Aaron sagte nichts, hörte sich das Stück aufmerksam an. Die Musik kannte er ja, denn die hatte er selbst komponiert, doch nun war das Stück mit einer Gesangsmelodie und einem Text versehen worden. Mit einem vielsagenden Blick ließ er irgendwann Matt wissen: Der Funken ist zurück!
Vorher hatten sie eine lange Durststrecke überstehen müssen, die fast das Ende der Band bedeutet hätte. Berninger, Sänger und Texter von The National, sah sich gezwungen, eine Depression, verbunden mit einer brutalen Schreibblockade, zu bekämpfen, die sich zu Beginn der Arbeit an ihrem neuen Album bemerkbar machte.
Wie immer hatten die Dessner-Brüder Berninger ihre Song-Skizzen zukommen lassen, wie immer sollte der Sänger dazu passende Melodien und Texte finden – dieses Konzept hat sich über Jahrzehnte bewährt – doch diesmal passierte nichts. Berninger war unfähig, seinen Beitrag zu leisten, und die Band vollkommen machtlos, da man durch die Pandemie-Bestimmungen isoliert voneinander war.
Berninger, bereits im „Normalzustand“ der grüblerische Typ voller Selbstzweifel, verharrte in einer Art Schockstarre, war über einen längeren Zeitraum kreativ wie gelähmt und fürchtete, wie er in einigen der seltenen Interviews einräumt, die die Band nun gestattete, sein Talent unwiederbringlich verloren zu haben.
Als jedoch im Sommer 2022 erstmals wieder Konzerte gespielt wurden und der Sänger die Energie, die vom Publikum ausging, spüren konnte, fand er die Kraft, wieder zu schreiben. Er packte die negativen Gedanken und Ängste vor Verlust und Wahnsinn einfach in Worte, versah sie mit der ihm eigenen Portion Selbstironie und fand so wieder in die Spur.
Den Songs, die nun entstanden, hört man die Schwermut und auch die Erschöpfung der Musiker während dieses ganzen Prozesses an. Anders wie bei den beiden Vorgängern „I am easy to find“ und „Sleep well Beast“, bei denen die Band viel experimentierte, zahlreiche Gastsängerinnen mit einbezog und auch mit für sie ungewohnten Beats arbeitete, besticht das neue Werk durch seine instrumentale Schlichtheit.
Die Songs werden von klaren, zumeist leisen Klavier- oder Gitarrenparts dominiert, in die Berninger dann seine Textkunst und Melodien entweder so einfügt, dass er sich von den vorhandenen Akkorden und Harmonien mittragen lässt oder unerwartet seitlich einsteigt und Kontrapunkte setzt.
Cowboy Junkies oder Afghan Whigs?
Die Lieder sind allesamt sehr intensiv, man taucht völlig in Berningers Geschichten und vielsagende Metaphern ein. Bereits der Opener „Once upon a Poolside“ ist zum Niederknien schön. Bryce Dessner zaubert eine Klaviermelodie hervor, während der Sänger das Schamgefühl beschreibt, das ihn während der Pandemie immer wieder beschlich, wenn er sich vergleichsweise nichtigen privaten Problemen zuwandte, während die Welt draußen in Schieflage geriet und sich die Katastrophenmeldungen täglich überschlugen.
Es folgt ein Song, dessen Thematik der französische Songwriter Jean-Jacques Goldman in den 80er Jahren bereits einmal sehr originell umgesetzt hat. Ein Paar, das sich getrennt hat, streitet um die gemeinsamen Dinge, die nun aufgeteilt werden müssen. Das Stück hieß „Reprendre, c’est voler“ – Lieblingszeile: „Tu garderas tes X et moi mes XY“. Bei Berninger sind es u. a. Platten der Cowboy Junkies und der Afghan Whigs sowie der titelgebende „Eucalyptus“, die die Entfremdung verdeutlichen – großes Kino!
Die eingangs beschriebene Situation bezieht sich auf Song Nummer 3. In ein simples Gitarrenpicking gibt sich Berninger der Nostalgie hin und beschreibt Bilder, die er mit dem Zeitpunkt verbindet, als er sich in seine heutige Frau verliebte. Etwa als auf einem Flug von Tokio nach Hawaii eine japanische Spielzeugbombe, die er im Gepäck mitführte, dafür sorgte, dass der ganze Flughafen lahmgelegt wurde und Carin ihn später aus dem Arrest holte. Doch Obacht: Nicht alles ist autobiografisch, Matt führt uns ganz schön an der Nase herum. Das New-Order-Shirt des Mannes, das die Frau mit der Katze und dem Glas Bier in der Hand so selbstverständlich trägt, ist laut Berninger seine eigene Erfindung.
Auch die beiden Stücke, in denen die Sängerin Phoebe Bridgers und Berninger gekonnt zweistimmig interagieren, sind regelrechte Ohrwürmer. Bei „Your mind is not your friend“ gewinnt man gar den Eindruck, Bridgers spiele die Rolle von Berningers Verstand, wenn sie ihm mantraartig die Titelzeile einflüstert. Taylor Swift spielt ihrerseits die zweite Person in dem Song „The Alcott“, der ebenfalls von einer Beziehung handelt, die in die Brüche geht. Irgendwie passen die Stimmen von Swift und Berninger hier jedoch nicht so recht zusammen.
In „Grease in you hair“ blitzt dann auch noch der typische, kraftvolle „The National“-Sound auf, die Musik bläht sich nach und nach immer stärker auf, Schlagzeuger Bryan Devendorf hämmert so herrlich synkopisch auf sein Schlagzeug ein, dass man den Lautstärke-Pegel einfach hochdrehen muss und sich dann völlig in der Musik verlieren darf. Krise überstanden!
Rating: 9/10
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