Tageblatt: Herr Gillen, in vielen Ländern sind populistische Parteien auf dem Vormarsch oder bereits in der Regierung. Bürger sind frustriert oder enttäuscht von der Demokratie. Ist die Demokratie auf dem Rückzug?
Erny Gillen: Ich glaube nicht, dass sie auf dem Rückzug ist. Unter dem Druck neuer Technologien und eines stark in Bewegung geratenen sozialen Umfelds verändern sich unsere Gesellschaften und unsere Lebensweisen rapide. Mit dem zum Teil frenetischen Rhythmus können und/oder wollen nicht alle Menschen gleichermaßen mithalten. Sie erleben sich subjektiv als nicht (mehr) dazugehörig, obwohl sie im selben Zug unterwegs sind, aber eben sitzend, beobachtend und frustriert. Politik hat allen Bürger:innen gegenüber ja die Aufgabe, die Bedingungen eines guten Zusammenlebens zu gestalten. Dies trauen die vom Leben Enttäuschten der Politik als Gestalterin der Demokratie nicht mehr flächendeckend zu. Einzelne Beispiele, wie verurteilte Staatspräsidenten, Vetternwirtschaft in Ministerien und persönliche Vorteilsnahme befeuern das Gefühl, dass die Gewählten mehr sich selbst als dem Gemeinwohl dienen.
Auch wenn es einzelne Beispiele auch hierzulande gibt: Warum ist das in Luxemburg noch nicht so stark ausgeprägt?
Das hängt vielleicht von unserem soziologischen Dorfcharakter ab. Wir leben in einem urbanen Umfeld, haben aber hauptsächlich unter den Luxemburger Ureinwohnern noch die Reflexe einer Dorfgesellschaft. Wenn es ein Problem gibt, dann kennen wir jemanden in der Politik und greifen zum Telefon, um gleich etwas zu erreichen.
Der deutsche Philosoph Vittorio Hösle hat vom Umschlagen von „Brüderlichkeit“ in „Gleichgültigkeit“ gesprochen. Der US-Philosoph Michael J. Sandel schreibt, dass es in den meisten Demokratien Politikern und politischen Parteien nicht mehr gelingt, bedeutsame Fragen, die Ethik und Werte betreffen, aufzugreifen. Sehen Sie das auch so?
Ja, wenn auch etwas nuancierter. Das Bewusstsein um die Gesellschaft als eine wichtige Bedingung der Möglichkeit für mein eigenes Leben rückte in den letzten Dekaden sicher in den Hintergrund, weil die Gesellschaft zuvor demokratische Systeme wie die soziale Sicherheit bereitgestellt hatte. Die Heutigen erleben diese Systeme als ihre Sicherheit und durchschauen sozusagen die ursprünglichen und aktuellen Produktionslinien nicht mehr. Damit verblasst das Narrativ der sozialen Pflichten genauso wie das Narrativ, dass die Europäische Union ein Friedensprojekt ist. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft oder der Friede in Europa sind – das erleben wir spätestens seit dem 24. Februar 2022 wieder hautnah – nicht einfach gegeben, sondern solidarische Errungenschaften, die wieder zerbrechen können. Warum und wozu Politik nötig ist, geht oft im Alltagsgeschäft unter. Hinzu kommt, dass individuelle Freiheiten – etwa Euthanasie, Schwangerschaftsabbruch, Ehe für alle – heiß diskutiert werden, aber bei großen gesellschaftspolitischen Themen – klimagerechte Politik, zunehmende Armut und Wohnungsnot – Einigkeit in der Handlungsohnmacht zu herrschen scheint. Hier gelingt es der Politik kaum, Narrative und die dazugehörigen Initiativen zu schaffen, die mit einer allgemein verstandenen Solidarität resonieren. Selbst Schulstreiks und „Fridays for Future“ konnten bisher keine Welle der Verhaltensänderung auslösen. Steven Pinker erinnert in seinem Buch „Enlightment Now“ daran, dass ein Beispiel noch keine Regel ist und nicht jedes Problem eine Krise darstellt. Darüber hinaus zeigt er an anschaulichen Beispielen, wie sich die Lebensbedingungen quer durch die allermeisten Gesellschaften in den letzten 50 Jahren objektiv verbessert haben.
Ähnliches hat Pinker auch über den Rückgang der Gewalt als „am wenigsten gewürdigte Entwicklung in der Geschichte“ untersucht. Stattdessen wird heute von einigen Parteien immer wieder die Angst vor einer angeblich gestiegenen Unsicherheit geschürt.
