Tageblatt: Frau Tavares, es gibt zahlreiche Vereinigungen von Kapverdiern in Luxemburg. Der Bedarf, sich als Gemeinschaft hierzulande zu präsentieren, scheint nach wie vor groß zu sein.
Jael Tavares: Wir haben sehr viele Vereinigungen, die noch nach dem alten Modell funktionieren. Was sie machen, das machen sie in der Regel gut. Aber das vor allem an ihre Bedürfnisse angepasst. Es gibt aber noch mehrere Anliegen. Ich unterscheide vor allem zwei: Zum einen ist da das Bedürfnis der Menschen, die neu in Luxemburg ankommen und die gerne in einer Gemeinschaft von Leuten integriert werden, die aus ihrer Heimat stammen. Zum anderen gibt es jene, die hier geboren sind und mehr vom Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern erfahren möchten. Es gab mal mehr Bücher, in denen man sich über Kap Verde informieren konnte. In der Nationalbibliothek gibt es heute aber weniger. Außer vielleicht online. Es gibt aber auch neuere Organisationen wie etwa „Imani“, die das oft beschworene „Vivre ensemble“ betonen. Sie arbeiten viel mit Fashion-Standards und sprechen vor allem ein jüngeres Publikum an.
Besteht ein großes Interesse junger Kapverdier hierzulande an der Heimat ihrer Eltern und Großeltern?
Ja, das besteht. Aber ich kann vor allem von meinen Erfahrungen sprechen. Vor etwa einem Monat hatten wir eine kleine Buchmesse mit Büchern aus Kap Verde in der Cloche d’Or organisiert. Nach vier Stunden war alles ausverkauft. Viele Bücher handelten von der Geschichte der Inseln bzw. von der Musik und den verschiedenen Musikrichtungen Kap Verdes. Wir Kapverdier in Luxemburg haben eine Barriere, die andere nicht haben: Wir reden zu Hause meist Kreolisch, während wir in der Schule und außerhalb oft Luxemburgisch, Französisch und vielleicht noch Deutsch reden. Aber richtiges Portugiesisch reden wir eigentlich nicht. Die Mehrheit der Bücher, von denen ich spreche, ist aber auf Portugiesisch. Das erschwert es vielen von uns, an Informationen über Kap Verde zu kommen.
Wie war das bei Ihnen? Haben Sie sich früh für Kap Verde interessiert?
Ich bin ja hier geboren und aufgewachsen. Meine Mutter ist Portugiesin und mein Vater Kapverdier. Immer wenn wir in deren Heimatland gefahren sind, war es für meine Eltern wichtig, dass wir nicht nur die Familie, die Straße und das Dorf kennenlernten, wo sie aufwuchsen, sondern auch das Land und dessen Geschichte. Wir unternahmen zum Beispiel viele Wanderungen. Ich kenne andere, die hatten diese Möglichkeit nicht. Es hängt von den Eltern ab, aber auch von deren finanziellen Möglichkeiten. Gerade Kinder mit nur einem Elternteil konnten nicht jedes Jahr in die Ferien fahren. Es sind nicht zuletzt die verschiedenen sozialen Aspekte, die eine Rolle spielen.
Am Rande des Staatsbesuchs von Präsident José Maria Neves war immer wieder die Rede von der Benachteiligung kapverdischer Jugendlicher im luxemburgischen Schulsystem. Junge Kapverdier sind etwa im klassischen Sekundarschulunterricht deutlich unterrepräsentiert. Können Sie die Benachteiligung bestätigen?
