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PolenDrohgespenst der Einmischung Russlands oder bloß Wahlkampftaktik? Kaczynski wird wieder Vize-Premier

Polen / Drohgespenst der Einmischung Russlands oder bloß Wahlkampftaktik? Kaczynski wird wieder Vize-Premier
Jaroslaw Kaczynski – hier auf einem Bild von Oktober 2013 – zieht die Zügel wieder straffer an Foto: Wojtek Radwanski/AFP

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Vor Jahresfrist trat Jaroslaw Kaczynski aus der polnischen Regierung aus, um sich um den Wahlkampf seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu kümmern. Seit Mittwoch ist er aus genau denselben Gründen wieder zurück im Kabinett von Regierungschef Mateusz Morawiecki.

Staatspräsident Andrzej Duda ernannte Kaczynski am Mittwoch erneut zum Vize-Premier. Er begründete den Schritt in einer lange Rede mit der russischen Gefahr im Wahlkampf. „In den nächsten Wochen kann es zu Einmischungen einer Weltmacht unweit von uns in unseren Wahlkampf kommen, deshalb müssen wir die Regierungsarbeit verstärken“, sagte Duda, ohne Russland direkt beim Namen zu nennen.

Polen wählt im Herbst ein neues Parlament. Kaczynskis weltanschaulich konservative, aber wirtschaftspolitisch links-populistische Regierungspartei PiS möchte die Wahlen ein drittes Mal in Folge gewinnen. PiS führt seit Jahresanfang in den Umfragen mit 32-39 Prozent, doch die bisher immer noch nicht vereinte Opposition folgt ihr auf dem Fuß.

Der Kabinettsumbau soll offenbar neuen Schwung in den Wahlkampf der PiS bringen, denn Kaczynski soll diesmal der einzige Vize-Premier sein und als solcher die Regierungsarbeit koordinieren. Die bisherigen vier Vize-Regierungschefs aus dem Verteidigungs-, Kultur- und Schatzministerium wurden am Mittwoch von Duda entlassen. In den kommenden Tagen sollen auch ein paar Köpfe von Vizeministern rollen.

Kaczynski leitete die Regierung Morawiecki bisher de facto vom Parteisitz der PiS aus. Nun soll er aus einer stärkeren Position heraus als Kabinettsmitglied eine bessere Kontrolle über seine Regierungsmannschaft erhalten. Laut Duda soll Kaczynski dazu auch die Verteidigungsbereitschaft und die Finanzen überwachen. Bereits von Oktober 2020 bis Juni 2022 war Jaroslaw Kaczynski als Vize-Premier der Verteidigungskoordinator.

Morawiecki kontrollieren

Die Opposition wie auch manche PiS-Insider gehen indes davon aus, dass Kaczynski die Fraktionskämpfe und den Dauerstreit zwischen Morawiecki und dem EU-feindlichen Justizminister Zbigniew Ziobro von der kleinen Juniorkoalitionspartei „Souveränes Polen“ glätten soll. Auch soll der PiS-Parteichef bisher oft chaotisch ins Parlament gebrachte und teils widersprüchliche Gesetzesvorlagen künftig verhindern. „Kaczynski wird Über-Regierungschef“, höhnte am Mittwoch das regierungskritische Nachrichtenportal onet.pl. Beim Kabinettsumbau ginge es darum, dass Morawiecki wieder vermehr kontrolliert werden solle, analysierte das Portal.

Ein Schreckensszenario malte hingegen am Mittwochabend Marek Migalski an die Wand, ein lange Zeit eng mit PiS verbundener Politologe: „Für den Wahlkampf ist dieser Schritt unverständlich, ja sinnlos“, kritisierte Migalski und warnte in der Presse vor der möglichen Vorbereitung eines Ausnahmezustands in Polen sowie der Absage von Parlamentswahlen. Laut dem Politologen wäre nur Kaczynski hart genug, solche „gewaltigen Schritte“ zu wagen, während die bisherigen vier Vize-Premiers sich solch einer radikalen Lösung wohl verweigern würden.

Der PiS-Regierung ist Anfang Juni von der Straße aus viel Gegendruck entstanden, nachdem die Regierungspartei ein höchst umstrittenes Gesetz über eine Sonderkommission zur Abklärung russischer Einflüsse in Polen beschlossen hatte. Mit dieser von der Opposition als „Lex Tusk“ bezeichneten Vorlage könnte der Oppositionsführer und ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO) politisch kaltgestellt und für die nächsten zehn Jahre von sämtlichen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Gegen dieses bisher letzte PiS-Gesetz gingen landesweit über eine halbe Million Menschen auf die Straße.