Was man erreicht hat, wird als gegeben, als normal dargestellt. Dabei wird vergessen, dass noch vor gut 150 Jahren Kinder noch arbeiten mussten, dass es keine Kranken- oder Altersversicherung gab. Stattdessen betrachtet man den Klimaschutz als Eingriff in die individuellen Freiheiten des Einzelnen und nicht als Gestaltung des Gemeinwohls.
Alles wird der Logik des Wettbewerbs unterworfen: zum Beispiel die Arbeitssuche, die Partnersuche, etc. – und damit auch der Vorstellung, dass unser gesamtes Leben ein ständiger Wettkampf ist und nicht ein Kooperationsgeschäft, das besagt, dass wir das Soziale brauchen, um zu überleben.
Hat das Konkurrenzdenken, das ständige Vergleich mit anderen, mit dem Siegeszug des ökonomischen Denkens und des Kapitalismus zu tun?
Wir haben das kapitalistische Modell ja nicht bewusst gewählt. Wir grenzten es über soziale Gesetze ein und erleben, dass es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion als einziges übriggeblieben ist, ohne dass es stark hinterfragt wird. Innerhalb dieses Modells hat sich das Leistungsprinzip der Meritokratie durchgesetzt. Das hat schon – früher vielleicht mehr als heute – im Bildungswesen begonnen, wo es um Punkte und Noten ging. Zu den wichtigsten Fragen gehörte: Wie ist die Quote? Wer ist der Beste, Zweitbeste, Drittbeste? Alles wird der Logik des Wettbewerbs unterworfen: zum Beispiel die Arbeitssuche, die Partnersuche, etc. – und damit auch der Vorstellung, dass unser gesamtes Leben ein ständiger Wettkampf ist und nicht ein Kooperationsgeschäft, das besagt, dass wir das Soziale brauchen, um zu überleben.
Stattdessen herrscht der „Terror der Ökonomie“, wie die französische Schriftstellerin Viviane Forrester schrieb.
Aber es wurde nicht etwa als bewusstes Prinzip übernommen, sondern ist ein schleichender Prozess. Hannah Arendt hat den Begriff der „Herrschaft des Niemand“ geprägt. Die Menschen haben dabei den Eindruck, sie seien einem anonymen System ausgesetzt. Nicht eine bestimmte Person, sondern das System entscheidet. Dadurch fühlt man sich völlig überfordert. Das ist hierzulande noch anders, wo jeder Luxemburger jemanden kennt und man nicht gleich den Eindruck hat, verloren zu sein …
… im gesellschaftlichen Dorfcharakter. Auch die Politik wird unter Managementaspekten und als Schaukampf zwischen Parteien und deren Kandidaten gesehen.
Das passt alles in das Schema des Wettbewerbs. Dann trifft sich alles in einer Mitte. Außerhalb dieser Mitte bleiben dann jene definitorisch Ausgeschlossenen, die nicht zu diesem Wertekanon gehören, der als Mitte bezeichnet wird. Das hält sich hierzulande noch in Grenzen, kann sich aber schnell ändern, sobald der ökonomische Druck größer wird. Dann kann es auch bei uns zu Radikalisierungen kommen.
Sandel sagt, der öffentliche Diskurs sei ausgehöhlt und ohne moralische Bedeutung. Treibt dies den sogenannten Protestparteien die Wähler in die Arme?
Jürgen Habermas hat seinen ersten großen Klassiker letztes Jahr neu herausgegeben und darauf hingewiesen, dass „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit“ stattgefunden hat, der „die deliberative Politik“ spezifisch herausfordert. Auch er weist darauf hin, dass die problemlösende Kraft der Demokratie nicht mehr direkt plausibel ist. Wahlen verkommen zur Werbung, nicht etwa um Positionen, sondern um Gesichter. In der Mitte drehen sich alle im gleichen Kreis, während harte Positionen definitorisch ausgegrenzt werden. Diese Dynamik kann man gerade auch hierzulande erleben. Das Geschwätz von „unseren Werten“ polarisiert nicht nur international, sondern auch national. Nach Habermas geht es in der Politik nicht um anfechtbare Werte, sondern um vernünftige Prinzipien.
Die Politik als Politikgestaltung der Öffentlichkeit wäre ein komplett anderes Modell. Mit dem Bürgerrat fürs Klima wurde das mindestens ansatzweise versucht.
