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Proteste im IranDie Engel von Schiras: Luxemburger Studenten erinnern an Hinrichtungen von zehn Frauen vor 40 Jahren

Proteste im Iran / Die Engel von Schiras: Luxemburger Studenten erinnern an Hinrichtungen von zehn Frauen vor 40 Jahren
Kundgebung in Paris im September 2022 aus Solidarität mit den Aufständischen im Iran Foto: AFP/Christophe Archambault

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Ein Dreivierteljahr nach dem Beginn der jüngsten Protestbewegung im Iran gehen die Schergen des Mullah-Regimes nach wie vor mit äußerster Brutalität gegen die Aufständischen vor. Iranische Studenten von der Uni Luxemburg erinnern an die lange Geschichte der Unterdrückung.

Im Minirock oder in kurzen Sporthosen auf der Straße zu spazieren, ist für Frauen im Iran noch immer gefährlich. Es erfordert Mut. Denn die gefürchtete Sittenpolizei und eine Miliz aus freiwilligen jungen Männern kontrolliert noch immer, ob die strengen Kleidervorschriften eingehalten werden. „Die Feindschaft gegen Frauen gehört von Beginn an zu den politischen Grundpfeilern der Islamischen Republik Iran“, schrieb die deutsche Fernsehjournalistin Golineh Atai, die in Teheran geboren wurde, im Alter von fünf Jahren 1979, im Jahr der Islamischen Revolution im Iran, mit ihren Eltern nach Deutschland zog und im badischen Sinsheim aufwuchs. So heißt der Slogan des aktuellen Protests nicht zufällig „Frau, Leben, Freiheit“. Denn schließlich bilden Frauen die Speerspitze des Widerstands.

Weiblich sein und dazu noch der Glaubensgemeinschaft der Bahai anzugehören, ist im Iran ein doppelter Nachteil, weil die Bahai besonders unter der staatlich gelenkten Diskriminierung leiden müssen. Sie stellen die größte religiöse Minderheit in dem von schiitischen Muslimen beherrschten Land dar. Dabei werden sie im Gegensatz zu Christen, Juden und Zarathustra-Anhängern nicht als solche von der iranischen Verfassung geschützt. Sie gelten als Erzfeinde des Schiitentums und werden als Sündenböcke benutzt. Sie seien Spione oder gar Zionisten. Dabei schreibt ihnen ihr Glaube vor, sich nicht in die Politik einzumischen und Gewaltlosigkeit zu praktizieren. Dadurch dass ihre Religion nach dem Islam entstanden ist, erst im 19. Jahrhundert, gelten die Bahai, von denen etwa 300.000 im Iran leben, als Häretiker. Hinzu kommt, dass ihr weltoffener Glaube den Ayatollahs wohl zu fortschrittlich ist, schrieb die Süddeutsche Zeitung einmal. Sie genießen keinen staatlichen Schutz. Sie sind „religiöses Freiwild“.

Die Menschenrechtsaktivistin Parastoo Fatemi ist heute in Düsseldorf in der Flüchtlingshilfe tätig
Die Menschenrechtsaktivistin Parastoo Fatemi ist heute in Düsseldorf in der Flüchtlingshilfe tätig Foto: Editpress/Tania Feller

Vor 40 Jahren wurden in der Millionenstadt Schiras im Süden des Landes zehn Frauen hingerichtet, allesamt Angehörige der Bahai. Darunter befand sich die damals 17-jährige Mona Mahmudnizhad. Die junge Frau hatte in einem Schulaufsatz die Frage aufgeworfen, weshalb sie ihre Gedanken nicht frei äußern dürfe: „Warum darf ich nicht frei reden, nicht in Zeitungen schreiben, im Radio oder im Fernsehen sprechen?“ Sie musste wegen dieser Zeilen nicht nur zum Schuldirektor, sondern wurde inhaftiert und schließlich zum Tode verurteilt. Am 18. Juni 1983 wurde Mona Mahmudnizhad, zusammen mit neun weiteren Frauen, gehängt. Sie hatten sich geweigert, zum Islam zu konvertieren. Unter ihnen befand sich auch Roya Eshragi. Die damals 23-Jährige musste zusehen, wie ihre Mutter Ezzat getötet wurde. Denn die Schergen des Regimes vollzogen die Hinrichtungen dem Alter nach.

