Mit ersten Ankäufen in der Vorphase des Museums in den 80er Jahren wurde der Grundstock der Sammlung, die in der Folge teils völlig andere Konturen angenommen hat, gelegt. Heute gilt es mit „Deep Deep Down“ nichts mehr in Sachen Sammlung zu beweisen: Vielmehr betonen die externen Kuratoren, diese Sammlung zeichne sich durch „ihre schiere Heterogenität“ aus, man habe die „Qual der Wahl gehabt“. Kurzum, man hat aus der Öffentlichkeit der Sammlung eine Art Paradestück des eigenen Verständnisses von aktuellem „Kuratieren“ gemacht.
Stammten die Kuratorinnen 2020 aus dem Mudam-Umfeld, so sind mit Shirana Shahbazi und Tirdad Zolghadr diesmal zwei externe Experten angeheuert worden. Dies, um die Sammlung zu durchleuchten und ihr durch ihre Auswahl und Darstellung eine ganz persönliche Note zu verpassen. Vier Kriterien haben dabei ihren Handlungsspielraum abgesteckt: ein Werk pro Künstler; Priorität für kleinste Werke in einer Serie; zweidimensionale Objekte in der Ost-Galerie nach Größe geordnet, andere in alphabetischer Reihenfolge in der West-Galerie; 18 audiovisuelle Arbeiten im Auditorium (von der Kürzestdauer bis zum längsten Video); „der größtmögliche Teil der restlichen Objekte in ihren Kisten“ im unteren Foyer ausgestellt, sodass diesen auch eine „ästhetische Funktion zugewiesen“ werden kann. Die Ausstellung „Deep Deep Down“ ist im Untergeschoss des Museums eingerichtet: recht üppig, locker, übersichtlich und zugänglich arrangiert. Sie zeigt Bilder, Drucke, Fotografien, Objekte und über 792 Datenblätter, auf denen Namen der Künstler, Titel und Beschaffenheit der bislang gesammelten Werke verzeichnet sind.
„Ausgeburt der europäischen Moderne“
Waren bei der Ausstellung „25 Jahre Mudam-Sammlung“ vor zwei Jahren Werke von Marina Abramovic über William Kentridge, Blinky Palermo oder Cy Twombly bis hin zu Heimo Zobernig ausgewählt, auch um eine „Reihe von Begriffen, die unmittelbar mit dem zeitgenössischen Kunstschaffen zusammenhängen“, zu thematisieren, so ist das diesmal nicht der Fall. Man habe beschlossen, so das Kuratoren-Team, „so viel wie möglich von der Sammlung auszustellen“, wobei man jedoch oben zitierte Leitlinien zu respektieren hatte, jedoch keine „Kritik“ an der bisherigen Politik anbringen mochte. Es gehe „vielmehr darum, die Sammlung intellektuell und physisch fassbar zu machen“. Anders formuliert: „Es geht darum, diese seltsame, großartige, spektakuläre, luxuriöse, einschüchternde Ausgeburt der europäischen Moderne, die wir gemeinsam als öffentliche Sammlung bezeichnen, in etwas zu verwandeln, das über eine Bestandsaufnahme oder Pressemitteilung hinausgeht“.
Was dies in der Praxis heißt, haben die Kuratoren mit ihrer Auswahl in „Deep Deep Down“ gezeigt.
Am Besucher, diese hehren Absichten stets im Kopf zu haben, wenn er oder sie durch die Galerien im Untergeschoss des Mudam schlendern und sich an den Werken von Etel Adnan, Wim Delvoye, Helmut Dorner, Fabrice Hyber, Richard Long, Filip Markiewicz, Frédéric Prat, Neo Rauch, Thomas Ruff, Cindy Sherman, Wolfgang Tillmans, Edward Steichen, Su-Mei Tse oder Remy Zaugg, David Zink Yi et al. zu erfreuen und/oder sich mit ihren Arbeiten auseinandersetzen. Wer Zeit und Lust hat, kann sich, wie angedeutet, eine Reihe audiovisueller Arbeiten diverser Prägung und Spieldauer im Auditorium ansehen. Uns liegt fern, die Auswahl der Werke einer kritischen Einschätzung zu unterwerfen. Alle Arbeiten sind Bestandteil der Sammlung, stellen so oder so das Œuvre eines Künstlers, eine innovative Technik, ein thematisch begründetes Konzept, eine Strömung innerhalb der Moderne und/oder der zeitgenössischen Kunst oder schlicht und ergreifend sehenswerte Kunst dar, auch wenn die Kuratoren diese Einordnung sicherlich so nicht als Maßstab ihres „Jobs“ genommen haben.
Die Mudam-Sammlung wurde bereits mehrfach für Ausstellungen bemüht; viele Werke werden im Austausch mit anderen Museen auch ausgeliehen, dienen dort der Vervollständigung einer Retrospektive oder einer thematisch belegten Ausstellung und, wie heißt es doch in der Präsentation dieser Ausstellung: „Sammlungen werden im Regelfall nur bruchstückhaft ausgestellt. Ein Großteil der Kunstwerke erblickt, wenn überhaupt, kaum je das Tageslicht. Diese Katakomben sind keine Katastrophe, sondern die Norm. Es liegt im Wesen der Sammlung, dass die Ausstellung als seltener und glanzvoller Moment die Ausnahme bildet.“ So betrachtet ist „Deep Deep Down“ dann wohl ein Glücksfall für Mudam-Besucher!
„Kuratieren losgelöst von Bedeutung“
Abgesehen von der Ausstellung, empfehlen wir die Lektüre der Expo-Broschüre mit dem Aufsatz von Suhail Malik, der über die „Intensität von Vermögensdaten: Kuratieren losgelöst von Bedeutung“ sinniert und dabei spannende Ansichten zum „Kuratieren“ als „fester Bestandteil des Konsumdenkens der Wohlstandsgesellschaft“ in einer recht verschlungenen Sprache kundtut. Er geht dabei weit über die Kunst an sich und das „Kuratieren“ einer Ausstellung im Museum hinaus. Er greift in unser Alltagsleben ein, moniert die gesellschaftliche Entwicklung und ihre Herausforderungen, die wir zu „kuratieren“ haben. Sein Aufsatz mündet in der Feststellung: „Das Subjekt des spektakulären Kuratierens ist stattdessen das Subjekt einer Zukunft, die nicht an die Bedeutung gebunden ist.“
Info
„Deep Deep Down“ bis zum 18. Februar 2023 im Mudam, Öffnungszeiten: Montag-Sonntag: 10.00-18.00 Uhr. Dienstag geschlossen.
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