Hat der einzelne Bürger zu konkreten Fragen nicht eher eine Meinung als zu abstrakten und gesamtgesellschaftlichen Fragen?
Die Politik hätte ein großes Interesse daran, sich als Politikgestalterin und nicht einfach als Politiker zu verstehen. Ich habe den Eindruck, wenn der Politiker, im Zusammenspiel mit den Medien, Gestalter des öffentlichen Diskurses wäre, würde das anders aussehen. Jetzt benutzt der Politiker die Medien als Plattform für seine Aussagen, während die Kontroverse unter den Politikern stellvertretend für die Bürger geführt wird, allerdings in sehr vereinfachten Positionen. Die Politik als Politikgestaltung der Öffentlichkeit wäre ein komplett anderes Modell. Mit dem Bürgerrat fürs Klima wurde das mindestens ansatzweise versucht. Allerdings hat man das nicht ganz ernst genommen. Einige Dinge wurden herausgenommen, die ohnehin schon „acquis“ waren. Das wäre für mich ein Beispiel für die Gestaltung des öffentlichen Raumes, indem der Politiker nicht derjenige ist, der entscheidet, sondern als Mandatsträger dafür sorgt, dass zivilisiert und ethisch-moralisch sowie zielführend miteinander diskutiert wird.
Als Beispiel für eine stärkere Bürgerbeteiligung werden häufig die „Townhall Meetings“ genannt, wie es sie in angelsächsischen Ländern gibt. Auch in Luxemburg gibt es gelegentlich Bürgerversammlungen, bei denen Bürger zu bestimmten Themen zu Wort kommen können.
Genau das müsste ausgebaut werden. Auch Petitionen stellen eine Möglichkeit für die Bürger dar, sich einzubringen. Aber dort werden sie zu Bittstellern gegenüber den Parlamentariern, die letztendlich entscheiden. Wenn man das professionell gestalten würde, müsste man das Pro und das Contra herrschaftsfrei und unpolemisch ausdiskutieren und nicht nur eine Position.
Was häufig die Gefahr bei Referenden ist.
Das Schweizer System geht dabei einen anderen Weg. In den gewählten Parlamenten gibt es nicht einfach die Mehrheit und die Opposition, weil die Parteien im Proporz, wie sie gewählt wurden, auch in den kantonalen und der nationalen Regierung sitzen. Wir hingegen haben versucht, die Gesellschaft auf das Parlament zu reduzieren. Dann bilden wir im Parlament Mehrheiten und Opposition ab, was in der heutigen Zeit völlig hirnrissig ist. Schließlich ist jeder einzelne Parlamentarier demokratisch gewählt. Aber wie man hier und in vielen anderen Ländern eine bestimmte Minderheit einfach zur Opposition erklären kann, habe ich nie ganz verstanden. In der Schweiz spielt das Volk seine Rolle sozusagen permanent, indem es Initiativen ergreift. Würde bei uns die neue Verfassung nicht gleich am 1. Juli in Kraft treten, hätte man kreativ über diesen Grundansatz diskutieren können.
Wurde also eine Chance verpasst?
Ja, weil man nicht offen gedacht hat und stattdessen wegen des festgefahrenen Mehrheit-Opposition-Schemas herumdoktern musste. So konnte man sich nur zu kleinen Kompromissen durchringen. Vor allem das Justizkapitel dürfte im Endeffekt als größer in die Geschichte eingehen.
Wie soll eine moralisch gewichtigere Form der politischen Auseinandersetzung aussehen?
Lassen Sie mich hier zuerst eine mir wichtige Unterscheidung einführen, nämlich die von Ethik und Moral. Versteht man – mit Niklas Luhmann – Ethik als Reflexion von Moral, dann versteht man auch seine Warnung, der ich nur zustimmen kann: Vordringlichste Aufgabe der Ethik ist es, vor Moral zu warnen! Politische Diskurse gehen von moralischen Prämissen aus. Sie vertreten Meinungen über das, was sie für richtig oder falsch, gut oder schlecht halten. Wer hier vernünftig argumentiert, darf im philosophischen Diskurs darauf zählen, dass das bessere Argument recht behält. In der Politik jedoch wird das bessere Argument durch die Herrschaft einer Mehrheit verdrängt. Hier könnte man gerade in kleinen Ländern, wie Luxemburg, experimentierfreudiger sein und zumindest gelegentlich das bessere Argument akzeptieren, auch wenn es nicht von der Mehrheit kommt. Eine solche Einstellung würde wirkmächtig zeigen, dass es der Politik vordringlich um das Gemeinwohl geht und nicht um das Ringen um politische Macht.