Nicht bei jedem ist das so. Es kommt darauf an, ob jemand einen bildungsnahen oder eher bildungsfernen Hintergrund hat. Aber gerade für Familien, bei denen die Eltern in schlecht bezahlten Berufen arbeiten, ist es schwieriger, diese haben es oft schwer, ihren Kindern die nötigen Möglichkeiten zu bieten oder genügend Zeit mit ihnen zu verbringen. Ihnen fehlt das Geld und die Zeit. Ich habe das Gefühl, dass die „Maison relais“, die heute gratis sind, zwar Hausaufgabenhilfen anbieten, dieses aber nicht gut genug ist, um die Defizite auszugleichen. Die dortigen Erzieher und Erzieherinnen sind schnell überfordert. Es gibt eine Überzahl von Kindern, aber zu wenig wirklich ausreichend geschultes Personal. Die einen kommen mit, die anderen werden vernachlässigt.
Zur Person: Jael Tavares
Jael Tavares (35) ist seit ihrer Jugend in der kapverdischen Gemeinschaft. Die Influencerin, Künstlerin und hauptberufliche „Aide soignante“ besucht zwei Mal pro Jahr Kap Verde und vor allem die Insel, von der ihr Vater kommt: Santiago.
Ist nicht auch die Einschulung auf Deutsch ein Hindernis für die jungen Kapverdier gewesen?
Die mangelnden Sprachkenntnisse können aber auch später in der Berufswahl ein Hindernis sein. Wie etwa im Gesundheitswesen, wo Leute gesucht werden, die nicht nur Französisch, sondern auch Luxemburgisch oder Deutsch reden. Andererseits sprechen die Leute im Süden eher Französisch. Generell bauen sich auch in solch einer multikulturellen Gesellschaft wie der luxemburgischen durch die Sprache Barrieren auf.
Luxemburgisch ist nicht das Problem, eher Deutsch
Es fällt auf, dass sehr viele junge Kapverdier hierzulande untereinander Luxemburgisch reden und sehr schnell auf Französisch überwechseln.
Luxemburgisch ist nicht das Problem, eher Deutsch. Meine Mutter zum Beispiel hat mir früher meistens die deutschen Kanäle eingeschaltet. Bei anderen, die in der Schule Deutsch lernen, laufen zu Hause oft brasilianische Telenovelas oder portugiesische Sendungen. Man lernt dann zwar eine Sprache, praktiziert sie aber nicht, „lebt“ sie nicht.
Welche Rolle spielen heute noch rassistische Erfahrungen für kapverdische Jugendliche?
Wir haben leider eine jahrhundertelange Geschichte von Kolonialismus. Mit dem Rassismus wurde die Kolonialisierung gerechtfertigt. Den Menschen wurde Angst gemacht. Das hat sie geprägt. Für mich hat Rassismus mit Angst zu tun. Die Angst vor dem Fremden. Ich bin froh, dass das alles mit „Being Black in Luxemburg“ zur Sprache gekommen ist. Ich wäre nur auch froh darüber, dass ein Aktionsplan daran anknüpft. Soweit ich weiß, ist aber nichts in diese Richtung geschehen. Rassismus fängt schon im Kleinen an. Mein Vater zum Beispiel hat Luxemburgisch gelernt. Aber wenn er das sprechen wollte, haben die Luxemburger mit ihm Französisch gesprochen. Er konnte es also nie praktizieren. Und wenn er Französisch gesprochen hat, warf man ihm vor: „Warum passt du dich nicht an?“ Egal, wie man es macht, macht man es falsch. Manche verlieren dabei die Motivation.
Wie ist der Austausch unter den Generationen darüber? Mittlerweile kann man schon von drei oder vier Einwanderergenerationen aus Kap Verde sprechen.
Ich gehöre schon zur vierten. Ich sehe, dass es in dieser Hinsicht viele Traumata gibt. Das wurde früher nicht wahrgenommen. Früher wurde vieles geschluckt. Heute ist es anders. Die junge Generation will die Probleme lösen. Manche suchen einen Ausweg in der Religion, machen Yoga oder Musik. Viele wissen, dass sie eine Therapie machen müssen. Aber bei der älteren Generation ist es noch sehr schwierig. Es gibt Themen, über die wir nicht mit ihnen reden, weil wir wissen, dass wir nicht an sie herankommen.
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