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JugendstrafrechtMenschenrechtskommission: „Gut, aber für Minderjährige nicht gut genug“

Jugendstrafrecht / Menschenrechtskommission: „Gut, aber für Minderjährige nicht gut genug“
Die Mitglieder der Menschenrechtskommission haben viel Energie und Zeit in das Gutachten zum Gesetzesvorhaben über das Jugendstrafrecht investiert: Fabienne Rossler, Gilbert Pregno, Noémie Sadler und Anamarija Tunjic Foto: Editpress/Didier Sylvestre

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Grundsätzlich begrüßt die Menschenrechtskommission in ihrem Gutachten das Gesetzesvorhaben zum Jugendstrafrecht. Genau wie der neue Text zum Jugendschutz stelle es einen Paradigmenwechsel in Luxemburg dar. 30 Jahre nach ihrer Unterzeichnung trage der Gesetzgeber der Kinderrechtskonvention nun Rechnung, allerdings noch lange nicht vollumfänglich und mit zu viel Interpretationsspielraum.

„Obwohl wir Kritik am Gesetzesvorhaben zum Strafrecht ausüben, das in Luxemburg nun separat für Minderjährige eingeführt werden soll, begrüßen wir ausdrücklich und grundsätzlich, dass endlich, im Sinne der Kinderrechtskonvention, eine klare Trennung zu den für Erwachsene geltenden Prozeduren kommen wird“, so Gilbert Pregno, Präsident der „Commission consultative des droits de l’homme“ (CCDH), auf einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Das Justizministerium hatte das Gutachten über das Gesetzesvorhaben in Auftrag gegeben. Nun liegt es vor. Als beratende Menschenrechtskommission habe man sich viel Zeit genommen, so Anamarija Tunjic, Juristin, und Noémie Sadler, Vizepräsidentin der CCDH.

Bereits der ursprüngliche Text sei unpräzise gewesen, habe nicht immer mit internationalen Normen übereingestimmt und habe viele Fragen aufgeworfen. Dann habe die Regierung im Januar Abänderungen vorgestellt. Diese hätten die Sache nicht besser gemacht, im Gegenteil. Für die CCDH liege nun ein Gesetzestext vor, der gute Ansätze zeige, die Interessen und Rechte der Kinder und Jugendlichen aber nicht vollumfänglich in den Fokus rücke.

Alter der Strafmündigkeit

Ein wichtiger Punkt für die Kommission ist das Alter, ab welchem das Strafrecht bei Minderjährigen angewandt werden soll. 14 war ursprünglich geplant. Ein Fortschritt, so die CCDH. Damit hätte man leben können. Eine Grenze nach unten gibt es bisher nämlich nicht.

Im Zuge der Nachbesserungen am Gesetzestext sei dann aber der Forderung vor allem der Staatsanwaltschaft nachgegeben und die Altersgrenze für Strafmündigkeit auf 13 Jahre festgelegt worden. Bedauerlich, so die CCDH. In erster Linie, weil 14 Jahre als quasi Mindestgrenze auf aktuellen Kenntnissen im Bereich der Kinderentwicklung und Neurowissenschaften sowie auf internationalen Empfehlungen, zum Beispiel des Kinderrechtskomitees in Genf, beruhe.

Wichtig scheint der Menschenrechtskommission hauptsächlich die Frage, ab wann ein Minderjähriger als fähig angesehen werden kann, sein Handeln und die daraus folgenden Konsequenzen zu verstehen. Wichtig auch, ob die Instrumente des Strafrechts eine angemessene Reaktion darstellen.

Die CCDH ist der Meinung, dass niemand unter 16 mit Freiheitsentzug zu bestrafen sei. Die Kommission begrüßt deshalb, dass der Gesetzestext explizit vorsieht, keine Kinder mehr in Erwachsenengefängnissen unterzubringen. Leider scheine zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher, ob das auch eingehalten werden kann. Zumindest so lange, wie das „Centre socio-éducatif“ in Dreiborn nicht ausgebaut und erweitert sei, sollen Minderjährige ins Untersuchungsgefängnis Uerschterhaff kommen. Das sei einfach inakzeptabel und nicht im Interesse des Kindes und seiner Bedürfnisse.

