Wenn es am Tag der Wahl in Strömen regnet, darf sich die CDU freuen. Mit diesem Resultat ließen die Ökonomen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2016 in der politikwissenschaftlichen Fachzeitschrift Electoral Studies 2016 aufhorchen, sodass das Magazin Spektrum der Wissenschaft ebenso darüber berichtete. Die Forscher hatten die Wahlergebnisse der Jahre 1975 bis 2010 analysiert und waren zu der Feststellung gekommen, dass SPD-Wähler bei schlechtem Wetter eher daheim bleiben.
Die beiden Forscher Felix Arnold und Ronny Freier fanden heraus: War das Wetter gut, stieg die Wahlbeteiligung um einen Prozentpunkt – und bis zu drei Viertel der zusätzlichen Stimmen gingen an die Sozialdemokraten. Weitere Schlüsse konnten jedoch aus der Untersuchung nicht gezogen werden. Die Effekte bei den übrigen Parteien fielen niedriger aus. Die Grünen-Wähler blieben von Wind und Wetter am wenigsten beeinflusst.
Wetterkapriolen
Zu ähnlichen Ergebnissen waren Forscher der Universität Nimwegen gekommen: „Die Christdemokraten profitieren von einem extrem regnerischen Wahltag, weil sie dadurch einen Sitz mehr bekommen“, so die Forscher um den Soziologen Rob Eisinga über die niederländischen Parlamentswahlen, bei denen die Wahlbeteiligung um durchschnittlich 1,5 Prozent steigt, wenn das Wetter schön ist. Religiöse Menschen würden ihren Bürgerpflichten auch nachkommen, wenn schlechtes Wetter ist. Dagegen hätten die Sozialdemokraten und die Sozialistische Partei umgerechnet ein bis zwei der insgesamt 150 Parlamentssitze aufgrund von Wetterkapriolen eingebüßt.
Allgemein fanden die niederländischen Forscher heraus, dass Wähler bei schönem Wetter motivierter seien, wählen zu gehen, und den Gang zum Wahllokal mit einem Spaziergang verbinden. Der Wirtschaftswissenschaftler Jo Thori Lind von der Uni Oslo kam zu einem gegenteiligen Ergebnis: Schönes Wetter halte angesichts alternativer Freizeitmöglichkeiten von der Wahlbeteiligung ab.
Der deutsche Publizist Florian Rötzer verweist in einem Artikel des Online-Magazins Telepolis auf die sogenannte Erregungstransfertheorie, dass Hitze zur erhöhten Erregung führe und dadurch ein verstärktes antisoziales Verhalten wie Gewalt, Mord oder Raubüberfälle verstärke, und auf andere Studien, die besagen, dass Hitze eher prosoziales Verhalten fördere und daher Menschen anderen Menschen verstärkt helfen. US-Forscher wiederum fanden heraus, dass negative Gefühle wie Ärger bei Hitze steigen. Andererseits hätte der Anstieg der Temperatur um ein Grad Celsius die US-Präsidentschaftswahl 2000 zwischen George W. Bush (Republikaner) und Al Gore (Demokraten) im besonders umkämpften Florida zu Gores Gunsten entscheiden können.
Faktor Wahlpflicht
Die Erkenntnisse der Wissenschaftler lassen sich nicht ohne weiteres auf alle Länder übertragen – schon gar nicht, wenn in einem Land Wahlpflicht herrscht, wie etwa in Luxemburg. Trotzdem herrscht nach wie vor die Meinung vor, besonders Wechselwähler ließen sich besonders stark von äußeren Einflüssen leiten. Diesen galt zuletzt verstärkt die Aufmerksamkeit. Schließlich haben Parteibindungen auch im Großherzogtum stark nachgelassen. Sie haben vor allem den sogenannten Volksparteien zunehmend Sorgen bereitet. In Zeiten erodierender Wählergewohnheiten gleicht ihr Verhalten zum Leidwesen der Demoskopen einer Wundertüte. Daher ist es auch vermessen, aus der Meteorologie auf die politische Großwetterlage zu schließen – ähnlich wie aus Vorlieben wie Kaffee- oder Teetrinken auf die politische Haltung.
Das war einmal anders: Zumindest gab es in Deutschland eine Zeit lang die Toskana-Fraktion unter Wein und Italien liebenden SPD- und Grünen-Politikern, im englischen Sprachraum die Champagnersozialisten und in Frankreich die „gauche caviar“. Hierzulande ist vor allem der Wirtschaftsminister als Freund edler Weine und aufgrund seiner Affinität zu exquisitem Kaffee bekannt. Aber Wetterfrösche als Wahlorakel? Höchstens die deutsche Bild-Zeitung hält Wetterberichte der öffentlich-rechtlichen Sender noch für Wahlkampfhilfe zugunsten der Grünen.
Auch hierzulande lassen sich kaum Wahlschlüsse aus meteorologischer Sicht ziehen: Bei den vergangenen Parlamentswahlen am 14. Oktober 2018 war es für die herbstliche Zeit ungewöhnlich warm, als die CSV einmal Schiffbruch erlitt bei ihrem Ansinnen, wieder in die Regierung zu kommen. Und beim historischen Machtwechsel fünf Jahre zuvor war es rund zehn Grad kühler, obwohl die politischen Gemüter erhitzt waren.
Trotzdem gibt es immer wieder Studien zum Thema „Wahl und Wetter“: Wie etwa jene des Hamburger Instituts für Wetter- und Klimakommunikation (IWK): Ihr zufolge sinkt bei einem Temperaturanstieg von einem Grad oder einer halben Stunde mehr Sonnenschein die Wahlbeteiligung um 0,2 Prozent. Andere Nachforschungen widerlegen hingegen diese steile These. Dass schönes Wetter die Gemüter auf dem Weg zum Wahllokal zufriedener werden lässt und daher die Regierungspartei bevorteilt, konnte bislang nicht bestätigt werden. Erst recht nicht bei Kommunalwahlen. Für diese sind nach wie vor noch andere Kriterien entscheidend.
Ob und für wen der kommunale Urnengang Frühlingsgefühle bringt, wird sich noch herausstellen. Die vergangenen Gemeindewahlen fanden wie so oft im Herbst statt. Für die einen war es ein heißer Herbst, für andere ein zweiter Frühling.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können