In der Pandemie traten Politiker:innen vor allem als Krisenmanager auf …
… und verloren dabei oftmals ihre „Governance“-Rolle. Ihre eigentliche Aufgabe wurde aufgehoben, und das Parlament wurde faktisch ausgehebelt.
Vor allem der Exekutive kam eine entscheidende Rolle zu.
Die politische Exekutive müsste ihre Rolle des Gestalters innerhalb der Demokratie neu entdecken. Die Minister sind viel zu stark im „daily business“ verwoben. Das konnte man während der Pandemie ganz besonders beobachten. Aus dem Krisenmanagement werden sogar Wahlargumente gemacht. Wobei die Bürger:innen nicht den Manager wählen, sondern den „Governor“, der dafür sorgt, dass Politik geschehen kann.
In der Politik kommt es aber häufig vor, dass gewählt wird, wer zum Beispiel beim Hochwasser …
… die Stiefel anzieht. Das ist bewusst so inszeniert. Was aber von Land zu Land unterschiedlich ist. In der Schweiz stand etwa der Leiter des Gesundheitsamtes mehr im medialen Vordergrund. Hier hatten wir das Phänomen, als seien plötzlich die Minister die besseren Wissenschaftler und Beamten. Im ersten Augenblick hat das den Menschen gefallen, nach dem Motto: Da packt jemand an, und ich kenne ihn, siehe Dorfcharakter. Doch so wird Politik von der Ausnahme eines bestimmten Krisenmanagements her verstanden. Dies ist aber gerade nicht das Modell, nach dem Demokratie und Gewaltentrennung funktionieren.
Als Bürger:innen brauchen wir die Politik, um unsere Probleme zu lösen. Dafür zahlen wir Steuern und halten uns an Gesetze.
Gerade während der Pandemie wurde auf der einen Seite das Gemeinwohl betont und auf der anderen Seite das Recht des Einzelnen und die Entscheidungsfreiheit.
Das Gemeinwohl ist auch etwas, das immer wieder neu und transparent ausgehandelt werden muss. Während der Pandemie wurde es punktuell unter dem Gesichtspunkt der „Volksgesundheit“ verstanden, während der Finanzkrise um 2008 als Rettung systemrelevanter Banken. Das ändert sich. Auch hierbei gilt, dass es die Aufgabe der Politik ist, eher Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Jetzt stellen wir Fragen an die Politik. Ich finde es, gerade in einer zunehmend digitalisierten, offenen Gesellschaft, unbegreiflich, dass wir Politik noch so betreiben, als seien wir noch im 19. Jahrhundert, während wir im restlichen Leben bereits im 21. Jahrhundert angekommen sind. Es steht auch ein Paradigmenwechsel für die Politik an, wenn sie ihre Rolle in der neuen Welt weiter verantwortungsvoll übernehmen will. Und ich glaube, das muss sie tun, wenn sie sich als ein problemlösendes Instrument für die Gesellschaft verstehen und nicht selbst zum Problem werden will. Als Bürger:innen brauchen wir die Politik, um unsere Probleme zu lösen. Dafür zahlen wir Steuern und halten uns an Gesetze.
Unsere Gesellschaft basiert auf Freiheitswerten, aber nicht ausschließlich.
Die Philosophie macht den Unterschied zwischen „Freiheit von“ und „Freiheit zu“. Die Freiheit, die wir haben, ist eine geschenkte Freiheit. Sie funktioniert nur, wenn wir alle zusammen die Lasten tragen. Wir fühlen uns heute mehr als individuelle Wesen, denn als soziale Wesen. Freiheit macht aber nur Sinn, wenn wir in einem System sind. Mit dieser Paradoxie haben wir momentan zu leben. Während der Pandemie wurde uns ganz kurz bewusst, dass wir als Menschen alle zusammengehören. Es gab eine kollektive Situation, wie Soziologen sagen. Plötzlich war von einer Weltgemeinschaft die Rede. Diese Situation ist aber ein paar Wochen später durch die Schließung der Grenzen, als Reaktion auf ein Virus völlig irrational, beendet worden. Dieses Grundgespür einer einzigen Welt und Gesellschaft, die nur zusammen überleben können, haben heute höchstens noch die Leute von „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“. Doch auch ihnen gelingt es im Moment nicht, dieses kollektive Bewusstsein zu schaffen.
