Luxemburg ist international wie fast kein zweites Land auf der Welt – 47,2 Prozent der Einwohner des Großherzogtums besitzen einen ausländischen Pass. Damit die Politik also nicht an der Hälfte der Bevölkerung vorbei regiert, sollte sich diese Aufteilung auch in den Kandidatenlisten widerspiegeln. Das scheint allerdings nicht der Fall zu sein: Etwa 85,7 Prozent der Politiker, die in Proporzgemeinden kandidieren, sind Luxemburger. Rechnet man die 112 Menschen, die neben der luxemburgischen auch noch eine weitere Nationalität auf ihrem Pass stehen haben, dazu – und das sollte man –, kommt man sogar auf 89,1 Prozent.
Knapp ein Zehntel der kandidierenden Politiker sind also Ausländer. Portugal ist mit 3,1 Prozent das Land, das nach Luxemburg am meisten in den Reihen der Kandidaten vertreten ist. Wenig überraschend: Immerhin haben laut Statec 14,5 Prozent der Einwohner Luxemburgs einen portugiesischen Pass. 1,7 Prozent der Politiker stammen aus Frankreich. Deutschland steht auf Platz vier, Belgien belegt den fünften Platz und die Italiener den sechsten. 47 Menschen stammen aus anderen EU-Ländern und 42 sind nicht EU-Ausländer.
Ausländische Piraten
Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) hatte am vergangenen Donnerstag Statistiken zu den Nationalitäten der Kandidaten der Gemeindewahlen am 11. Juni präsentiert. Darunter auch, wie viele Luxemburger sich unter den Kandidaten befinden. Die Zahlen, die das Tageblatt zusammengestellt hat, sind fast deckungsgleich mit denen des Ministeriums. Das Tageblatt hat sich bei den Daten auf Informationen bezogen, die von den Parteien selbst kommen.
Etwa 94 Prozent der CSV-Kandidaten haben einen Luxemburger Pass – dazu zählt auch die doppelte Nationalität. Damit belegt die christlich-soziale Partei Platz eins vor der DP und den Bürgerlisten, die auf 93 Prozent kommen. Bei der LSAP sind 91 Prozent der kandidierenden Politiker Luxemburger und bei der KPL 88. ADR und „déi gréng“ kommen auf 85 Prozent. Die Parteien mit den wenigsten Luxemburgern als Kandidaten sind die Piraten mit 80 Prozent, gefolgt von Fokus mit 81, „déi Lénk“ mit 82 und „déi gréng“ mit 85 Prozent.
Betzdorf am repräsentativsten
Das Innenministerium hatte vergangene Woche keine Zahlen zu den einzelnen Gemeinden veröffentlicht. Wenn man sich die Zahl der ausländischen Kandidaten in den jeweiligen Gemeinden anschaut, sind schnell enorme Unterschiede zu erkennen. In sieben der 56 Proporzkommunen tritt keine einzige Person mit einem ausländischen Pass an: Bissen, Esch/Sauer, Frisingen, Park Hosingen, Rosport-Mompach, Schengen und Wintger. Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft werden für die Analyse der Gemeinden als Luxemburger aufgezählt. Dabei sind etwa 36 Prozent der volljährigen Einwohner in Bissen Ausländer, in Esch/Sauer sind es 32 und in Schengen knapp 30.
Die Listen, auf denen proportional die wenigsten Luxemburger antreten, sind in Betzdorf und Remich zu finden – 76 Prozent der Kandidaten haben einen luxemburgischen Pass. Einen Unterschied gibt es allerdings: In Remich haben 55 Prozent der volljährigen Einwohner eine luxemburgische Staatsbürgerschaft und in Betzdorf sind es 67 Prozent. Damit repräsentiert Betzdorf von allen Proporzgemeinden des Landes die Nationalitäten seiner Einwohner am besten. Weniger als neun Prozent Unterschied zwischen Kandidatenliste und volljährigen Einwohnern in puncto Repräsentation der Nationalitäten kann sonst keine Kommune erreichen.
Contern kommt allerdings mit 15 Prozent daran heran. Dort sind 80 Prozent der Kandidaten und 65 Prozent der Einwohner Luxemburger. Monnerich und Redingen schneiden mit einem Unterschied von 19 und 20 Prozent ebenfalls relativ gut ab, was allerdings daran liegt, dass in den Gemeinden 72 Prozent der volljährigen Bewohner die Luxemburger Nationalität haben. In Grevenmacher, Rümelingen und Kehlen beträgt der Unterschied 23 Prozent.
Die beiden Städte, die bei weitem am schlechtesten bei der Repräsentativität abgeschnitten haben, sind auch die Proporzgemeinden, in denen die meisten Ausländer wohnen: Luxemburg-Stadt und Esch. In der Hauptstadt haben 28,8 Prozent der Bewohner einen Luxemburger Pass – knapp drei Viertel sind also ausländische Mitbürger. Gleichzeitig sind aber 83,5 Prozent der kandidierenden Politiker Luxemburger. Ein Unterschied von etwa 55 Prozent.
