Schuld ist das Moskauer Transportministerium, das den sonnenhungrigen Russen „wegen eines Notfalls“ den Umweg über die zerstörte ukrainische Stadt Mariupol sowie das regelmäßig von ukrainischen Partisanen bedrohte Melitopol auf die Krim nahelegte: Das sind mindestens sechs Stunden Autofahrt durch die besetzte Südukraine mit einem besonders großen Militärlaster-Verkehrsaufkommen.
Der „Notfall“ war morgens um 3.05 Uhr auf der 19 Kilometer langen Krim-Brücke bei Kertsch aufgetreten, als mutmaßlich zwei Kampfdrohnen der ukrainischen Armee die Fahrbahn bombardierten. Dabei kam ein russisches Ehepaar uns Leben, deren Tochter überlebte schwerverletzt. Vor allem aber wurde ein mehrere PKWs großes Loch in die Straße von der seit 2014 besetzten Krim aufs russische Festland gerissen. Ein, möglicherweise auch zwei Brückenpfeiler sollen schwer beschädigt worden sein.
Der ukrainische Geheimdienst SBU spottete bereits kurz nach der Explosion auf seinem Telegram-Kanal: „Erneut hat sich die Brücke schlafen gelegt. Eins … und zwei!“ Bereits Anfang Oktober letzten Jahres hatte der SBU nach einer Explosion eines Tankwagens auf der parallel verlaufenden Eisenbahnbrücke ein ähnliches ukrainisches Volkslied zitiert, sich aber erst acht Monate später, im Mai, zum Anschlag bekannt.
Diesmal wurde die Eisenbahnlinie nicht beschädigt. Diese Verbindung konnte nach fünf Stunden wieder geöffnet werden; die Autobrücke jedoch bleibt einstweilen geschlossen. Die russischen Behörden richteten bis Mittag einen Ersatzverkehr mit Fähren ein. Auch hier bildeten sich lange Schlangen. Auch hier versuchten die einen, die Krim panikartig zu verlassen, während andere von ihren Urlaubsplänen keinen Abstand nehmen wollten.
„Wir kennen die Gründe und diejenigen, die hinter diesem Terroranschlag stehen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Pewskow am Montagmittag. „Das alles ist das Werk des Kiewer Regimes“, wusste er zu berichten und drohte mit der Erfüllung aller Ziele der „Sonderoperation in der Ukraine“. Dazu gehört die Eroberung Kiews und die Installierung einer neuen Regierung. Dies ist indes nichts Neues. Die Drohung Moskaus vom Montag, das Schwarzmeer-Getreideabkommen nicht mehr zu verlängern, steht offiziell in keinem Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Krim-Brücke. Als „Sonderoperation“ redet der Kreml den seit fast 17 Monaten anhaltenden Angriffskrieg auf das Nachbarland schön. Die im Frühling 2014 annektierte Krim wird dabei als Teil Russlands betrachtet, genauso wie die im September 2022 annektierte Südukraine und der Donbas.
Abwehr der Gegenoffensive gestört
Doch dass es Russland trotz des prahlerischen Einsatzes von Kampfjets, Tauchern und Kampf-Delphinen zum Schutz der Krim-Brücke bei Kertsch nicht gelungen ist, einen zweiten erfolgreichen Angriff der Ukrainer auf das Bauwerk zu verhindern, ist hochnotpeinlich.
Kiew stört damit nicht nur den Tourismus in der Hochsaison auf die schon zu Sowjetzeiten beliebte ukrainische Halbinsel, sondern erschwert auch die Abwehr der Gegenoffensive an der Südfront. Diese verläuft zwar 70-100 Kilometer nördlich der Alternativroute über Mariupol und Tschongar. Doch sowohl via Krim wie besonders über die entlang des Asowschen Meeres verlaufende E58 werden die russischen Besatzungstruppen versorgt. PKWs mit sonnenhungrigen Urlaubern stören dort nur, zumal die Einwohner Russlands möglichst nichts von Krieg mitbekommen sollen.
Laut Kiewer Angaben hat die Armee vor allem nördlich der besetzten 150.000-Einwohnerstadt Melitopol, in der nun also bald Schaschlik und getrockneter Fisch auf die ermüdeten Krim-Reisenden warten sollen, in der Vorwoche Geländegewinne von elf Quadratkilometer gemacht. Diese an Soldaten wie westlichem Kriegsmaterial verlustreichen Rückeroberungen dauern jedoch weit länger als erhofft, umso wichtiger sind deshalb für Kiew erfolgreiche Blitzschläge wie jene auf die Krim-Brücke bei Kertsch.
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