Vor fünf Tagen war der Umweltausschuss des Europa-Parlaments an dem Versuch gescheitert, die Schlussabstimmung über das neue EU-Gesetz zur Renaturierung durchzubringen. Am Dienstag wollte in Luxemburg der EU-Umweltministerrat ein anderes Zeichen setzen. Das gelang am Nachmittag tatsächlich. Die Seite der Regierungen hat nun eine Position. Die aber ist weit entfernt vom Ursprungsentwurf der Kommission. Denn die schwedische Ratspräsidentschaft hatte in der Vorwoche und noch einmal am Dienstag zu Beginn des Ministertreffens ein üppiges Paket mit teils fundamentalen Veränderungen vorgelegt. Weil die Spielräume für jedes Mitgliedsland nun auf allen wesentlichen Feldern stark erweitert sind, stimmte eine Mehrheit der Minister zu. Aber nicht alle, nicht einmal Schweden selbst.
Die EVP, der Zusammenschluss konservativer und christdemokratischer Parteien Europas, hatte sich den Vertretern von Land- und Forstwirtschaft angeschlossen, die den Gesetzesvorschlag von EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans für derart schlecht hielten, dass er komplett abgelehnt werden müsse. Im Agrar- und im Fischereiausschuss hatte die EVP dafür eine Mehrheit bekommen, im Umweltausschuss war es zum Stimmenpatt gekommen. Das bedeutete zwar, dass es keine Mehrheit für eine Komplettzurückweisung gab, aber auch keine für mögliche Kompromisslinien. Vor Beginn des Umweltministertreffens sagte Timmermans dazu, er sei „enttäuscht, dass eine Gruppe nicht über Inhalte reden will, sondern alles pauschal ablehnt“.
Bienen als Vorbild
Dem stellte die deutsche Umweltministerin Lemke beim Eintreffen in Luxemburg die Einschätzung entgegen, was Timmermans vorgelegt habe, sei „ein gutes Gesetz“. Doch keines der Mitgliedsländer wollte dem ohne großflächige Veränderungen folgen. Timmermans meinte zum letztlich akzeptierten Kompromisspapier, die schwedische Ratspräsidentschaft habe „offensichtlich ein offenes Ohr gehabt für alle Bedenken der Mitgliedstaaten“. Obwohl von seinen Festlegungen kaum noch etwas übrigblieb, feierte er die Renaturierung auch in der neuen Form als „Flaggschiff des europäischen Green Deals“, der Bemühungen also, den Kontinent bis 2050 klimaneutral zu bekommen.
Dazu gehört auch die Wiederherstellung der Natur, damit etwa durch größere Auen, Vernässung von Mooren und funktionierenden Ökosystemen bis hinein in die Städte die Aufnahme von CO₂ verbessert wird. Die Protestwelle aus Land- und Forstwirtschaft konterte Timmermans in Luxemburg mit dem Hinweis auf das bayerische Bienen-Volksbegehren, vor dem die Landwirte vorher auch als Ende der Landwirtschaft gewarnt hätten, das aufgrund vieler Unterschriften von der Staatsregierung aber umgesetzt worden sei und von dem nun die Landwirte über das Wiederauftauchen von Bienen profitierten. „Wir wollen mit der Renaturierung auch den Landwirten eine Zukunft geben, nicht nur für morgen, sondern auch für ihre Kinder und Enkelkinder“, unterstrich der Kommissar.
Kompromiss
Er kündigte für die Verhandlungen mit Parlament und Rat an: „Wenn noch mehr Klarstellungen nötig sind, bin ich dazu gern bereit.“ Schon der Kompromiss im Umweltrat verschiebt indes die meisten Festlegungen. Ausnahmen sind zudem für eine Fülle von Anlässen möglich, etwa wenn militärischer Flächenbedarf besteht, wenn Mitgliedstaaten zu einer anderen Bewertung kommen, wenn regenerative Energiegewinnung der Renaturierung entgegensteht. Ein springender Punkt blieb für die Mitgliedstaaten der offenbar gewaltige Finanzbedarf. Auch Lemke hatte „grundsätzliche haushälterische Bedenken“ angemeldet, stellte diese am Dienstag jedoch zunächst zurück, um einer Einigung nicht im Weg zu stehen. Er schloss sich dem Vorschlag an, dass die Kommission zwölf Monate nach Inkrafttreten der Verordnung eine Übersicht über Finanzierungsmöglichkeiten und Finanzbedarf vorlegt. Timmermans blieb jedoch bei der Einschätzung, es sei „viel, viel teurer, nichts zu tun als aktiv zu werden“.
Die EVP bleibt ebenfalls bei ihrer pauschalen Ablehnung des Vorhabens. „Diese Umweltpolitik mit der Brechstange darf und wird auf Dauer keinen Erfolg haben“, sagte Umweltexperte Peter Liese. Die EVP-Verhandlungsführerin für das Renaturierungsprojekt, Christine Schneider, kündigte an, den Widerstand fortzusetzen. „Ich glaube, dass wir spätestens im Plenum des Europäischen Parlaments eine Mehrheit haben werden, den Vorschlag abzulehnen“, sagte die EVP-Abgeordnete voraus. Denn die Bedenken seien keinesfalls ausgeräumt. Timmermans solle deshalb einen neuen Text vorlegen, der vorher mit den Land- und Forstwirten und den Menschen im ländlichen Raum abgestimmt werden sollte.
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