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Serbien/KosovoScheitern des Ohrid-Abkommens demonstriert Dialogunfähigkeit der unwilligen Nachbarn

Serbien/Kosovo / Scheitern des Ohrid-Abkommens demonstriert Dialogunfähigkeit der unwilligen Nachbarn
Nach den Unruhen im Norden des Kosovo ist die NATO-geführte KFOR-Truppe verstärkt in der Region im Einsatz Foto: Stringer/AFP

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Das am Ohridsee vereinbarte Abkommen zwischen Kosovo und Serbien sollte zur Annäherung der Ex-Kriegsgegner führen. Drei Monate später sind deren Beziehungen so gespannt wie selten zuvor. Das Scheitern demonstriert erneut die Dialogunfähigkeit der Nachbarn – und das Versagen der EU-Diplomatie.

Der ranghöchste EU-Diplomat verkündete persönlich den vermeintlichen Versöhnungsvollzug. „Wir haben einen Deal“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josip Borrell am 18. März erleichtert nach dem Spitzentreffen mit Kosovos Premier Albin Kurti und Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic am mazedonischen Ohridsee. Dass seine Gesprächspartner das Vertragswerk zur Normalisierung der Beziehungen nicht unterzeichnet hatten, schien ihn kaum zu stören: „Das Abkommen und sein Anhang gelten als angenommen.“

Drei Monate später scheinen die unwilligen Nachbarn von einer Annäherung weiter entfernt als je zuvor. Blutige Ausschreitungen und Proteste empörter Anwohner, verschleppte Grenzer, blockierte Straßen und Grenzen, martialische Polizei-Einsätze, Armeeaufmärsche sowie gegenseitige Schuldzuweisungen in Pristina und Belgrad begleiten seit Wochen die Dauerspannungen im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo. Bis auf Todesopfer seien „in Nordkosovo alle Elemente eines bewaffneten Konflikts anwesend“, sagte besorgt der Belgrader Soziologe Vladimir Vuletic.

Der von Berlin und Paris ausgedokterte Plan für eine dauerhafte Lösung des Kosovo-Problems sei wie „ein Kartenhaus eingefallen“, bilanzierte nüchtern die unabhängige Belgrader Zeitung Danas: „Das hätte man erwarten können, denn er wurde auf eingestürzten Fundamenten errichtet.“

Bei ihrem Versuch, die Ex-Kriegsgegner in ein verbindliches Annäherungskorsett zu zwingen, hatten die Architekten des Ohrid-Abkommens die Webfehler des nie vollständig umgesetzten Abkommens von Brüssel von 2013 vermeiden wollen. Im Gegensatz zu damals sollten klare Vorgaben und Fristen gesetzt werden. Anreize wie eine in Aussicht gestellte Geberkonferenz sollten beide Seiten genauso zur Umsetzung der Zwangseinigung ermutigen wie Sanktionen, beispielsweise durch die Aussetzung der EU-Annäherung.

Doch Vertragspapier ist auf dem Balkan oft sehr geduldig – erst recht, wenn es nicht einmal unterzeichnet ist. Erstaunlich schweigsam reagierte Brüssel auf das Abrücken von Vucic von dem Abkommen sofort nach seiner Rückkehr aus Ohrid. Statt auf der Rückkehr der Kosovo-Serben in die boykottierten Kosovo-Institutionen als wichtigste Bedingung zu einer Normalisierung der Beziehungen zu bestehen, schwiegen sich die Brüsseler Seelenmasseure auch bei den ersten offenen Verstößen gegen das Ohrid-Abkommen diplomatisch aus.

Diplomatisches Engagement blieb aus

Statt sich wie vereinbart nicht mehr länger dem Beitritt Kosovos zu internationalen Organisationen zu widersetzen, protestierte Belgrad sowohl gegen die Annahme von Pristinas Aufnahmegesuch in den Europarat als auch gegen den angekündigten Wegfall der Schengenvisapflicht für Kosovaren. Pristina wiederum ließ der Ohrid-Zusage, „unverzüglich“ die Schaffung eines Verbands der serbischen Kosovo-Kommunen in Angriff zu nehmen, keinerlei konkreten Taten folgen. Stattdessen scheint Kurti die Integration des widerwilligen Nordens vor allem mit Polizeigewalt bewerkstelligen zu wollen.

Selbst der Einladung zu weiteren „Dialog“-Gesprächen nach Brüssel wollen die EU-Problemkinder kaum mehr folgen. Stattdessen steuern sie auch aus innenpolitischen Gründen seit Wochen auf gezielten Konfrontationskurs – zu Lasten der Bevölkerung im Nordkosovo. Die Dialogaufrufe der EU wirken zunehmend hilflos – und wenig überzeugend. So war die Gewalteskalation nach den von Belgrad boykottierten und von Pristina forcierten Kommunalwahlen im April vorhersehbar – und hätte leicht vermieden werden können.

Provokationen auf beiden Seiten hätten Nordkosovo in den Zustand „einer permanenten, sich selbst vertiefenden Krise“ gebracht, spricht der Politologe Ognjen Gogic von einer sich verschärfenden „Konfliktspirale“. „Besonders deprimierend“ sei es, dass die Entwicklung absehbar gewesen, aber ein „adäquates diplomatisches Engagement ausgeblieben“ sei.