Lange Geschichte der Verfolgung

Die Geschichte der Verfolgung der Bahai reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Mehrmals war es zu Pogromen gekommen. Nach der Islamischen Revolution 1979 unter dem aus dem Exil heimgekehrten Ajatollah Khomeini und dem Sturz von Schah Mohammad Reza Pahlavi wurden Tausende Bahai verhaftet und gefoltert, über 200 von ihnen hingerichtet, mehr als zehntausend flohen ins Exil. Unter Führung der sogenannten Religionswächter wurden ihre religiösen Städten entweiht, zerstört und zweckentfremdet. Das Eigentum der Bahai wurde enteignet, Geschäfte mit ihnen verboten, ihre Läden geschlossen.

Den Bahai wurde außerdem der Besuch von höheren Bildungseinrichtungen verwehrt, ihre Häuser wurden überfallen und in Brand gesteckt, die Bewohner umgebracht, wenn sie nicht zum Islam konvertierten. Ein Zeugnis davon, was ihr widerfahren ist, hat Olya Roohizadegan abgelegt. Sie wurde im Herbst 1982 festgenommen, als sie mit ihrem jüngsten Sohn zu Hause war, und ins Gefängnis gebracht. Dort wurde sie gefoltert, unter anderem durch Schläge mit Elektrokabeln. Ihrem Mann wurde angeboten, sie freizukaufen. Er musste den Revolutionsgarden das Haus der Familie überschreiben.

Olya floh unmittelbar nach ihrer Freilassung nach Pakistan. Heute lebt die inzwischen 80-Jährige im australischen Adelaide. In „Olya’s Geschichte“ beschreibt sie, wie sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Bahai-Religion von den Mullahs inhaftiert und misshandelt wurde. In einem Geheimpapier des Obersten Islamisch Revolutionären Kulturrates von 1991, das zwei Jahre später von den Vereinten Nationen veröffentlicht wurde, ist nachzulesen, dass die Bahai auf allen gesellschaftlichen Ebenen diskriminiert werden sollten. Auch die kulturellen Wurzeln der Bahai im Ausland sollten zerstört werden.

Gedenken an die zehn hingerichteten Frauen von Schiras
Gedenken an die zehn hingerichteten Frauen von Schiras Foto: Editpress/Stefan Kunzmann

Dass unter den zehn Frauen von Schiras mit der 17-jährigen Mona, der in der offiziellen Anklage die „Irreleitung von Kindern und Jugendlichen“ vorgeworfen wurde, auch eine Minderjährige war, hatte einen internationalen Aufschrei verursacht, der dazu führte, dass der damalige US-Präsident Ronald Reagan ein Gnadengesuch für die einreichte. Erfolglos, wie sich herausstellte. Ihr Schicksal erlangte jedoch symbolische Bedeutung. Unter anderem Künstler beschäftigten sich damit. Und der 40. Jahrestag der Hinrichtung der zehn Frauen am 18. Juni 1983 diente als Anlass für die weltweite Kampagne #OurStoryIsOne.

Eine Gruppe iranischer Studenten hat nun im Zuge dieser Kampagne an der Uni in Belval Menschenrechtsaktivisten zu Wort kommen lassen, so etwa Parastoo Fatemi, die ein Masterstudium in Human Rights in Wien absolvierte und heute in Düsseldorf in der Flüchtlingshilfe tätig ist. „Ich habe in sechs verschiedenen Ländern gelebt. Im Iran konnte ich nicht studieren“, sagt sie. „Mir fiel es außerdem schwer, meine Geschichte mit anderen zu teilen.“ Nach Jahrzehnten der Unterdrückung herrsche im Iran nach wie vor eine ausgeprägte Kultur des Misstrauens und der Angst. Selbst Iraner, die im ausländischen Exil leben, fürchteten sich davor, etwas zu sagen, weiß Parastoo Fatemi, weil das Teheraner Regime ihre Familien im Iran bedrohe.

Gedenktag am 18. Juni in der Uni Luxemburg
Gedenktag am 18. Juni in der Uni Luxemburg Foto: Editpress/Stefan Kunzmann

„Politisches Erdbeben“

Solange die internationale Gemeinschaft keinen Druck auf die Machthaber ausübe, fühlten diese sich im Recht und setzten ihre Repression ebenso fort wie ihre aggressive Politik in der Region, so die Menschenrechtlerin. Das Regime begreift sich als Beschützer der schiitischen Muslime, die in den anderen Staaten meistens als Minderheit leben. Lange Zeit galt insbesondere Saudi-Arabien als Hauptrivale. Umso bedeutender war nun die Ankündigung beider Staaten am 10. März, ihre 2016 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen. Dies sei einem „politischen Erdbeben“ gleichgekommen, meint Guido Steinberg von der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). Das Abkommen beende einen regelrechten Kalten Krieg zwischen den beiden Rivalen, der seit 2011 und verstärkt seit 2015 ausgefochten worden sei. „Anlass war die beispiellose Expansion des Iran, das in die Bürgerkriege in Syrien, im Irak und im Jemen intervenierte und seinen Einfluss im Nahen Osten massiv ausweitete“, erklärt Steinberg.

