Es war die ultimative Ohrfeige. An seinem 59. Geburtstag machte ihm das britische Unterhaus ein Präsent, auf das Boris Johnson hätte verzichten können. Mit der überwältigenden Mehrheit von 354 zu 7 Stimmen stimmten die Abgeordneten am späten Montagabend einem Untersuchungsbericht zu, der den ehemaligen Premierminister der wiederholten, absichtlichen und fahrlässigen Lügnerei bezichtigt. Nachdem Johnson der Sanktion einer Suspendierung vom Parlament mit der Niederlegung seines Mandats zuvorgekommen war, konnten ihm seine Ex-Kollegen nur noch ein Hausverbot aussprechen: Der Ex-Premier erhält keinen Besuchsausweis, wie ihn ehemalige Abgeordnete beanspruchen dürfen.
Auch für den amtierenden Premierminister wurde das Ereignis zur Blamage. Die fünfstündige Debatte ließ Premier Rishi Sunak und weite Teile seiner Fraktion schwach und feige aussehen, denn sie tauchten am Montag erst gar nicht zur Aussprache und Abstimmung auf. Fast die gesamte Regierungsmannschaft fand Gründe, fernzubleiben, aus Angst, die Anhänger Johnsons zu verärgern. Lediglich Kabinettsmitglied und Unterhauspräsidentin Penny Mordaunt kritisierte Johnson: Sein Verhalten habe „das Parlament herabgewürdigt“. Damit meinte sie weniger Johnsons Verhalten während der sogenannten Partygate-Affäre, als in der Regierungszentrale Downing Street während Lockdown-Zeiten illegale Feiern stattfanden. Schwerwiegender war die Vertuschung: Der Untersuchungsbericht sah Johnson in fünf Fällen überführt, das Unterhaus angelogen zu haben, als er versicherte, dass es keine solche Partys gegeben habe.
Labour profitiert
Rishi Sunak war als Premierminister im letzten Herbst nach den chaotischen Verhältnissen unter seinen Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss mit dem Versprechen angetreten, es werde „Integrität, Kompetenz und Rechenschaft auf jeder Ebene meiner Regierung geben“. Genau darin habe er jetzt versagt, werfen ihm Kritiker vor. „Das hätte Sunaks großer Moment sein können, indem er für Anstand und persönliche Verantwortung eintritt“, meinte der Publizist Gavin Esler. Die Opposition warf ihm Feigheit und Impotenz vor. Selbst der Schauspieler Hugh Bonneville („Downton Abbey“) meldete sich zu Wort auf Twitter: „Durch ihre Abwesenheit und Stimmenthaltung hat die Regierungspartei nicht nur versagt, die Stimmung im Raum zu erfassen, sie hat versagt, den Puls der Nation zu fühlen.“ Jüngste Umfragen scheinen das zu belegen. Die Partygate-Affäre und die Lügenhaftigkeit von Boris Johnson stößt die Briten ab, und Labour konnte den Vorsprung vor den Torys auf knapp 20 Prozent ausbauen.
Dabei brauchte Rishi Sunak gar nicht so viel Angst zu haben vor der Boris-Fraktion in seiner Partei. Gerade einmal sieben Abgeordnete hatten sich auf Johnsons Seite geschlagen. Schon die Abstimmung im März über die Annahme des revidierten, von Johnson vehement abgelehnten Nordirland-Protokolls hatte seine Schwäche demonstriert, nachdem gerade einmal 21 Gegenstimmen gezählt wurden. Johnson, so meldete die Times am Dienstag, werde für die Laufzeit dieses Parlaments – höchstens noch 18 Monate – erst einmal abtauchen. Der Ex-Premier hat sich einen lukrativen Job beim Massenblatt Daily Mail gesichert. Für eine Million Pfund im Jahr wird er dort eine wöchentliche Kolumne schreiben, in deren erster er zur Erleichterung der Downing Street sich nicht politisch äußerte, sondern über seine Diät-Probleme berichtete.
Doch auch mit Johnsons Rückzug aus dem politischen Treiben bleiben Sunak genug Probleme erhalten. Seine Fraktion ist zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Anhänger von Johnson oder denen von Liz Truss, zwischen den Fans von Brexit und den verbliebenen EU-Freunden tief gespalten, was den Premier zu einem ständigen Eiertanz bei sensiblen Themen zwingt. Und ein aktuelles Problem stellt der Abschied von Johnson und drei weiteren Abgeordneten aus dem Unterhaus dar, weil er Nachwahlen nötig macht, die die Konservativen kaum gewinnen dürften. Sunak, dem selbst ein demokratisches Mandat fehlt, weil er zum Premierminister nicht gewählt, sondern durch seine Fraktion gekürt wurde, steht unter Erfolgszwang. Gehen die Nachwahlen Ende Juli verloren, beginnen die Spekulationen über seine eigene politische Zukunft.
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