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ForumAlle Kinder sind gleich … ? – Überlegungen zur Escher Schulpolitik

Forum / Alle Kinder sind gleich … ? – Überlegungen zur Escher Schulpolitik
 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Natürlich sind nicht alle Kinder gleich: Sie haben verschiedene Bedürfnisse und wachsen in unterschiedlichen Umgebungen auf. Dass allen die gleichen Ausgangsbedingungen geboten werden, sollte eigentlich nicht in Frage gestellt werden.

Der Betreuungsschlüssel, der „Contingent“, der luxemburgischen Schulen beruht auf Studien des Liser, das die sozio-ökonomisch-kulturelle Situation der Familien in den luxemburgischen Gemeinden untersucht. Bei dem errechneten Indice steht die Stadt Esch an allerletzter Stelle und hat sich demnach seit der letzten Studie von 2019 noch verschlechtert. Das bedeutet, dass die Schüler in Esch die ungünstigste Ausgangssituation in Luxemburg haben. Auch in Esch sind nicht alle Schulen gleich. Wenig überraschend ist, dass besonders in den Schulen im Zentrum die schlechtesten Ausgangsbedingungen herrschen. Der errechnete „Indice“ erlaubt es der Stadt Esch, im Vergleich mit anderen Gemeinden, über einige zusätzliche Lehrer*innenstunden zu verfügen.

Eine logische Schlussfolgerung der wenig schmeichelhaften Erkenntnisse dieser Studie müsste meines Erachtens sein, dass die Stadt sich besondere Mühe gäbe, die schlechteren Ausgangsbedingungen auszugleichen. Sie müsste den Escher Schulen hervorragende Infrastrukturen und optimales Material zur Verfügung stellen, und das vor allem dort, wo die Missstände am größten sind.

Doch schauen wir uns mal die Realität in Esch nach sechs Jahren schwarz-blau-grüner Koalition an:

Der jetzige Schöffenrat hat leider damit gebrochen, die zusätzlichen Lehrer*innenstunden auch proportional zur jeweiligen Situation in den Schulen aufzuteilen. Dies hat in den Jahren davor dazu geführt, dass dort, wo sie besonders benötigt wurden, etwas mehr menschliche Ressourcen zur Verfügung standen. Obschon es nicht immer viele Stunden waren, fehlen diese Stunden jetzt.

Die erste Aufgabe einer Stadt besteht darin, den benötigten Schul- und Betreuungsraum anzubieten und für dessen Qualität zu sorgen. Auch in der Vergangenheit wurde nicht genug in die Schulinfrastruktur investiert. Unter der LSAP-„déi gréng“-Führung wurden die Schulen immer größer und es entstanden unzählige provisorische Nebengebäude, sogar auf Parkplätzen. Unter der aktuellen Führung kamen zwar keine weiteren Provisorien hinzu, doch sie stellte nicht mal das von der vorherigen Koalition geplante Projekt Wobrécken fertig. Eigentlich müsste in Esch momentan alle zwei Jahre eine neue Schule öffnen, um gleichzeitig dem Defizit der vergangenen Jahre sowie dem aktuellen Wachstum unserer Stadt gerecht zu werden.

Im Escher Zentrum, wo die Bedingungen ohnehin besonders ungünstig sind, sind die Schulen in einem äußerst schlechten Zustand. Sie wurden schon sehr lange nicht mehr instand gesetzt und verfügen oft über zu kleine Klassenräume. Trotzdem müssen diese Schulen die gleiche Anzahl Schüler pro Klasse wie andere Schulen annehmen, obwohl sie den heutigen Ansprüchen an eine moderne Schule kaum gerecht werden können. Es fehlen meistens Werkstätten, Labore, Küchen, Bibliotheken und Konferenzräume. Alle Vorhaben, diese Schulen zu renovieren und zu modernisieren, wurden auf Eis gelegt und wollen von diesem Schöffenrat auch nicht angegangen werden.

Eine ideale Schule besteht aus einem einzigen Gebäude und verfügt dort über alle nötigen Infrastrukturen, inklusive für Sport und Betreuung außerhalb der Schule. Die Schülerzahl sollte 450 nicht überschreiten. Die wenigsten Schulen in Esch entsprechen diesem Modell auch nur ein bisschen, keine zu 100%.