Im September 2019 trafen iranische Drohnen und Marschflugkörper die saudi-arabischen Ölanlagen von Khurais und Abqaiq, was dem Königreich seine Verwundbarkeit demonstrierte. Seither ist Riad verstärkt an einer Annäherung der beiden Regionalmächte interessiert. Diese „dürfte allerdings nicht lange währen“, so Steinberg. Saudi-Arabien betrachte den Iran weiterhin als Bedrohung und sei bemüht, die eigene Position gegenüber dem Nachbarn mithilfe der USA und Israels zu stärken. Die Verhandlungen über eine Neuauflage des Atomabkommens von 2015 dürften als gescheitert betrachtet werden oder sind zumindest in eine Sackgasse geraten. Präsident Ebrahim Raisi verfolgt eine harte Linie in den Gesprächen mit dem Westen. Der Iran droht weiter aufzurüsten. Erst zu Beginn des Monats stellte der Iran seine erste im eigenen Land hergestellte ballistische Hyperschallrakete vor. Sie hat eine Reichweite von 1.400 Kilometern.

Der etwas andere Aufstand

Derweil hat sich das Regime außenpolitisch seit Beginn der landesweiten Proteste ab September 2022 weiter isoliert. Der aktuelle Aufstand begann, nachdem die 22-jährige Kurdin Mahsa Jina Amini wegen einer nicht vorschriftsmäßig getragenen Kopfbedeckung von der berüchtigten Sittenpolizei festhalten wurde und in der Haft verstarb. Mehrfach hat es im Iran Protestbewegungen gegeben: 1999 regte sich vor allem an den Universitäten Widerstand, der unter dem damaligen, als Reformpräsident geltenden Präsidenten Mohammad Khatami blutig niedergeschlagen wurde; nach den mutmaßlich gefälschten Wahlen von 2009, bei denen der Kandidat der Reformer, Hossein Mussawi, dem Amtsinhaber und Hardliner Mahmud Ahmadinedschad unterlegen war, demonstrierten bis zu drei Millionen Menschen vor allem aus der städtischen Mittelschicht gegen das Wahlresultat und für mehr Freiheit – auch diese Proteste wurden gewaltsam beendet; bei einem erneuten Aufstand zum Jahreswechsel 2017/18 weiteten sich die Proteste auf die kleineren Städte und ländlichen Regionen aus, wieder antwortete das Regime mit brutaler Repression und ließ hunderte Demonstranten erschießen; im November 2019 wurde aus Anlass unter anderem von Benzinpreiserhöhungen protestiert –, Religionsführer Ali Khameini befahl, den Widerstand mit allen Mitteln zu brechen, westlichen Medien zufolge kamen bis 1.500 Menschen ums Leben. Der aktuelle Aufstand sei anders als die bisherigen, heißt es. Er habe die bisher größte gesellschaftliche Basis seit der Islamischen Revolution und ist klassenübergreifend. Mittlerweile geht es den Aufständischen vor allem um einen Regimewechsel.

Mahboubeh Moradi leistet seit November 2019 aktiv Widerstand gegen die Diktatur im Iran
Mahboubeh Moradi leistet seit November 2019 aktiv Widerstand gegen die Diktatur im Iran Foto: Editpress/Tania Feller

Unter denen, die den Unterdrückungsapparat zu spüren bekommen haben, ist auch Raha Sabet Sarvestani. Die Frauenrechtlerin, Soziologin, Politologin und Religionswissenschaftlerin verbrachte jahrelang in Einzelhaft. „Wir brauchen mehr Raum für einen Austausch, eine Gelegenheit, um zusammenzukommen. Dann können wir auch Veränderungen erwarten.“ Derweil leistet Mahboubeh Moradi, die für eine säkulare Demokratie im Iran streitet, seit November 2019 aktiv Widerstand gegen die Diktatur, als bei der Niederschlagung der knapp zweiwöchigen Unruhen etwa 1.500 Menschen getötet wurden, so viele wie seit der Islamischen Revolution 1979 nicht mehr. Mahboubeh Moradi nahm an Demonstrationen teil und organisierte selbst Veranstaltungen, um auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Sie kritisiert, dass „die westlichen Länder nach wie vor das Regime unterstützen“.

