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RusslandDie Zukunft des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu steht infrage

Russland / Die Zukunft des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu steht infrage
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu könnte, wie Jewgeni Prigoschin es fordert, möglicherweise dennoch ersetzt werden Foto: Handout/Russian Defence Ministry/AFP

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Sie sonnten sich gemeinsam mit nacktem Oberkörper in Sibirien, angelten zusammen und spielten in derselben Eishockeymannschaft. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu galt lange Zeit nicht nur als politischer Verbündeter von Präsident Wladimir Putin, sondern auch als einer seiner wenigen Freunde innerhalb des Moskauer Machtzirkels. Spätestens seit dem Putschversuch der Wagner-Söldner vom Samstag ist nicht nur diese Männerfreundschaft, sondern auch die politische Zukunft Schoigus infrage gestellt.

Nicht die Truppen des Verteidigungsministers, sondern die Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko stoppte am Wochenende offenbar den Vormarsch der Söldner-Truppen auf Moskau. Den aufständischen Kämpfern war es zuvor gelungen, das Hauptquartier der Armee in Rostow am Don einzunehmen, die Schaltstelle für den Krieg gegen die Ukraine. Schoigu sei „wie ein Feigling“ geflohen, beschimpfte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin den Minister.

Nach dem Aufstand verschwand Schoigu zunächst aus der Öffentlichkeit. Am Montag versicherte sein Ministerium dann, er habe russische Truppen in der Ukraine besucht und den Einsatz der Soldaten dort gelobt. In vom Staatssender Rossia 24 ausgestrahlten Aufnahmen war zu sehen, wie Schoigu beim Besuch eines Kommandopostens in der Ukraine einen Bericht über die militärische Lage verfolgt, Karten studiert und mit einem Hubschrauber die russischen Stellungen inspiziert.

Doch viele Experten sind sich einig: „Der große Verlierer ist Schoigu“, beurteilte Arnaud Dubien, Leiter der französisch-russischen Denkfabrik L’Observatoire, die Ereignisse vom Wochenende. Schon vor der Revolte der Söldner stand Schoigu aufgrund der Misserfolge im Krieg gegen die Ukraine unter Druck. Prigoschin machte ihn und Generalstabschef Waleri Gerassimow für den Tod zehntausender Russen verantwortlich. Am 12. Juni wurde ein Video verbreitet, das Putin und Schoigu bei der Verleihung von Medaillen in einem Militärkrankenhaus zeigt: Der Präsident wendet seinem Minister dabei in offensichtlicher Verachtung den Rücken zu.

Schoigu stammt aus der Region Tuwa in Südsibirien und gehört zu den wenigen nicht-ethnischen Russen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Spitzenpositionen in der Regierung innehatten. Sein Aufstieg begann 1994, als er in den ersten Jahren der Präsidentschaft von Boris Jelzin zum Minister für Notsituationen ernannt wurde. Schoigu wurde zu einem der beliebtesten Politiker, da er im ganzen Land unterwegs war, um Katastrophen zu bewältigen – von Flugzeugabstürzen bis zu Erdbeben. Er diente in diesem Amt, bis er 2012 Gouverneur der Region Moskau wurde.

Spekulationen über möglichen Nachfolger

Kurz darauf berief Putin Schoigu zum Verteidigungsminister, nachdem sein Vorgänger Anatoli Serdjukow über einen Korruptionsskandal gestürzt war. Er wurde sofort zum General ernannt, obwohl er keine Erfahrung als ranghoher Militär hatte. Seine Einsätze waren aus russischer Perspektive dennoch erfolgreich, wie der in Syrien 2015 zur Unterstützung von Machthaber Baschar al-Assad.

Zum 65. Geburtstag hatte Putin ein besonderes Geschenk für seinen Freund: die Medaille „Für Verdienste um das Vaterland“, eine der höchsten Auszeichnungen Russlands. Die Invasion in der Ukraine unter Schoigus Führung im vergangenen Jahr verlief dann jedoch ganz anders als vom Kreml geplant: Statt binnen Tagen Kiew einzunehmen, dauert der Krieg nun bereits 16 Monate.

Mit der demonstrativ zur Schau gestellten Männerfreundschaft ist es seither vorbei. Fotos wie 2017, als die beiden mit entblößter Brust an einem Fluss in der sibirischen Taiga posierten, gibt es nicht mehr. Aktuellere Aufnahmen zeigen, wie Schoigu Putin murmelnd Bericht erstatten muss oder per Video mit dem Präsidenten konferiert.

In den russischsprachigen Telegram-Kanälen wird bereits über mögliche Nachfolger Schoigus spekuliert. Als Favorit gilt demnach der Gouverneur der Region Tula, Alexej Djumin, der bereits Spitzenpositionen in der Armee und im Sicherheitsapparat des Präsidenten innehatte. „Schoigus Gruppe steht am Rande des Zusammenbruchs, und Sergej Schoigu selbst ist in Ungnade gefallen und wird höchstwahrscheinlich zurücktreten“, ist in dem populären Telegram-Kanal Preemnik zu lesen. (AFP)