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EditorialGefahr von rechts: Wie Demokratien sterben können

Editorial / Gefahr von rechts: Wie Demokratien sterben können
Demokratie am Galgen? Erstürmung des Kapitols in Washington, D.C. Foto: AFP/Andrew Caballero-Reynolds

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Dass mit der liberalen Demokratie nicht das „Ende der Geschichte“ erreicht ist, wie es einst der US-Politologe Francis Fukuyama behauptete, und sich die demokratischen Prinzipien nicht auf immer und ewig durchgesetzt haben, dürfte mittlerweile jedem klar sein. Demokratien können untergehen, entweder spektakulär, zum Beispiel durch einen Putsch, oder durch ein stilles Dahinsiechen. Letzteres sei besonders gefährlich, zeigten die amerikanischen Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem vor fünf Jahren erschienenen Buch „Wie Demokratien sterben – Und was wir dagegen tun können“. Der schleichende Verfall sieht so aus: Die Menschen gehen weiter wählen, nur wählen sie eben Autokraten, die versuchen, die demokratischen Verfassungen und Institutionen allmählich auszuhöhlen. Die Fassade der Demokratie steht noch, doch ihre Substanz löst sich allmählich auf.

Solche oder ähnliche Vorgänge waren bereits in mehreren Ländern zu beobachten, etwa in den USA, aber auch in Brasilien und zahlreichen europäischen Staaten wie Polen und Ungarn. Sie drohen aber auch in Westeuropa, etwa in Italien unter der aktuellen postfaschistisch-rechtspopulistischen Regierung von Giorgia Meloni und in anderen Ländern, wo rechtsgerichtete Parteien mitregieren. Der Trend hin zur „illiberalen Demokratie“ kann sich bald fortsetzen, wenn in Spanien, wo am 23. Juli Parlamentswahlen stattfinden, die Konservativen mit der rechtsradikalen Vox-Partei paktieren. Lange schienen die Rechtspopulisten auf der iberischen Halbinsel keine Chance zu haben, doch die Vox, die gute Beziehungen zu Viktor Orban und Meloni pflegt, liegt in Umfragen stabil bei 15 Prozent. Derweil ist die AfD in Deutschland auf mehr als 18 Prozent geklettert. Und in Frankreich hat, während Präsident Emmanuel Macron die Rentenreform ohne parlamentarische Mehrheit durchboxte, Marine Le Pen davon profitiert und steuert in Richtung Élysée.

Die Demokratie war von Anfang an der Gefahr ausgesetzt, von machtgierigen Demagogen gekapert zu werden, die bei ihrem Aufstieg allesamt einem bestimmten Drehbuch folgen. Wie können sich überzeugte Demokraten zur Wehr setzen, wenn ein stetig wachsender Teil der Bevölkerung dem politischen Establishment gegenüber feindlich eingestellt ist und die Gräben innerhalb der Gesellschaften immer größer werden? Denn mit dem Erstarken der Rechten geht eine zunehmende politische Spaltung der Gesellschaft einher: progressiv, emanzipatorisch und multikulturell auf der einen Seite, konservativ und reaktionär, in der Extremform sexistisch und rassistisch auf der anderen. Zudem wird die Kluft zwischen Arm und Reich größer.

Die sozialen Veränderungen wirken sich auf das Wahlverhalten aus. Der britische Journalist David Goodhart etwa hat in seinem Buch „The Road to Somewhere“ (2017) beschrieben, wie die populistischen Bewegungen entstanden: Die „Somewheres“ („Irgendwo-Menschen“) fühlen sich den „Anywheres“ („Überall-Menschen“) unterlegen und sind negativ gegen Veränderung und Zuwanderung eingestellt. Der französische Geograf Christophe Guilluy wirft derweil den politischen Eliten seines Landes ein mangelndes Problembewusstsein vor: Zunehmend sei davon die Mittelschicht betroffen, die sich nicht mehr gebraucht fühlt und die keinen Platz mehr in der Gesellschaft findet. Sie fühlen sich von den Rechtspopulisten angehört. Analysen gibt es also in vielerlei Hinsicht, doch müssen Konsequenzen daraus gezogen werden. Das gilt auch hierzulande. Mit Wahlversprechen und Lippenbekenntnissen allein ist es nicht getan.

