Kotverschmierte, bis auf die Skelette abgemagerte Menschen mit offenen Wunden in Schlafsälen, in denen sich Bettwanzen und Kakerlaken tummeln: Die Bilder des unfassbaren Schreckens lassen Rumäniens schockierte Öffentlichkeit nicht ruhen.
Er habe noch nie solch schwache, schmutzige und dehydrierte Menschen gesehen, berichtete entgeistert ein anonymer Arzt der Bukarester Notfallklinik Gerota dem Webportal der Zeitung Libertatea. Bei manchen der eingelieferten Insassen von drei mittlerweile geschlossenen Pflegeheimen im Kreis Ilof seien im Magen selbst Fremdkörper wie Perlen, Knöpfe oder zerkautes Textil gefunden worden: „Sie müssen vor Hunger ihre Kleider aufgegessen haben.“
Anfang der 90er-Jahre waren es die Schreckensbilder von völlig verwahrlosten Kindern in Rumäniens Waisenhäusern, die für weltweites Entsetzen sorgten. Nun ist es der sich ausweitende Skandal um private Horroraltersheime, der die Rumänen schockiert – und die große Koalition des sozialistischen Premiers Marcel Ciolacu (PSD) zunehmend unter Druck setzt.
Seit zu Monatsbeginn ein Großaufgebot von Polizei und Rettungskräften über hundert verwahrloste alte Menschen aus drei Pflegeheimen der Bukarester Vorstadt Voluntari evakuiert hat, wird der Karpatenstaat von immer neuen Enthüllungen über die Missstände in den privaten Alters- und Pflegeheimen des Landes erschüttert. Nach hastig angeordneten Inspektionen wurden in den letzten Tagen landesweit über 40 Pflegeheime zeitweise oder ganz geschlossen. Zwei Dutzend Menschen sind bereits verhaftet worden. Der Welle von Rücktritten und Entlassungen in den Direktionen der zuständigen Aufsichtsbehörden oder Polizeistationen ist mit der Zwangsdemission von Arbeits- und Sozialminister Marius Budai (PSD) in dieser Woche der erste Ministerabtritt gefolgt.
Noch mehr Stühlerücken dürfte folgen. Laut einer in dieser Woche veröffentlichten Umfrage ist das ohnehin sehr geringe Vertrauen der Rumänen in ihre Institutionen auf einen neuen Tiefpunkt gesackt. 93 Prozent der Befragten erklärten, dem Parlament und den Parteien zu „misstrauen“ – ähnlich groß ist die Skepsis gegenüber dem Präsidialamt (90 Prozent) und der Regierung (88 Prozent).
Wohnungen, Sparbücher, Bankkarten – alles weg
Systematisch ausgeraubt, misshandelt – und ausgehungert: Von der „Heimmafia“ berichten entsetzt die rumänischen Medien, von „kriminellen Vereinigungen“ sprechen die Ermittler. Zunutze gemacht haben sich die ebenso geschäftstüchtigen wie politisch gut vernetzten Betreiber der Horrorheime die weitgehende Privatisierung des Sektors, die auffällige Nachlässigkeit der Behörden und Tatenlosigkeit der Polizei sowie die Gleichgültigkeit von Anwohnern: Die Betreiber kassierten vom Staat satte Subventionen, während sie ihre Schutzbefohlenen um Renten und Ersparnisse erleichterten, ohne sie adäquat zu versorgen – und zu ernähren.
Als „nationale Schande“ und Übel, das es auszumerzen gelte, bezeichnet entgeistert Staatschef Klaus Johannis die „Heime des Grauens“. „Maximale Strenge“ kündigt derweil Premier Ciolacu gegenüber den Verantwortlichen an.
Das wortreiche Entsetzen der ranghöchsten Würdenträger erfolgt spät: Die von einer Bürgerrechtsgruppe alarmierten Journalisten des Bukarester „Zentrums für investigative Medien“ (CIM) hatten bereits im Februar über das lukrative Geschäftsmodell krimineller Heimbetreiber berichtet, deren Recherchen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nun bestätigt haben.
Gezielt sprachen die Werber der Heime alleinstehende Alte ohne Angehörige an, um sie für den Einzug ins Altersheim und zum Verkauf ihrer Wohnungen zu überreden. Von den Heiminsassen erhielten die Betreiber nicht nur deren Renten, sondern nahmen ihnen auch Sparbücher und Bankkarten ab. Gleichzeitig kassierten die Heime oft die staatlichen Maximalzuschüsse von umgerechnet 1.000 Euro pro Monat für die Pflege von „Behinderten“: So erhielt eines der nun geschlossenen Heime in Voluntari allein 30.000 Euro pro Monat an Staatszuschüssen – bei ausgewiesenen Kosten von lediglich 5.000 Euro.
Familienministerin unter Druck
Laut Angaben der Justiz verschleuderte einer der nun verhafteten Heimbetreiber in Voluntari die seinen Opfern abgepressten Reichtümer in Bordellen und Luxusrestaurants: Für Prostituierte und Stehgeiger habe er in einer Nacht umgerechnet über 5.000 Euro verprasst.
Von den Medien nun befragte Nachbarn erzählen hingegen von ausgemergelten Alten, die selbst im Winter am Zaun halbnackt um Essen gebettelt hätten. „Das Grauen geschah vor aller Augen, nicht nur hinter Türen“, so das Webportal spotmedia.ro, das auch das Schweigen der Anwohner für die späte Enthüllung der Missstände verantwortlich macht.
Doch vor allem ihre guten Kontakte zu Lokalpolitikern, Behörden und zur Polizei dürften den nun aufgeflogenen Heimbetreibern ihre schmutzigen Geschäfte ermöglicht haben. Zunehmend unter Druck geraten vor allem Politiker der PSD wie Familienministerin Gabriela Fiera-Pandela: Ihr Mann ist Bürgermeister in Voluntari, ihre Schwester Sozialamtschefin in dem Ort – und ihr früherer Fahrer der nun verhaftete Verwalter von einem der geschlossenen Heime.
Mit der Ankündigung von Verleumdungsklagen gegen alle Medien, die über sie und ihre Familie „Fake News“ verbreiteten, hat die Würdenträgerin auf die Forderungen nach ihrem Abtritt reagiert. Trotz der nahenden Parlamentswahlen im nächsten Jahr scheint Premier Ciocalu Mühe zu haben, seiner parteiinternen Rivalin, die auf den Posten des Bukarester Oberbürgermeisters aast, den auch vom Koalitionspartner PNL geforderten Laufpass zu geben: Von zunehmenden Spannungen innerhalb der Koalition berichten bereits die Bukarester Medien.
In den Karpaten gab es schon immer sonderbare Figuren.