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SerbienAutoritär gestrickter Präsident Aleksandar Vucic verspürt vermehrten Gegenwind – im In- und Ausland

Serbien / Autoritär gestrickter Präsident Aleksandar Vucic verspürt vermehrten Gegenwind – im In- und Ausland
Für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic läuft es gerade nicht so gut Foto: AFP/Alex Halada

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Schon seit elf Jahren teilt Serbiens Dominator Aleksandar Vucic im Balkanstaat die Karten aus. Doch nach zwei blutigen Amokläufen Anfang Mai mehrt sich der Unmut über den autoritär gestrickten Landesvater: Trotz Dauerpropaganda der Regierungsmedien beginnt sein Populistenglanz zunehmend zu verblassen.

Wenn es nicht läuft, sind für Serbiens Vormann immer die anderen schuld – vor allem die ausländischen Verschwörer. Er habe „Beweise“, dass die deutschen Grünen „die Organisatoren der Proteste bezahlen“, wetterte der allgewaltige Präsident Aleksandar Vucic zu Monatsbeginn bei einem seiner Endlosmonologe im Studio des TV-Senders Prva: „Sie schicken vor jeder Wahl Geld. Sie glauben, sie können hier tun und lassen, was sie wollen.“

Als „völligen Blödsinn“ bezeichnet Viola von Cramon, die grüne Kosovo-Berichterstatterin des Europaparlaments, die von Vucic verbreiteten Vorwürfe: Die „unbegründeten“ Behauptungen dienten nur dazu, die Proteste der Bevölkerung gegen die regierende Elite als „unaufrichtig“ zu diskreditieren.

Ob als Minister, Partei-, Regierungs- oder Staatschef: Seit der Machtübernahme seiner nationalpopulistischen SNS vor elf Jahren teilt der autoritär gestrickte Vucic in seinem Land nach Belieben die Karten aus. Doch nach zwei blutigen Amokläufen Anfang Mai, denen insgesamt 19 Menschen zum Opfer fielen, mehrt sich im Balkanstaat der Unmut über Serbiens selbstgefälligen „Dominator“. Trotz unablässiger Propagandaanstrengungen der regierungsnahen Medien beginnt der Populistenglanz des selbsterklärten „Reformators“ stets schneller zu verblassen.

„Vucic, hau ab!“, fordern bereits seit zwei Monaten die Teilnehmer der allwöchentlichen Protestdemonstrationen „gegen die Gewalt“ – und gegen Serbiens selbstgefälligen Vormann: Sie werfen ihm nicht nur die Staatssubventionen für gewaltverherrlichende TV-Sender im Dunstkreis seiner regierenden SNS, Mediengängelung und die Aushebelung der Gewaltenteilung vor, sondern auch Korruption, Parteienwirtschaft und enge Bande zur Halbwelt.

Als „Abschaum“, „Aasgeier“ und „Hyänen“, die sich die Tragödie zu Nutze machten, hatte der dünnhäutige Vucic zunächst die Demonstranten beschimpft. Seine im Mai selbstbewusst verkündete Wahlflucht nach vorne hat er mittlerweile wohlweislich abgeblasen: Von den vorgezogenen Parlamentswahlen „spätestens im September“ spricht er nicht mehr. Auch das von ihm seit Monaten forcierte Projekt der Schaffung einer nationalen Einheitsbewegung mit ihm an der Spitze scheint vorläufig auf Eis gelegt.

Geheimdienstchef auf schwarzer Liste der USA

Laut einer in der ersten Junihälfte durchgeführten und zu Wochenbeginn veröffentlichten Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts CRTA hegt die Hälfte der Serben Sympathien für die Proteste. Nicht nur unter den Befragten, die sich weder der zerstrittenen Opposition noch der Regierung nahe fühlen, genießen die Proteste auffällig große Unterstützung: Auch 20 Prozent erklärter Regierungsanhänger können sich mit deren Forderungen identifizieren.

Die Wucht der mittlerweile auch auf kleinere Provinzstädte ausgeweiteten Proteste hat in den Sommerferien vor allem im entvölkerten Belgrad zwar spürbar nachgelassen. Doch die Probleme für Vucic und seine SNS bleiben – und scheinen sich eher zu vergrößern als zu verkleinern: Jahrelang unter den Teppich gekehrte oder ausgesessene Skandale fallen nun wie ein Bumerang auf die SNS und deren angeschlagenes Bugbild zurück.

Mit Serbiens russophilem Geheimdienstchef Aleksandar Vulin hat das US-Finanzministerium in dieser Woche einen der engsten Vertrauten von Vucic wegen Korruption und des Verdachts des Drogenhandels auf seine schwarze Liste gesetzt. Soweit er wisse, sei „Kokain nicht im Kabinett von Vulin, sondern im Weißen Haus gefunden worden“, reagierte Vucic angefressen auf die Sanktionen gegen seinen langjährigen Lautsprecher.

Doch auch der beredte Strippenzieher vermag die Folgen der schallenden US-Ohrfeige kaum herunterzuspielen. Wegen der drohenden internationalen Isolation der Sicherheitsdienste fordert nicht nur die Opposition die sofortige Ablösung des diskreditierten Geheimdienstchefs. Die US-Sanktionen gegen Vulin bestätige die Einschätzung, dass die heimische Staats- und Regierungsspitze „auf unterschiedliche Art mit der Kriminalität und Korruption verstrickt“ sei, so Serbiens früherer EU-Botschafter Dusko Lopandic.

Mit Organisierter Kriminalität verbandelt

Tatsächlich mehren sich die Skandale, die nicht nur auf das Umfeld von Vucic, sondern auch auf den Präsidenten selbst die Schatten der Halbwelt werfen. Nicht nur sein Sohn Danilo hegte fragwürdige Bande zu dem 2021 aufgerollten Hooliganclan von Veljko Belivuk: Die Schergen des Mafioso, der die Leichen ermordeter Rivalen angeblich auch per Fleischwolf beseitigen ließ, sollen für die SNS jahrelang Prügel-, Handlanger- und Ordnerdienste geleistet haben.

Auch das juristische Trauernachspiel nach der Aufdeckung einer der größten illegalen Cannabisplantagen auf dem Balkan in dem staatlich subventionierten Jovanjica-Gut des gut vernetzten SNS-Mitglieds Predrag Koluvija 2019 wirft ein tristes Schlaglicht auf die Verquickung der Regierungspartei mit der Organisierten Kriminalität. Die rechtskräftige Verurteilung des von einem ranghohen SNS-Politiker verteidigten Plantagenbetreibers steht immer noch aus. Stattdessen klagen die Ermittlungsbeamten, die den Fall an die Öffentlichkeit brachten, über zunehmenden Druck, Drohungen und Repressalien.

Angesäuert reagierte derweil die deutsche Botschaft in Belgrad auf die nicht näher erläuterte Behauptung von Innenminister Bratislav Gasic Ende Juni im Parlament, dass der Killer des 2018 ermordeten Kosovo-Politikers Oliver Ivanovic „unter dem Schutz“ deutscher Organe stehe. Trotz der guten Wirtschaftskooperation seien Serbiens politische Beziehungen zu Deutschland „so schlecht wie nie zuvor in den letzten zehn Jahren“, konstatiert besorgt das Webportal „nova.rs“.