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StudieDiktatur statt Demokratie? Deutschlands Osten und die Sehnsucht nach Autoritärem

Studie / Diktatur statt Demokratie? Deutschlands Osten und die Sehnsucht nach Autoritärem
Mut zu „Deutschland“. Eine Fahne mit dem Parteilogo der AfD weht während einer Kundgebung der AfD Sachsen-Anhalt auf dem Marktplatz von Dessau. Foto: Hendrik Schmidt/dpa/Archiv

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Eine Studie zur rechtsextremen Gesinnung in Ostdeutschland liefert teilweise erschreckende Erkenntnisse.

Was ist geblieben von der ehemaligen DDR? Elmar Brähler, emeritierter Professor für medizinische Psychologie und Soziologie an der Uni Leipzig, fasst es knapp so zusammen: Abbiegepfeil, runde Tische und Polikliniken. Geblieben sei bei vielen Menschen im deutschen Osten auch das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, „entwertet“ worden zu sein, so Brähler. Es sei die Geschichte einer „enttäuschten Hoffnung“, belastet durch das „Trauma der Treuhand“, weil beinahe der gesamte Grund und Boden im Osten an den Westen verkauft worden sei.

Über die Langzeitfolgen hat Brähler gemeinsam mit dem Wissenschaftler Oliver Decker, Professor für Sozialpsychologie, am Mittwoch in Berlin eine Studie der Uni Leipzig mit teilweise erschreckenden Erkenntnissen zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland vorgelegt. Unter anderem stimmten bei persönlich geführten Interviews mit 3.546 Frauen und Männern im Osten mehr als ein Viertel (26,3 Prozent) der Aussage voll zu, Deutschland brauche jetzt eine „starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Ein weiteres Viertel der Befragten (24,9 Prozent) verhielt sich dazu unentschieden und lehnte diese Aussage zumindest nicht ab. 14 Prozent hielten die Aussage vollständig richtig: „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert.“ Weitere 19 Prozent lehnten diese Aussage zumindest nicht ab. Allerdings betont Brähler, dass diese teilweise eindeutig rechtsextremen Einstellungen nicht zugenommen hätten, sondern bereits seit rund 20 Jahren auf diesem Niveau in Ostdeutschland verbreitet seien.

„Von Natur aus überlegen“

Die Studie mit dem Titel „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“ ermittelte auch eine feste oder latente Zustimmung für „Sozialdarwinismus“. So stimmten 10,5 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen.“ 21 Prozent verhielten sich unentschieden. Der Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“ stimmten 11,2 Prozent der Befragten zu, 22,6 Prozent lehnten sie nicht ab. Knapp neun Prozent halten Diktatur „im internationalen Interesse“ für die bessere Staatsform. Mit der Demokratie herrscht im Osten große Unzufriedenheit. 77,4 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: „Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut.“

Björn Höcke, Landessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen
Björn Höcke, Landessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen Foto: Heiko Rebsch/dpa

Befragt nach Vergleichen mit Westdeutschland verweist Co-Studienleiter Brähler darauf, dass es auch in Nordrhein-Westfalen, etwa in Städten wie Dortmund, „lange ein Rechtsextremismusproblem“ gegeben habe. Tatsächlich aber gibt es aktuell keine Studie, die derart umfassend nach rechtsextremen Einstellungen auch im Westen fragt. Vor allem langjährige Transformationsprozesse mit Ängsten, Jobverlust, Veränderungsdruck hätten bei einem Teil der Bevölkerung im Osten den Eindruck entstehen lassen, dass sie keine Möglichkeiten hätten, auf ihre Lebensumstände Einfluss zu nehmen. Auffällig sei auch die Neigung eines Teils der Ostdeutschen zu Verschwörungstheorien, wonach es „dunkle Mächte gibt, die im Hintergrund die Fäden ziehen“, so Decker. Laut Studie fühlen sich 23,6 Prozent der Befragten als Verlierer der deutschen Einheit, 57,8 Prozent gaben an, sie fühlten sich als Bürger der ehemaligen DDR.

Luft nach oben bei der AfD

Eine weitere Erkenntnis: Bei der rechten AfD, die am vergangenen Sonntag im thüringischen Sonneberg erstmals überhaupt eine Landratswahl gewinnen konnte, sei noch Luft nach oben. Sie könnte noch mehr Zuspruch für sich mobilisieren. Brähler: „Der AfD ist es gelungen, sich zur neuen Heimat der Rechtsextremen im Osten zu machen.“ Die Partei habe aber darüber hinaus noch ein Reservoir bei Nichtwählern mit ähnlichen Ansichten. Aktuell liegt die AfD in Umfragen für die Landtagswahlen im kommenden Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auf Platz eins beziehungsweise aussichtsreich im Kampf um Platz eins. Sowohl Decker als auch Brähler äußerten sich abwartend zum Vorhaben des thüringischen Innenministeriums, den in Thüringen siegreichen AfD-Kandidaten Robert Sesselmann von Amts wegen eines Demokratiechecks zu unterziehen, ob dieser tatsächlich auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehe. Brähler betont, er hätte sich vielmehr gewünscht, man hätte den AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke seinerzeit überprüft, ob dieser als Lehrer für den Schuldienst geeignet sei. Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Beobachter
29. Juni 2023 - 14.30

Die Diktatur des Kapitals in der freien Marktwirtschaft gefällt eben nicht jedem!