„Dritter Pädagoge“

Der Schulraum wird allgemein als „dritter Pädagoge“ bezeichnet, neben dem ersten, der Lehrperson, und dem zweiten, den Mitschüler*innen. Der Raum bestimmt zu einem wichtigen Teil, wie unterrichtet wird. Deshalb ist es nicht gleichgültig, wie eine Schule geplant wird. In eine Schulplanung müssen also die späteren Lehrpersonen und speziell auch Expert*innen für Schulraumgestaltung mit einbezogen werden. In Esch geschieht das systematisch nicht. Bei der Entscheidung zur neuen Schule für das „Rout Lëns“-Viertel, der einzigen unter der aktuellen Gemeindeführung geplanten Schule, saßen lediglich Gemeindevertreter*innen, Architekt*innen und gleich mehrere Vertreter des privaten Investors des Viertels in der Jury.

Die Ausstattung mit Didaktik- oder Informatikmaterial ist in den Escher Schulen sehr unterschiedlich. Zeitweise berichteten einige Schulen, dass es ihnen unmöglich sei, Hörübungen durchzuführen, da sie über kein funktionierendes Gerät zum Abspielen eines Hörtextes verfügten. Besonders beschämend ist die Situation, was das nötige Informatikmaterial betrifft. Tatsächlich sind heute für einen angepassten Unterricht verschiedene Geräte wie iPads oder Computer nötig. Die meisten neuen Schulbücher sind mit QR-Codes versehen, die den Schülern erlauben, auf Zusatzmaterial, Hördateien o.Ä. zurückzugreifen. Den Umgang mit dieser neuen Technologie in der Schule zu lernen und zu üben, ist unverzichtbar, und das besonders in den Vierteln, wo die sozio-ökonomischen Voraussetzungen nicht die besten sind. Wieder sind es mitunter die Schulen im Escher Zentrum, die am schlechtesten ausgestattet sind. Obschon immer wieder neue Geräte versprochen wurden, hat sich die Situation kaum gebessert.

Wo in anderen Gemeinden längst alle Klassensäle mit interaktiven Tafeln oder zumindest Bildschirmen ausgestattet sind, geht das in Esch nur sehr schleppend voran und lediglich einige mobile Beamer wurden an die Schulen ausgeliefert.

Wie besonders in skandinavischen Ländern anhand von Studien bewiesen wurde, profitieren alle Kinder davon, wenn eine heterogene Struktur besteht, was die sozio-ökonomischen Verhältnisse der Eltern betrifft. Eine Gemeinde sollte also anstreben, diese soziale Mischung bei der Bestimmung der Einzugssektoren der einzelnen Schulen zu berücksichtigen. Diese Forderung der Escher Linken stieß jahrelang auf taube Ohren. Durch die Eröffnung der neuen Wobrécken-Schule ergab sich die Notwendigkeit einer neuen Aufteilung der Sektoren. Es bestand Hoffnung, dass besonders das Kriterium der Mischung berücksichtigt werden würde, doch genau das Gegenteil wurde umgesetzt: Voraussichtlich wird die soziale Mischung an den Escher Schulen durch die Neuaufteilung noch ungünstiger sein, als das schon vorher der Fall gewesen ist. Auch Vorschläge der Schulpräsident*innen der Zentrumsschulen für eine optimalere Aufteilung wurden vom Schulschöffen zurückgewiesen.

Esch braucht in den nächsten Jahren ein vorausschauendes, ganzheitliches Konzept für den vollständigen Schul- und Betreuungsbereich. Es reicht nicht mehr, von heute auf morgen zu planen. Alle Bemühungen müssen darauf zielen, allen Escher Kindern nicht nur die gleichen, sondern die bestmöglichen Voraussetzungen zu bieten. Dies kann nur in Zusammenarbeit mit den Schulen und der Schuldirektion geschehen. Von interessanten Initiativen wie Waldklassen, Umwelterziehung oder Schulkolonien sollen alle Escher Schüler gleichermaßen profitieren können.


Zum Autor

Laurent Biltgen ist Grundschullehrer und Gemeinderat für „déi Lénk“ in Esch