Es gibt Ereignisse in einem politischen Leben, die „markieren“, sagt der Abgeordnete, frühere Minister und Chamber-Präsident gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Eines dieser Ereignisse sei das Inkrafttreten dieser Reform, der „weitgehendsten Verfassungsreform der letzten anderthalb Jahrhunderte, ein großer Schritt nach vorn“. Wenn Mars Di Bartolomeo über die Reform spricht, dann ist ihm sowohl Freude als auch Erleichterung anzusehen.
Doch zuerst lohnt sich ein Blick zurück. Die erste Verfassung Luxemburgs war am 12. Oktober 1841 von dem damaligen König-Großherzog Wilhelm II. verkündet worden und am 1. Januar 1842 in Kraft getreten. Doch als eigentlicher Vorläufer der aktuellen Verfassung kann jene vom 20. März 1848 gelten, als das Großherzogtum von der in Europa um sich greifenden 48er-Revolution erfasst wurde. Sie wurde erstmals 1856 geändert, eine erste wirklich umfangreiche Revision trat aber erst 1868 in Kraft.
Zahlreiche Nachbesserungen
Seitdem wurde etliche Male nachgebessert, etwa nach dem Ersten Weltkrieg, als die Souveränität vom Großherzog auf die Nation übertragen und das Wahlrecht demokratisiert wurde (unter anderem wurde das Frauenwahlrecht eingeführt). 1996 wurde ein „Cour constitutionnelle“ eingerichtet, dem zudem die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen oblag. Luxemburg schlitterte von 2008 bis 2009 „haarscharf an einer institutionellen Krise vorbei“, wie es Mars Di Bartolomeo einmal formulierte. Nachdem eine Mehrheit der Abgeordneten dem Euthanasie-Gesetz zugestimmt hatte, verweigerte Großherzog Henri, das Gesetz gutzuheißen („sanctionner“), wie es damals in der Verfassung noch vorgesehen war. An dieser wurde schließlich nachgebessert. Jedenfalls sei es als „Warnzeichen“ interpretiert worden – und als Hinweis darauf, dass eine Verfassungsreform notwendig war. Zu jener Zeit reichte der damalige CSV-Abgeordnete Paul-Henri Meyers einen Entwurf für eine neue Verfassung ein. Dieser scheiterte am Veto seiner eigenen Partei. Doch die Idee einer neuen Verfassung war nicht vom Tisch. 2018 bestand zunächst ein Konsens der Regierungsparteien DP, LSAP und „déi gréng“, einen unter Leitung von Meyers und Alex Bodry (LSAP) ausgearbeiteten Reformvorschlag umzusetzen.
Über den Gesamttext war ein Referendum vorgesehen. Der Bericht wurde zwar angenommen, doch zog die CSV ihre Zustimmung wieder zurück. Unter der Leitung von Di Bartolomeo fand sich in der Verfassungskommission schließlich ein neuer Konsens. Die Abgeordneten einigten sich darauf, nicht den gesamten Verfassungstext umzuarbeiten, sondern die Reform in vier Gesetzestexte aufzuteilen. Die vier Entwürfe wurden in zwei Abstimmungen angenommen, dabei stimmten mehr als zwei Drittel der anwesenden Parlamentarier mit „Ja“, ist der Website der Chamber zu entnehmen. Eine Bürgerinitiative hatte zwar darauf bestanden, zu jedem der vier Entwürfe ein Referendum abzuhalten, doch dafür kamen nicht die nötigen Unterschriften zusammen. 2022 war es schließlich so weit: Das Parlament verabschiedete den letzten Teil der Verfassungsreform. Nur die ADR stimmte gegen den Vorschlag, „déi Lénk“ enthielt sich.