Die Motivation zu überleben, die uns in kurzer Zeit zur Krone der Schöpfung gemacht hat, sollte reichen, um den Baum, den Wald und seinen Boden so zu pflegen, dass unsere Zukunft auch noch enkelfähig ist und wir uns den Ast, auf dem wir sitzen, nicht absägen
Wir tragen Verantwortung für kommende Generationen. Muss nicht verstärkt an die menschliche Ethik appelliert werden, was den Klimawandel betrifft? Was hat die Moralphilosophie dazu zu sagen?
Es ist eine Frage der Vernunft, dass wir unsere Lebensgrundlage nicht zerstören sollten. Wir kennen die Zahlen und erleben punktuell, was sie in dieser oder jener Region der Welt konkret bedeuten. Unsere Handlungsträgheit hat sich in der Evolution, die uns hervorgebracht hat, durchaus als erfolgreich erwiesen. Da wir im sogenannten Anthropozän unsere Lebensgrundlage maßgeblich mit verändern, muss sich auch unser Handlungsmodus verändern. Wir müssen vorausschauend handeln, weil die Zeit zum Reagieren fehlen wird. Diesen Lernprozess – außerhalb aller Krisen – sollte die Politik nun vordringlich initiieren und gestalten. Die Motivation zu überleben, die uns in kurzer Zeit zur Krone der Schöpfung gemacht hat, sollte reichen, um den Baum, den Wald und seinen Boden so zu pflegen, dass unsere Zukunft auch noch enkelfähig ist und wir uns den Ast, auf dem wir sitzen, nicht absägen.
Bei KI lassen wir uns kollektiv und im globalen Wettbewerb kindlich verspielt noch mehr von unseren Fantasien leiten als von unserer Vernunft
Ein relativ neuer Bereich ist die Ethik der künstlichen Intelligenz. Dafür hat die Unesco im November 2021 Empfehlungen ausgesprochen. Reicht es zu sagen, dass Menschen KI-Systemen nicht untergeordnet werden dürfen?
Nein! Wenn die Menschen mit den neuen Formen von Intelligenz und deren Interaktion mit ihrem Leben und Wissen moralisch umgehen wollen, dann müssen sie zuerst sich begrenzen und jedes neue technische Angebot auf seine Kompatibilität mit unserer Kultur überprüfen. Wir brauchen eine Art Zulassungsbehörde für Software und Hardware, so wie wir es für unsere „alten“ elektrischen oder mobilen Geräte erfolgreich eingeübt haben. Wer würde in ein brandneues Flugzeug steigen, das nicht getestet und behördlich abgenommen wurde? Wer würde experimentelle Medikamente zu sich nehmen, die nicht ausgetestet und offiziell zugelassen sind? Bei KI lassen wir uns kollektiv und im globalen Wettbewerb kindlich verspielt noch mehr von unseren Fantasien leiten als von unserer Vernunft.
Zur Person
Geboren 1960 in Differdingen, studierte Erny Gillen Theologie im schweizerischen Chur und in Louvain-la-Neuve, wo er auch promovierte. Er ließ sich 1985 zum Priester weihen und arbeitete unter anderem als Professor für theologische Ethik am Grand séminaire und am Institut catéchétique in Luxemburg.
Der Moraltheologe war unter anderem Präsident von Caritas Luxemburg, Präsident von Caritas Europa und Vizepräsident von Caritas International, außerdem Generalvikar der Erzdiözese und Präsident des Verwaltungsrats des Verlagshauses Saint-Paul. 2016 gründete er die „Moral Factory“ mit heutigem Sitz in der Hauptstadt, die er seither leitet, und die in ethischen Fragen berät, lehrt und forscht.
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Beste Grüße aus der Redaktion
Hat der von Theolgie auf Ethik gewechselt? Selbsternannr oder unabhängig geprüft?
Da ist er ja wieder.Die linke Hand Gottes und die rechte Hand der Trösterin der Betrübten. Der Ethiker der den Pfad der verlogenen Moral seiner Kirche verlassen hat und sein Glück in Afrika gefunden hat. Aber was "gestaltet"man denn wenn eine Pandemie ins Haus steht oder Krieg von einem Idioten ausgeht? Richtig.Beim Klima hatte die Politik 50 Jahre Zeit und hat es verpennt.Aber gut dass es Fachleute in Ethik und Moral gibt.Was wäre der Mensch für ein Schwein.