Emile Müller
5. Juli 2023 - 14.53

Die Gefahr kommt nicht von Rechts, sie kommt aus der Mitte! Wenn die Mitte versagt, da karriere- und machtgeile Charaktere die Politik als Sprungbrett in Vorstände benutzen anstelle ihrer Arbeit als gewählte Volksvertreter nach zu kommen und so die Demokratie zur Eigenbereicherung ausnutzen, ist diese zum Sterben verdammt, jedoch nicht durch den rechten Rand, dieser wird lediglich der letzte Nagel im Sarg sein.

Emile Müller
5. Juli 2023 - 12.33

Das Problem mit der Demokratie sind die Parteien, welche eigentlich das Interesse der einzelnen Bürgerschichten representieren sollen. Leider ist es so, dass jede Partei nun alles sein will und keine klarer Identität mehr hat. Die CSV ist nicht wirklich "Christlich", die LSAP schon lange nicht mehr für die Arbeiter da, die Grünen lassen abholzen wie keine andere Partei vor ihnen um ihre Ideeen durchzusetzen,... Und an der Spitze einer jeden Partei sitzen Leute, welche die Politik nicht aus Überzeugung machen, denn sie stehen für absolut nichts, sondern nur aus Eigennutz und als Karrieresprungbrett. Wieviele "Minister" haben dennwährend dieser und der letzten Legislaturperiode hingeschmissen um in irgendwelche Vorstände zu Wechseln... Wenn die Parteien der Mitte für nichts mehr stehen ist es klar, dass die Leute abwandern, leider auch an die politischen Ränder, dort lauern dann Leute mit der gleichen Motiviation, alles Versprechen nur um Stimmen zu bekommen aber nichts liefern. Die Gefahr für die Demokratie kommt nicht von Rechts, Rechts wird nur durch die Gefahr des Missbrauchs der politischen Verantwortung aus der Mitte ermöglicht!

liah1elin2
3. Juli 2023 - 13.32

Demokratie muss erstritten und erarbeitet werden. Wer sich dem entzieht und nicht mehr demokratisch mitgestalten will, sollte sich Gedanken machen unter welchem Regime er/sie leben will.

Grober J-P.
2. Juli 2023 - 9.42

@Robert Hottua / dann mal schnellstens rüber ins andere LW-Lager und kommentieren oder dürfen Sie dort nicht?

Grober J-P.
2. Juli 2023 - 9.38

Halleluja, wie einfach doch manche Menschen gestrickt sind! Mann, Frau will ja "geführt" werden.

Nomi
1. Juli 2023 - 22.18

An Frankreich machen se daat wat an hierer Nationalhymne gesonge gett.
"Aux armes citoyens, formez vos bataillons, marchons, . . . "

Frankreich ass eben keng Natio'un, mee ee Land vun Individualisten an Revolutionairen. Et ass, seit der fransei'scher Revolutio'un, an hirer DNA.

den trottinette josy
1. Juli 2023 - 18.29

Gefahr von rechts: die Schuld von der Mitte und links , von den Regierenden

Beobachter
1. Juli 2023 - 15.10

In Frankreich sieht man aktuell wieder wie zerbrechlich die Diktatur des Kapitals, Demokratie genannt ist!

Robert Hottua
1. Juli 2023 - 14.49

Die ab 1933 im unfehlbaren päpstlichen "Luxemburger Wort" geäußerten Aussagen gelten uneingeschränkt bis heute. Um den Demokratieverfall zu stoppen, muss endlich über diese toxische Situation nachhaltig gesprochen werden.
MfG
Robert Hottua

jung.luc.lux
1. Juli 2023 - 11.37

Bei einer Rechts - Regierung ist noch niemand gestorben. Mich stört Le Pen nicht im Elysée wenn sie für Sicherheit und Ordnung in Frankreich sorgt. Mich stört Meloni in Italien nicht wenn sie für Sicherheit und Ordnung sorgt. (idem Polen, Spanien, Ungarn, Schweden, Griechenland, Türkei) Links - Regierungen haben in Sachen Sicherheit und Ordnung ganz einfach versagt.