In guter Verfassung
Nun tritt die reformierte Verfassung, bestehend aus zwölf Kapiteln und 132 Artikeln, in Kraft. Ob es nun der große Wurf ist, wie einst vorgesehen, darüber lässt sich streiten. Wie der Verfassungsrechtler Luc Heuschling einmal im Tageblatt-Interview 2021 sagte, seien es „keine Quantensprünge“, für Di Bartolomeo in einzelnen Bereichen jedoch durchaus. Im „wichtigsten aller Gesetze“ sei festgeschrieben, so der LSAP-Politiker, „wer wir sind, was wir sind und wofür wir stehen, wie unsere Institutionen stehen, was unsere Rechte und Freiheiten sind und wie sich Luxemburg im internationalen Kontext situiert“. In der Tat geht es im ersten Kapitel um den Staat, seine politische Form und das Staatsgebiet, im zweiten um Grundrechte und Freiheiten, aber auch um Staatsziele mit Verfassungsrang*. „Es ist eine Visitenkarte unseres Landes, angefangen mit der Staatsform, um das Fundament unseres Zusammenlebens“, sagt Di Bartolomeo. Es handele sich in wesentlichen Punkten um einen reellen Fortschritt. Allerdings seien Dinge, die sich bewährt haben, übernommen worden. „Bei der Staatsform etwa brauchten wir nichts zu ändern“, erklärt er. „Parlamentarische Demokratie und konstitutionelle Monarchie – das ist in Beton gegossen.“
Außerdem wurde die luxemburgische Sprache in der Verfassung verankert, ebenso das Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit. „Auch dass wir ein Rechtsstaat sind und für die grundlegenden Freiheiten stehen, dass die menschenrechtlichen Konventionen und die menschliche Würde respektiert werden“, erklärt der Präsident der Verfassungskommission. „Neben dem Verbot der Folter und der Todesstrafe, der Meinungs- und der Religionsfreiheit findet sich auch die Trennung von Staat und Kirche wieder.“ Die reformierte Verfassung bedeutet auch eine Stärkung von Familien- und Kinderrechten. Das Recht auf Arbeit kommt ebenso vor wie das Recht auf würdiges Wohnen, „Der Kampf gegen Klimawandel ist etwas, bei dem wir in die Zukunft blicken“, sagt Di Bartolomeo. „Es geht eben nicht nur um das, was Luxemburg heute ist, sondern auch in der Zukunft.“ Auch darum, dass der Sozialdialog entscheidend für das Luxemburger Modell ist. Das Recht auf Kultur kommt ebenso vor wie das auf Unabhängigkeit der Forschung, nicht zu vergessen die Anerkennung von Tieren als nichtmenschliche Lebewesen, die zu schützen sind.
Es ist keine Revolution, aber eine starke Evolution. Und ein Programm für die Zukunft.
Ein wichtiger Faktor in der reformierten Verfassung ist die Verankerung der Unabhängigkeit der Justiz. Ebenso werden die Rechte der Menschen vor Gericht gestärkt, wie zum Beispiel die Unschuldsannahme. Ein wichtiges Element im Kapitel über die Justiz ist der „Conseil national de justice“. „Auch das ist ein Riesenfortschritt“, so Di Bartolomeo. Wesentliche Veränderungen gebe es auch, was die Rolle des Staatschefs angeht. „Die ist klar definiert“, so der Kommissionspräsident. „Die Verantwortung liegt klar bei der Regierung, der Grand-Duc hat eine repräsentative Funktion.“ Die Rolle des Monarchen sei nicht etwa geschwächt, sondern der heutigen Zeit angepasst. Unterm Strich bringt die Reform, darin sind sich die Experten einig, vor allem eine Stärkung des Parlaments. „Wenn es eine Institution in der Verfassungsreform gibt, die gestärkt wird, ist es die Chamber“, bestätigt Di Bartolomeo. Nicht nur werde das Kontrollrecht verstärkt, auch das Recht auf Vertrauens- und Misstrauensvotum. Auch könne eine Enquetekommission nicht blockiert werden. 20 Deputierte können einen Untersuchungsausschuss verlangen. Di Bartolomeo nennt es „die neue Macht des Parlaments“. Diese sei jedoch mit Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein zu gebrauchen. Hinzu kommt das Recht der Bürger, Gesetzesvorschläge einzubringen: Eine Gruppe von Bürgern kann einen Vorschlag einbringen, bei 12.500 Unterschriften muss der Vorschlag von der Chamber bearbeitet werden.
Nicht im stillen Kämmerlein
„Die Verfassungsreform ist nicht im stillen Kämmerlein entstanden“, betont Di Bartolomeo. „Wir suchten den Kontakt zur Zivilgesellschaft. Eine ganze Reihe von den Vorschlägen – etwa Tierschutz und Klimaschutz – kam von außen. Und wir haben große Anstrengungen unternommen, dass die Bürger den Text kennenlernen konnten. Die einzelnen Kapitel wurden ihnen zukommen gelassen, zum Abschluss der gesamte Text.“ Der 70-jährige Politiker weiß: „Es ist keine Revolution, aber eine starke Evolution. Und ein Programm für die Zukunft. Die Verfassung ist eine Verpflichtung. Es war wichtig, dass wir uns Zeit gelassen haben, und konnten die breite Unterstützung und einen soliden Konsens im Parlament sichern. Schließlich ist eine Verfassung nicht dazu da, um neue Gräben aufzuwerfen, sondern die Gesellschaft zusammenzubringen.“
* Kapitel 1: Der Staat, sein Hoheitsgebiet und seine Einwohner; Kapitel 2: Rechte und Freiheiten; Kapitel 3: Der Großherzog; Kapitel 4: Die Abgeordnetenkammer; Kapitel 5: Die Regierung; Kapitel 6: Der Staatsrat; Kapitel 7: Die Justiz; Kapitel 8: Bestimmungen über die Staatsverwaltung; Kapitel 9: Die Gemeinden; Kapitel 10: Öffentlich-rechtliche Einrichtungen und Berufsorgane; Kapitel 11: Die Änderung der Verfassung; Kapitel 12: Übergangsbestimmungen
Wat awer fehlt ass eng kloor Aussoo, wann iwer Rechter riets geht, fir och Pflichten, dei' zum Thema gehei'eren ze ernimmen !
Do hun eis Politikgreissten awer klaeglech versoot !