Wie nur wieder in die Offensive kommen? Vielleicht mit einer Klimaaktivistin und Kapitänin der Seenotrettung. Carola Rackete jedenfalls steht zu dieser Mittagsstunde im Karl-Liebknecht-Haus bereit – als Spitzenkandidatin der Linken auf Platz zwei für die Europawahl im kommenden Jahr. Rackete, die 2019 rund 50 libysche Flüchtlinge mit dem Schiff „See Watch 3“ aus dem Mittelmeer fischte, will jetzt nicht über Notrettung reden, obwohl die Linke mit ihrem lange ungeklärten Richtungsstreit und einer Serie von Niederlagen seit der Bundestagswahl dazu Themen genug bieten würde. Rackete, parteilos, hat sich entschieden, der Linken bei der Europawahl im kommenden Jahr zu neuer Zustimmung zu verhelfen. Ebenso der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert, ebenfalls parteilos und bekannt als Hausarzt der Obdachlosen, der auf dem Ticket der Linken 2022 für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte und dabei mehr Stimmen bekam, als die Partei an Wahlleuten aufbot.
Die Parteichefs Janine Wissler und Martin Schirdewan müssen sich an diesem Montag endlich mal nicht mit Nachrichten um Sahra Wagenknecht herumschlagen. Die Dauerfehde zwischen der einstigen Parteiikone Wagenknecht und dem Bundesvorstand um Wissler und Schirdewan belastet seit Monaten den Parteifrieden. Zwar hat der Vorstand im Juni mit einem einstimmigen Beschluss seinen Schlussstrich gezogen, wonach es mit der ehemaligen Bundestagsfraktionschefin keine gemeinsame Zukunft mehr gebe. Wagenknecht sei der Aufforderung, von einem konkurrierenden Parteiprojekt Abstand zu nehmen, nicht nachgekommen. Der Vorstandsbeschluss liest sich unmissverständlich: „Klar ist daher: Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht.“
Klarheit gibt es deswegen aber immer noch nicht zu der Frage, ob Wagenknecht den Sprung zur Gründung einer neuen Partei wagen und damit der bedrängten Linken weiter das Wasser abgraben wird. Die Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen räumte kürzlich zwar ein, dass sie den Machtkampf in der Linken zwar verloren habe, was sie aber nicht daran hindert, der Parteispitze um Wissler und Schirdewan Unfähigkeit zu attestieren. „Natürlich wäre es gut, wenn diese Hasardeure zurücktreten und vernünftigen Leuten Platz machen würden“, sagte sie unlängst dem Spiegel. Die Parteispitze sollte sich besser damit beschäftigen, warum der Linken seit Jahren die Wähler davonlaufen. Wagenknecht wiederum hat erfahren, dass sie mit ihren teilweise populistischen Ansichten, etwa in der Migrations- und Zuwanderungspolitik wie auch steilen Thesen zur Russland-Politik, sowohl im linken als auch im rechten Lager Zustimmung auslöst. Doch ob ihr dieser Zuspruch genügt, eine neue Partei in Konkurrenz zur Linken zu gründen, mit anschließender Kärrnerarbeit, wenn 16 eigene Landesverbände aufgebaut werden müssten, bleibt weiter offen.
Nimbus als Volkspartei eingebüßt
Wissler und Schirdewan wollen die Linke insgesamt breiter aufstellen, bereit zur Zusammenarbeit mit Bündnissen und Bewegungen in der Gesellschaft. So verstehen sie auch ihren Personalvorschlag, den die Parteichefs nun im Karl-Liebknecht-Haus vorgestellt haben. Mit Schirdewan auf Platz eins für die Europawahl, Rackete auf Platz zwei, der Gewerkschafterin Özlem Demirel, Mitglied des EP, auf Platz drei und Sozialmediziner Trabert auf Platz vier. Ein Bundesparteitag im November in Augsburg soll diesen Listenvorschlag dann beschließen. Im nächsten Jahr werden auch in Sachsen, Brandenburg und Thüringen neue Landtage gewählt, wo die rechte AfD aktuell Chancen hat, stärkste politische Kraft in diesen Parlamenten zu werden. Die Linke hat dort längst ihren Nimbus als Volkspartei eingebüßt.
Die designierte Linke-Spitzenkandidatin Rackete macht denn auch klar, dass es aus ihrer Sicht mit den Grabenkämpfen und der Selbstbeschäftigung innerhalb der Linken nun wirklich vorbei sein muss. „Ich erwarte mehr von der Partei.“ Immerhin habe die Partei ihren Richtungsstreit geklärt. Auch Trabert betont, er wolle beim „Neustart der Linken“ helfen, die Partei müsse unbedingt verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Schirdewan schimpft über das „Ampelgehampel“ etwa bei der Kindergrundsicherung. Auf Nachfrage betont er, die Frage, wer gerade vielleicht eine neue Partei gründen wolle, habe bei der Entscheidung der Linken für ihre angestrebte Aufstellung für die Europawahl keine Rolle gespielt. Sollte Rackete im nächsten Jahr dann tatsächlich ins Europaparlament einziehen, will die Ökologin im Umweltausschuss in Brüssel arbeiten. Zur Seenotrettung werde sie dann nur noch in Ausnahmefällen ausrücken. Sie hat dann einen anderen Auftrag. Parteilos auf dem Ticket der Linken.
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