Wie die zehn hingerichteten Frauen von 1983 stammt Zahra Kazemi, eine iranisch-kanadische Fotojournalistin, ursprünglich aus Schiras. Sie hatte im Juni 2003 das berüchtigte Evin-Gefängnis am nördlichsten Stadtrand von Teheran von außen fotografiert. Daraufhin wurde sie verhaftet. In der Haft vergewaltigte man sie. Aufgrund der Folter erlitt sie schwere Kopfverletzungen und Hirnblutungen, der zufolge sie ins Koma fiel, aus dem sie nicht mehr erwachte. Der zuständige Staatsanwalt Said Mortasawi, der die Verhaftung angeordnet hatte, verschleierte die Todesumstände, wie sich später herausstellte. Wie die anderen an Kazemis Tod beteiligen Personen, kam er ungestraft davon.

Derweil geht die Unterdrückung weiter. Hunderte Schulmädchen wurden vergiftet. Die Journalistin Nahayat Tizhoosh bezeichnet die Giftanschläge als „nur eine Variante derselben perfiden Klaviatur“. Und sie weist darauf hin, dass Schulen im Iran besonders im Fokus des Regimes stünden: „Hier ist es, wo sie ihre Ideologie besonders brutal durchsetzen.“ Nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September vergangenen Jahres, der die landesweiten Proteste auslöste, hat sich auch in den Schulen die Situation verschärft.

Mittlerweile sind mehr als neun Monate vergangen, seit der jüngste Aufstand begann. „Die größten Proteste haben sich beruhigt – aufgrund massiver Repression“, schreibt die Journalistin Golineh Atai in der aktuellen Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik. „Die meisten Menschen befinden sich in einer Depression – wegen der psychischen Folgen der Repression, aber auch wegen der atemberaubenden Wirtschaftskrise. (…) Und doch ist die Revolte keineswegs beendet, im Gegenteil: Wir befinden uns mitten in einer Art sanftem Krieg, einer andauernden Revolution der Werte und Mentalitäten, bei der keineswegs ausgemacht ist, dass das Regime am Ende obsiegen wird.“ Letzteres kann nur noch mit Zwang und Repression überleben, indem es seine Polizeispitzel unter die Demonstranten schickt. Die Helfer des Regimes notieren sich die Nummernschilder von Autos, in denen unverschleierte Frauen sitzen, Sittenwächter halten nach wie vor Frauen an und sagen ihnen, dass sie ohne Kopftuch die U-Bahn nicht benutzen dürfen oder lauern vor den Universitäten. Schiitische Geistliche heuern Spione an, um unverschleierte Frauen zu denunzieren.

Solidaritätskundgebung kurdischer Frauen in Beirut im September 2022
Solidaritätskundgebung kurdischer Frauen in Beirut im September 2022 Marwan Naamani/dpa

Diversität der Aufständischen

„Iran – Die Freiheit ist weiblich“ heißt das Buch, das Golineh Atai geschrieben hat. Sie hat dafür unzählige Gespräche mit Frauen geführt. „Ich bin hoffnungsvoller geworden“, zitiert sie eine Mutter, deren Sohn 2009 bei einer Demonstration gegen das Regime erschossen wurde. Atai weist darauf hin, dass die Chance der iranischen Auslandsopposition, die immerhin erstmals ein Bündnis schloss, die „Allianz für Freiheit und Demokratie im Iran“, vertan wurde. Die Journalistin stellt ebenso fest: „Prominente staatliche Überläufer gibt es nach wie vor keine.“ Doch Atai schreibt auch, dass die Diversität der Aufständischen und der Opfer unsere Aufmerksamkeit verdiene: die Mittelschicht, aber auch Arbeiter, Frauen wie Männer, Sportler und Künstler, Monarchisten und Kommunisten.

Auch Shiva Akhlaghi erlebte als Bahai eine lebenslange Diskriminierung, sowohl in der Schule als auch in anderen Bereichen. Sie hatte eine fotografische Ausbildung gemacht und wurde beim Angkor Festival unter die 30 besten Fotografen in Asien aufgenommen. Zusammen mit ihrem Ehemann hatte sie ein Fotostudio in Schiras. Doch Shiva Akhlaghi wurde acht Monate eingesperrt aufgrund ihrer religiösen Überzeugung. Das Ehepaar musste das Studio schließen. Mithilfe der luxemburgischen Regierung konnten die beiden ausreisen und leben seither im Großherzogtum. Auch Shiva Akhlaghi gedenkt der zehn Bahai-Frauen, die am 18. Juni 1983 in Schiras zum Tode verurteilt und gehängt wurden. Mit der Kampagne #OurStoryIsOne soll weiter an die „Engel von Shiras“ erinnert werden.