China startet eine „Friedensinitiative“, die Ukraine möchte möglichst viele Länder für eine „Friedensinitiative“ gewinnen, auch sechs afrikanische Staatenlenker wollen als „Vermittler“ den Krieg Russlands gegen die Ukraine beenden. Und in Deutschland reißen die Forderungen nicht ab, den Krieg mitten in Europa durch eine europäische Friedenslösung in den Griff zu bekommen. Da lässt es aufhorchen, wenn der Bundeskanzler wiederholt einen Begriff in die Debatte wirft: „Westfälischer Frieden“. Ein Hinweis auf Konturen einer Konfliktlösung?
Die in fünfjährigen Verhandlungen mühsam errungenen Verständigungen führten zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, der bis 1648 weite Gebiete Europas zerstört und unvorstellbares Leid über die Bevölkerung in Stadt und Land gebracht hatte. Als sich jüngst in Moldawien die Staats- und Regierungschefs der noch jungen Europäischen Politischen Gemeinschaft von fast 50 Staaten Europas versammelten, fühlte sich Olaf Scholz an das Ergebnis der Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück vor 375 Jahren erinnert. Die Zusammenkunft stehe „natürlich in großen Traditionen“, sagte der Kanzler am Abend des Treffens in Chisinau und wurde dann konkret: „Vielleicht auch in solch einer, die mit der Friedensordnung verbunden ist, die der Westfälische Frieden einmal hergestellt hat, die Vorstellung nämlich, dass Souveränität und territoriale Integrität Dinge sind, die man beachten soll, und dass der Frieden der Staaten untereinander eine große Bedeutung für uns in Europa hat.“
Russland soll Truppen zurückziehen
In diesen Dimensionen kennt sich auch der einflussreiche Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europa-Parlaments, David McAllister, gut aus. „Der Westfälische Frieden hat es geschafft, die eng miteinander verflochtenen Krisenherde im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in ganz Europa weitestgehend zu entflechten und damit den Dreißigjährigen Krieg zu beenden“, fasst der EVP-Experte für Internationales und ehemalige niedersächsische Ministerpräsident zusammen. Die Verhandlungen hätten vor 375 Jahren allerdings „erst Früchte getragen, als alle Seiten einen uneingeschränkten Willen zum Frieden bewiesen“ hätten und bereit gewesen seien, Kompromisse zu schließen. Das wiederum habe Vertrauen in die Versprechen des jeweiligen Verhandlungspartners vorausgesetzt.
Dem stellt McAllister einen ernüchternden Befund entgegen: „Stand heute hat der Kreml keine – noch nicht mal im Ansatz – glaubhaften Signale gesendet, dass Interesse an Dialog oder Diplomatie mit der Ukraine, der Europäischen Union oder dem politischen Westen besteht.“ Es gebe keine Vertrauensbasis, auf der aufgebaut werden könnte. Die bewusste Sprengung des Kachowka-Staudamms sei vielmehr ein erneuter Beleg dafür, „dass eine Sicherheitsvereinbarung mit dem Kreml zum jetzigen Zeitpunkt eine schuldhafte Illusion wäre“.
Stand heute hat der Kreml keine – noch nicht mal im Ansatz – glaubhaften Signale gesendet, dass Interesse an Dialog oder Diplomatie mit der Ukraine, der Europäischen Union oder dem politischen Westen besteht
Wie stellen sich die beiden Länder selbst auf? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezieht sich in allen Reaktionen auf seinen Zehn-Punkte-Plan, den er bereits im vergangenen November der internationalen Gemeinschaft als Basis für Friedensgespräche präsentierte. Darin geht es um humanitäre, atomare und ökologische Sicherheiten, um den Austausch aller Kriegsgefangenen, um die Wiederherstellung und verbindliche Anerkennung der ukrainischen Souveränität innerhalb ihrer Grenzen und vor allem: um einen russischen Truppenrückzug aus allen ukrainischen Gebieten. Auch Scholz fordert in nahezu allen Reden als Voraussetzung für Gespräche „einen“ nicht näher konkretisierten Abzug russischer Truppen.
Medwedew will Ukraine zerschlagen
Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew plädiert für das genaue Gegenteil: Demnach sollten die östlichen Teile der Ukraine Russland, die westlichen Teile mehreren EU-Staaten zugeschlagen werden, die Mitte des Landes dann der Russischen Föderation beitreten, die Ukraine also genauso zerschlagen werden, wie es Präsident Wladimir Putin in seinen verschiedenen Grundsatz- und Kriegsbegründungsreden wiederholt als seine Ziele ausgab. Mit der Einschränkung, eine solche Lösung könne für Russland „temporär“ annehmbar sein, macht er zugleich klar, dass nicht einmal diese Variante als finale Lösung für Moskau in Betracht kommt.
Als Ergebnis seiner jüngsten Friedensmission in Kiew, Moskau und mehreren europäischen Staaten kam Chinas Sonderbeauftragter Li Hui zu der Erkenntnis, dass es „kein Allheilmittel zur Lösung der Krise“ gebe. Nachdrücklich widersprach er Berichten, er habe westliche Vertreter dazu aufgefordert, auf die Ukraine einzuwirken, um eine Anerkennung der bislang von Russland eroberten Gebiete als russisches Territorium zu erreichen. Auch McAllister macht klar, was diese von Putin als Zwischenziel deklarierte „Lösung“ bedeuten würde. „Das wäre letztlich eine Kapitulation und keine Verhandlung.“
Und es gibt einen weiteren Unterschied zwischen 2023 und 1648. Historiker sind sich einig, dass die Verhandlungen seinerzeit nur deshalb beginnen und zu einem Erfolg geführt werden konnten, weil alle Kriegsparteien von der ständigen Gewalt total erschöpft waren, kaum noch Ressourcen hatten und deshalb keinerlei Erwartungen mehr bestanden, auf dem Schlachtfeld noch Ziele erreichen zu können. Als Ergebnis entstand im Westfälischen Frieden die Anerkennung der gleichen Rechte staatlicher Akteure unabhängig von ihrer Größe mit der gegenseitigen Versicherung, Grenzen nicht gewaltsam verändern zu wollen. Sie wurden zu Kerngedanken des späteren Völkerrechtes. Es scheint noch ein weiter Weg bis zu einer Art Westfälischem Frieden für die Ukraine zu sein.
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