In zehn Tagen steht wieder das knallharte Ausleseverfahren auf dem Kalender: 15.400 Bewerber rittern in einem gefürchteten Aufnahmetest um die insgesamt 1.850 Studienplätze an den österreichischen Medizin-Unis in Wien, Linz, Graz und Innsbruck. Fest steht schon jetzt: Nur drei Viertel dieser Plätze werden an Österreicher gehen. Darunter werden sich noch der eine oder andere Luxemburger, Liechtensteiner oder Südtiroler mischen, denn die sind Österreichern gleichgestellt. Ein Fünftel der Studienplätze ist gemäß einer seit 2006 geltenden Quotenregelung EU-Bürgern vorbehalten, die restlichen fünf Prozent Drittstaatsangehörigen.
Doch jetzt wird dieses ursprünglich von der EU-Kommission bekämpfte, 2017 aber vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgesegnete System in Österreich selbst infrage gestellt. Und wieder geht es vor allem um die deutschen Numerus-Clausus-Flüchtlinge, die das Gros der EU-Quote in Anspruch nehmen.
Piefke-Fluchtroute
An die Spitze des Widerstandes hat sich die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gestellt. Der aus ihrem Bundesland stammende Bundeskanzler und Parteifreund Karl Nehammer apportierte vorige Woche umgehend die Beauftragung von Wissenschaftsminister Martin Polaschek mit einer Prüfung der Causa. Mikl-Leitner hat sich vom Europarechtsprofessor Walter Obwexer bereits einen Plan für die Schließung der Piefke-Route ausarbeiten lassen. Dessen Gutachten kommt zum Ergebnis, dass Österreich die Zulassungsbeschränkungen des jeweiligen Heimatlandes auf die ausländischen Studierenden anwenden dürfe. Konkret: Nur Deutsche mit deutscher Studienberechtigung können auch in Österreich den Arztberuf anstreben.
Gerechtfertigt wird dies mit einer Begründung, die man „normalen“ Flüchtlingen nicht vorhalten würde: Weil erfahrungsgemäß mehr als drei Viertel der Deutschen drei Jahre nach der Beendigung ihres Studiums Österreich wieder verlassen würden, wird die Quotenregelung als kontraproduktiv im Kampf gegen den heimischen Ärztemangel gewertet und daraus die Berechtigung abgeleitet, dieses System zu beenden. Um in Österreich den Gesundheitsschutz für alle aufrechtzuerhalten, müssten die vorhandenen Studienplätze für Humanmedizin möglichst jenen Personen zur Verfügung gestellt werden, „die aufgrund ihrer Nahebeziehung zu Österreich nach der Ausbildung mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Tätigkeit in Österreich ausüben werden“, findet Obwexer. Mikl-Leitner verweist auch darauf, dass die Ausbildung eines Arztes schon bei der Mindeststudiendauer von zwölf Semestern 360.000 Euro kostet, Österreich also Deutschland mit der Finanzierung der bleibeunwilligen NC-Flüchtlinge subventioniert.
Akuter Ärztemangel
Die Personalnot im Medizinbereich ist unbestritten: In österreichischen Spitälern sind 700 Ärztestellen unbesetzt, was die Schließung von 2.775 Spitalsbetten zur Folge hat – 1.000 mehr als es im Wiener AKH, Österreichs größtem Krankenhaus, gibt. Auch außerhalb der Spitäler herrscht akuter Ärztemangel: Für mehr als 300 Arztpraxen finden die Gesundheitskassen keinen Betreiber. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings eine steigende Zahl von sogenannten Wahlärzten, die ohne Kassenvertrag arbeiten und ihr Honorar nach Belieben gestalten. Die können sich freilich nur betuchte Patienten oder solche mit entsprechender Zusatzversicherung leisten. Denn die Gesundheitskasse refundiert nur 80 Prozent des Kassentarifes, was oft nur einen Bruchteil des tatsächlich verrechneten Honorars ausmacht. Kein Wunder, dass es Ärzte eher in diese lukrativere Richtung zieht. Von den derzeit 19.643 niedergelassenen Ärzten in Österreich ordinieren 11.343 ohne Kassenvertrag. Seit 2011 ist die Zahl der Kassenärzte bei einer Bevölkerungszunahme um zehn Prozent um 130 auf 8.300 gesunken. Die Zahl der für viele unerschwinglichen Wahlärzte stieg dagegen um gut 3.000.
Österreich unattraktiv
Gründe für den Ärztemangel im Kassensystem sind neben den begrenzten Verdienstmöglichkeiten unattraktive Dienstzeiten und überbordende Bürokratie. Manche ergreifen überhaupt die Flucht aus Österreich in deutlich besser dotierte Medizinerjobs im Ausland. Nicht nur deutsche Medizin-Absolventen zieht es deshalb wieder zurück in die Heimat, auch viele Österreicher lockt der Ruf besserer Entlohnung und Arbeitsbedingungen in die Nachbarschaft. Nicht zu vergessen: Es gibt alljährlich auch einige Hundert österreichische Aufnahmetest-Flüchtlinge, die in Deutschland Medizin studieren, weil sie mit entsprechend guten Maturanoten dem Numerus Clausus entsprechen und sich so das umstrittene Auswahlverfahren in der Heimat ersparen.
Diese systemimmanenten Ursachen des alpenrepublikanischen Ärztemangels wird die Regierung in Wien berücksichtigen müssen, sollte sie wegen der NC-Flüchtlinge tatsächlich einen neuen Streit mit Berlin und Brüssel vom Zaun brechen wollen.
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