Geboren wurde Halász 1899 im rumänischen Brassó, dem heutigen Brașov, was zumindest nach Wikipedia seinen Künstlernamen erklärt (Brassaï bedeutet „der aus Brassó Stammende“). Nach Zwischenstopps in Budapest und Berlin zog er 1924 nach Paris, wo er zunächst als Journalist, später auch als Fotograf sein Auskommen fand. 1932, im selben Jahr, in dem er mit seinem Fotobuch über das Pariser Nachtleben für Furore sorgte, lernte er Pablo Picasso kennen. Er sollte dessen bislang weitgehend unbekannte Skulpturen für eine neue Kunstzeitschrift namens „Minotaure“ ablichten. Der Maler war damals bereits weltberühmt, entsprechend nervös war Brassaï, zumal Gerüchte die Runde machten, die Picasso als „unnahbar“ charakterisierten. Jedoch: „Vor mir stand ein einfacher, ungekünstelter Mann, ohne Dünkel, ohne Ziererei. Er was so nett und natürlich, dass ich mich sofort wohlfühlte.“ Genau beschreibt Brassaï die Lebenssituation, in der sich Picasso mit seiner Ehefrau Olga befand: zwei Wohnungen, übereinander gelegen, in der rue de Boétie. Die eine ganz das bürgerliche, picobello hergerichtete Reich der Gattin, die andere in völliger Unordnung und mit einem Teppich aus Zigarettenstummeln – Picassos Atelier. Dort trafen die beiden aufeinander und es sollte sich eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung daraus entwickeln.
Mit unumwundenem Blick nimmt Brassaï Picassos Leben, Werk und Zeit in den Fokus, wobei er den unschätzbaren Vorteil, zur selben Zeit gelebt zu haben wie dieser, in die Waagschale werfen kann. „Gespräche mit Picasso“ ist also keine retrospektive, sekundärliterarische Angelegenheit, sondern in Echtzeit entstandene, gern auch reflektierte Beschreibung. So zum Beispiel nicht nur über Picassos Verhältnis zu den Surrealisten, sondern auch über deren Hoffnung auf eine Art Erneuerung durch das Auftauchen von Salvador Dalí, der Anfang der 1930er-Jahre einen der skandalträchtigsten Karrierestarts in der Pariser Kunstszene hinlegte. Brassaï kannte Dalí, André Breton, Jean Cocteau, Paul Élouard … eine Zeit lang teilte er sich mit Picassos Geliebten Dora Maar eine Dunkelkammer, um Fotos zu entwickeln. Er lebte sozusagen im Auge des Orkans, falls man dieses Setting der Moderne als solches umschreiben will. Wobei nicht nur seine Insider-Perspektive, sondern auch ein erzähltechnischer Aspekt seines Buchs interessant ist. Brassaï beginnt nämlich seine „Gespräche mit Picasso“ wie ein Tagebuch „Anfang September 1943“, um dann in die Erinnerungen an das Jahrzehnt davor einzutauchen und 80 Seiten später wieder über ein Paris „der feldgrauen Uniformen“ zu Beginn der 1940er zu schreiben: „Hakenkreuz-Fahnen wehen von öffentlichen Gebäuden und großen Hotels, vom Sitz der Kommandantur und der Gestapo“. Keine Frage, der Hauptteil des Buches behandelt die Notzeit der Besatzung durch Nazideutschland, wobei wichtige Daten wie etwa die Befreiung von Paris durch die Alliierten oder das Ende des Zweiten Weltkrieges eher randständig bleiben.
Brassaïs Ehrerbietung Picasso gegenüber ist unübersehbar. Dennoch spart er nicht mit Kritik. Etwa, wenn es um Ähnlichkeiten in dessen Schlüsselwerk „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) mit afrikanischen Masken geht und sich Picasso auf „purer Zufall“ versucht herauszureden. Dass der Maler da längst schon Strategien perfektioniert hatte, um dem grassierenden Schubladendenken seiner Kritiker zu entkommen, steht auf einem anderen Blatt. Bemerkenswert ist weiterhin, wie Brassaï u.a. auch Gespräche mit Henri Matisse, dem befreundeten Filmregisseur Jacques Prévert sowie dem Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler einarbeitet. Seine „Gespräche mit Picasso“ wirken dadurch breiter angelegt, das Sujet des Buches scheint vielmehr jene schillernde Epoche zu sein, in der Picasso bis heute nachwirkende Maßstäbe setzen konnte.
Info
Brassaï
„Gespräche mit Picasso“
Kampa Verlag, Zürich 2023
352 S., 28 Euro
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