklärt der langjährige ARD-Korrespondent für den Nahen und Mittleren Osten, Jörg Armbruster. Sie führten ständig Kriege gegen Aufständische im Südsudan, in Darfur, im Bundesstaat Blue Nile und in Südkordofan. Insgesamt putschten die Generäle 17 Mal gegen die eigene Regierung. Das Militär ist nach wie vor die alles bestimmende Kraft. Solange sie nicht ihren Gegner, die RSF, in die Knie zwingt, will sie nicht die Waffen ruhen lassen. Etwa 3.000 Menschen starben bereits in dem Krieg, fast drei Millionen sind auf der Flucht – allerdings sind die Zahlen nicht gesichert.

Die Lage vor allem in Darfur und in der Hauptstadt ist nach wie vor extrem gefährlich. In den Häusern haben sich Scharfschützen versteckt, die Menschen leiden an der Unterversorgung mit Essen und Medikamenten. Außerdem gibt es kaum noch Blutkonserven. „Viele RSF-Kämpfer verschanzen sich in den Krankenhäusern“, sagt Sara Albashir. „Sie plündern Banken, Fabriken und Supermärkte und terrorisieren die Zivilbevölkerung. Dafür werden sie gehasst.“ Eine Zeit lang hieß es, Hemetti sei bereits gefallen. Dies konnte jedoch nicht bestätigt werden. Sicher ist, dass sowohl sein Widersacher Burhan als auch er viel verbrannte Erde in dem geschundenen Land hinterlassen.

* Name aus Sicherheitsgründen geändert

Mitarbeiterinnen des Bildungsministeriums bei der Examenskontrolle in einer Schule in Wad Madani, Hauptstadt von al-Dschazira
Mitarbeiterinnen des Bildungsministeriums bei der Examenskontrolle in einer Schule in Wad Madani, Hauptstadt von al-Dschazira Foto: AFP