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RadsportDie Tour de France und die Sicherheitsfrage: Ein Ritt am Abgrund

Radsport / Die Tour de France und die Sicherheitsfrage: Ein Ritt am Abgrund
Besonders die Abfahrten nach den Anstiegen sind für die risikobereiten Radsportler gefährlich Foto: Editpress/Anouk Flesch

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Der Tod von Gino Mäder versetzte den Radsport in einen Schockzustand. Bei der Tour de France fährt die Angst vor einem folgenschweren Sturz mit.

Der Schmerz sitzt tief. Auch nach fast zwei Wochen ist der Tod von Gino Mäder im Radsport allgegenwärtig. „Es ist im Moment eine Situation des Schocks“, sagte der frühere Top-Sprinter Marcel Kittel. Vor der am Samstag beginnenden Tour de France befeuerte der tragische Unfall die Sicherheitsdebatte, die Angst vor einem folgenschweren Sturz fährt mit.

„Generell fühle ich einen Moment der Ratlosigkeit“, ergänzte Kittel, der 14 Etappensiegen bei der Frankreich-Rundfahrt feierte. „Man realisiert, dass es teilweise ein lebensgefährlicher Sport ist, den wir betreiben. Das sinkt langsam wieder in die Köpfe rein.“

Manchen Kritikern geht es mit der Sicherheitsreform nicht schnell genug. „Es hat sich leider überhaupt nichts getan“, klagte Tony Martin. Der ehemalige Zeitfahr-Experte sieht den Weltverband UCI in der Pflicht, „die Rennstrecken besser abzusichern und vor allem eine gefahrenfreiere Streckenführung zu wählen.“

Abfangzäune wie im Skirennsport würden bei gefährlichen Abfahrten helfen. Doch eine Strecke damit für Hunderte Kilometer zu verkleiden, ist kaum umsetzbar. „Es bleibt ein Hochrisikosport“, sagte Kittel: „Letztlich bleibt es auch eine Frage der Risikobereitschaft des Sportlers.“

Und die Fahrer gehen dieses Risiko ein, weil sie müssen. Die Führenden benötigen wichtige Sekunden für den Sieg, doch auch die Abgehängten halten das Tempo hoch. Das wurde Mäder bei der Tour de Suisse zum Verhängnis, als er auf einer Abfahrt zum Ziel in eine Schlucht stürzte.

Ein Restrisiko bleibt

Bei der Tour führt auf zwei Etappen eine Abfahrt ins Ziel. Mindestens bei der Streckenanalyse werden die Fahrer dabei an Mäder denken. Der Tod habe „jeden wachgerüttelt“, sagte der deutsche Meister Emanuel Buchmann von Bora-hansgrohe. Doch neben dem Hochgebirge stellen auch Verkehrsinseln oder Fans Gefahren dar, auch bei Massensprints kommt es zu Stürzen.

Das musste Fabio Jakobsen erfahren. Bei der Polen-Rundfahrt vor drei Jahren war der Niederländer kurz vor dem Ziel in die Streckenbegrenzung gedrückt worden. Er überlebte nur knapp. Seitdem werden auf Sprintetappen statt Absperrgittern spezielle Banden aufgestellt, die einen bestimmten Winkel aufweisen, um die Gefahren zu minimieren. Doch ein Restrisiko bleibt.

„Generell ist uns allen bewusst, was wir für ein Risiko eingehen auf den Straßen“, sagte Rolf Aldag, Sportlicher Leiter beim deutschen Top-Team Bora-hansgrohe: „Wir haben eben keine Fangzäune oder Kiesbetten wie in der Formel 1.“ Man müsse „in Ruhe reflektieren: Was macht Sinn? Was ist zielgerichtet? Wie machen wir jetzt weiter? Da müssen Teams, Veranstalter und Sportler an einen Tisch.“

Für die Tour de France 2023 kommt das alles zu spät. Schon an den ersten Renntagen warten im Baskenland enge Kurven und steile Abfahrten. Stürze sind da nur eine Frage der Zeit, zumal die Fahrer zum Auftakt risikofreudig sind. Es geht beim wichtigsten Rennen der Welt schließlich um eine Menge Prestige.

„Ich glaube, man muss einfach damit umgehen“, sagte Ralph Denk, Teamchef von Bora-hansgrohe. „Es gibt eben Sportarten, die sind gefährlich.“

Der Radsport gehört dazu. (SID)