Er hat erst gezögert, ob er kommt. Auch aus Ärger über die NATO und ihre verhaltene Politik der Einladung an die Ukraine für eine spätere Mitgliedschaft im Bündnis. Aber als Wolodymyr Selenskyj dann tatsächlich in Vilnius auftritt, räumt er ab wie ein Rockstar. Er kam, redete und siegte – mit Emotion und Entschlossenheit. Es ist 18.31 Uhr Ortszeit, als der ukrainische Präsident die Bühne auf einem zentralen Platz in der Innenstadt der litauischen Hauptstadt betritt. Neben ihm seine Ehefrau Olena Selenska. Der Präsident im Krieg spricht unter freiem Himmel. Er sucht die Nähe zum Volk. Vor ihm Tausende Bewohner von Vilnius, eingehüllt in große blau-gelbe Flaggentücher, den Nationalfarben der Ukraine. Kinder, die auf den Schultern ihrer Eltern sitzen, schwenken kleine Fähnchen. Undenkbar, dass ein Wladimir Putin, der sich im Kreml eingebunkert hat, aktuell einen derart öffentlichen Freiluft-Auftritt in seiner Heimat wagen würde.
„Slawa Ukraini“, startet Selenskyj seine Rede, die 15 Minuten dauern wird. Immer wieder brandet Jubel auf, weil er die Menschen wirklich erreicht, regelrecht berührt, obwohl sie zeitverzögert auf die Übersetzung ins Litauische warten müssen, die über riesige Lautsprecherboxen zu hören ist. Hoch lebe die Ukraine! Die Menschen applaudieren, viele haben Tränen in den Augen, halten sich vor Rührung die Hände vor das Gesicht. „Danke Litauen, vielen, vielen Dank“, macht er in Englisch weiter. Dann wechselt Selenskyj in seine Heimatsprache, weil Ukrainisch seit 17 Monaten nun einmal „die Sprache der Helden“ sei. Wieder brandet Applaus auf. Es ist ein wunderbarer Sonnen-Juliabend in Vilnius. Es ist friedlich. Es wirkt fast so, als hätte der Mann da oben auf der Bühne keine Sorgen. Dabei ist er auch in Vilnius, um die Existenz seines Landes zu sichern, weil das Schicksal der Ukraine auch damit verknüpft ist, was die NATO, das mächtigste Militärbündnis der Welt, zur Unterstützung des angegriffenen Landes tut.
In der Warteschleife
Selenskyj steht neben dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda, der dem Gast aus Kiew diese Bühne bietet und bereitet hat. Litauen gilt in Europa mit als entschlossenster Unterstützer der Ukraine, weil Nauseda fürchten muss, dass der Landhunger eines rücksichtlosen russischen Kreml-Herrschers auch vor dem Baltikum nicht Halt macht, wenn man ihn denn lassen würde. Selenskyj muss damit leben, dass die NATO ihn in eine nächste Warteschleife bis zur Mitgliedschaft schickt. Auch deswegen sagt er ebenso selbstbewusst wie trotzig: „Die NATO gibt der Ukraine Sicherheit. Die Ukraine macht die NATO stärker.“ Er guckt in die Menge seiner Zuhörer, die erneut applaudieren. Menschen schütteln den Kopf, irgendwie ungläubig über so viel Mut und Entschlossenheit. Als er endet, ruft er noch einmal über den Platz: „Slawa Ukraini – es lebe die Ukraine.“ Die Menschen in Vilnius rufen zurück: „Heroyem Slawa – Ehre den Helden.“ Diana Nausediene, Ehefrau des litauischen Präsidenten, überreicht Olena Selenska schließlich noch einen Strauß mit Blumen – ganz in Gelb. Blau ist an diesem Abend der Himmel über Vilnius. Blau-Gelb.
Richtig erkannt!
Der umjubelte Komiker muss sich vorkommen wie der Erlöser.Ich glaube nicht an ihn, er ist ein Teufel ?!