In Esch sieht es ähnlich aus: Dort fehlen 47,5 Prozent bis zur Repräsentativität. Die Kandidaten sind zu 90,8 Prozent Luxemburger – die Einwohner allerdings nur zu 43,3 Prozent. In Hesperingen und Kopstal beträgt der Unterschied ebenfalls über 40 Prozent. Es gibt also bis auf Betzdorf und zum Teil Contern kaum eine Gemeinde, die von sich behaupten kann, dass die Diversität der Einwohner auf den Kandidatenlisten repräsentiert ist.
Auf dem guten Weg
Bei den Gemeindewahlen gilt in Luxemburg auch für die ausländischen Mitbürger das aktive und passive Wahlrecht. Damit eine bessere Repräsentativität sowohl auf den Kandidatenlisten wie auf den Wählerlisten erreicht wird, engagiert sich die ASTI bei der Kampagne Letzvote. Wir haben mit Sergio Ferreira, dem politischen Direktor der Organisation, gesprochen.
„Es geht in die richtige Richtung“, sagt Ferreira am Mittwoch am Telefon gegenüber dem Tageblatt. Im Vergleich mit den vergangenen Gemeindewahlen seien deutlich mehr Kandidaten mit einer ausländischen Nationalität auf den Parteilisten wiederzufinden. „Das ist in meinen Augen ein gutes Signal dafür, dass sich die Leute mehr für die Wahlen interessieren.“ Ferreira glaubt auch, dass sich die Anstrengungen der Parteien, mehr Nationalitäten auf den Kandidatenlisten zu haben, bezahlt machen. Ohne dass es sich dabei um reine Quotenkandidaten handele, die nur für die „gute Optik“ mit auf die Liste genommen werden. „Ich bin guter Hoffnung, dass am 11. Juni Bürger mit ausländischen Nationalitäten in die Gemeinderäte und auch in die Schöffenräte gewählt werden. Vielleicht sogar der ein oder andere Bürgermeister.“
Loben tut Ferreira die Parteien auch für eine größere Sprachenvielfalt bei den Wahlprogrammen. „Viele haben sich bemüht, diese nicht nur auf Luxemburgisch, Französisch und Deutsch, sondern häufig auch auf Englisch und Portugiesisch zur Verfügung zu stellen.“ Beim direkten Kontakt mit den Wählern sei aber Luxemburgisch immer noch dominant. „Was auch zeigt, dass sich die Parteien immer noch gezielt an Bürger mit luxemburgischer Nationalität wenden. Dies ist wenig verwunderlich, da die Zahl der eingeschriebenen Wähler mit ausländischer Nationalität immer noch deutlich geringer ist als die der Luxemburger Wähler.“ Man wünsche sich auch hier eine größere Diversität an Sprachen, „ein weiteres Signal an die ausländischen Mitbürger“.
Kritisieren tut Ferreira aber, dass auf den Kandidatenlisten, wie auch in verschiedenen Statistiken (Anm. der Red.: dazu zählt auch die Kandidatenanalyse des Tageblatt), Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft hervorgehoben werden. „Wenn sie die Luxemburger Nationalität haben, sollten sie in Luxemburg als Luxemburger gelten. Hebt man die doppelte Staatsbürgerschaft hervor, dann könnte eine Zwei-Klassen-Mentalität entstehen. So als ob diese Kandidaten keine echten Luxemburger seien.“
Im Gespräch mit dem Tageblatt betont Ferreira zudem, dass weiter große Anstrengungen unternommen werden müssten, um die ausländischen Mitbürger an dem demokratischen Prozess zu beteiligen. „Ich würde mir schon Fragen stellen, wenn nur 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung den Gemeinderat gewählt haben. Das führt dazu, dass verschiedene Problematiken einfach nicht beachtet werden.“ Als Beispiel auf nationaler Ebene nennt Ferreira die Wohnungsbaukrise. Ausländische Mitbürger hätten schon in den frühen 90er Jahren deutliche Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt erlebt. „Aber erst als die Krise die Luxemburger erreichte, ist sie plötzlich an vorderster politischer Front“, so Ferreira.
Die ASTI behauptet also dass ein Luxemburger per se an den Interessen von Ausländern vorbeiregiert. Interessant.
" Damit die Politik also nicht an der Hälfte der Bevölkerung vorbei regiert, sollte sich diese Aufteilung auch in den Kandidatenlisten widerspiegeln."? Aber die Art und Weise der Regierung im Land scheint den Ausländern doch zu munden,sonst wären sie nicht hergekommen. Aber solange wir keine religiösen Einschläge in unserer schon ziemlich laizistischen "Gemeinde" erleben müssen scheint kein Einwand nötig.