Kinder sind keine Erwachsene

Kinder und Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, müssen laut Kommission anders behandelt werden als Erwachsene. Es sei wichtig, dass ihren Bedürfnissen während der ganzen Strafprozedur Rechnung getragen werde. Ein Gesetz müsse das garantieren können. Wohl sei jetzt vieles angedacht, aber nicht ausformuliert worden. Das Recht auf einen Anwalt zum Beispiel – was für einen fairen Prozess unerlässlich sei. Dieses Recht sei zwar prinzipiell im Text verankert, sei aber durch die Änderungen eingeschränkt worden, unter anderem, wenn bei weniger schweren Vergehen die Präsenz eines Anwalts als nicht wichtig und nötig erscheint. Obligatorisch bliebe der Rechtsbeistand nur im Falle eines Verbrechens. Unverständlich, so die CCDH. Ein Anwalt solle immer dabei sein können und er müsse über eine spezielle Weiterbildung im Bereich der Kinderrechte verfügen.

Diese Kenntnisse müssten eigentlich Voraussetzung für jeden sein, der bei Justizangelegenheiten mit Minderjährigen zu tun habe. Bei Polizei und Staatsanwaltschaft sei das vorgesehen, nicht aber bei Leuten vom „Service central d’assistance sociale“ (SCAS) oder bei Richtern. „Das war eine Überraschung für uns“, so die Vertreter der Menschenrechtskommission.

Für die CCDH sollte bei Minderjährigen stets nach einer Lösung gesucht werden, damit es, im besten Fall, gar nicht erst zu einem Gerichtsprozess komme. Und wenn doch, müsse Freiheitsentzug immer das letzte Mittel sein und, wie in der Kinderrechtskonvention vorgesehen, so kurz wie möglich ausfallen. Das solle kein Freifahrtschein für junge Menschen sein, aber die Möglichkeit, damit sie ohne zu viel Zutun der Justizautoritäten von der schiefen Bahn auf den rechten Weg zurückfinden könnten.

Für die Kommission gibt es offensichtlich viele Alternativen zu einem eher repressiv funktionierenden Justizapparat, man müsse sie nur suchen und dann auch wollen. Das gelte besonders bei schwangeren Minderjährigen oder Minderjährigen mit kleinen Kindern. Gegenüber dem initialen Text habe es im Januar eigentlich eine totale Kursänderung gegeben. Schwangere Minderjährige sollen nun doch ins Gefängnis kommen können. Es sehe ganz danach aus, als ob die Justiz Angst davor habe, dass alle schwanger werden, nur um nicht ins Gefängnis zu müssen – „da werde ich sprachlos“, so die Juristin der CCDH.

Es würde genügen, nach Thionville, Arlon oder Trier zu fahren, um zu wissen, dass es andere Ansätze gibt

Gilbert Pregno

Staatsanwaltschaft als Bremser

„Wir üben Kritik, nichtsdestotrotz begrüßen wir den vorliegenden Text als Schritt in die richtige Richtung“, wiederholt Gilbert Pregno am Ende der Pressekonferenz. Der Präsident der Menschenrechtskommission spricht aber auch von einem beeindruckenden Widerstand der Richterschaft, insbesondere der Staatsanwaltschaft. Im November 2022 habe ein Staatsanwalt davon gesprochen, dass dieses Gesetz mehr Probleme schaffen werde, als es löse, und dass das Strafrecht zum Papiertiger werde. Pregno fehlt der breitere Kontext. Der Wille, etwas zu verändern, und mehr Diskussionsbereitschaft. Vor allem über die Kritik, die Luxemburg seit vielen Jahren von internationalen wie luxemburgischen Organisationen und NGOs erhalten habe. „Es würde genügen, nach Thionville, Arlon oder Trier zu fahren, um zu wissen, dass es andere Ansätze gibt“, sagt Pregno.

Das Bestehende zu loben und sich allen Reformen zu widersetzen sei eher eine Haltung, die sich, aus welchen Gründen auch immer – vielleicht Machtspiele oder Druck –, nicht mit den Errungenschaften der letzten Jahrzehnte im Bereich des Kinderschutzes oder des Strafrechts auseinandersetze, so Pregno. Er bedauere, dass die Jugendrichter, die wichtigsten Akteure, wenn es darum gehe, ein Kind zu schützen, einen Jugendlichen zu betreuen oder zu bestrafen, ihre Meinung nicht mitteilen. „Haben sie Angst, eine Position einzunehmen, die sich von der Staatsanwaltschaft unterscheidet? Schade wär’s!“, so Pregno.

„Auch wenn wir den Fortschritt begrüßen, wäre es besser gewesen, man hätte sich zusammengesetzt, um mehr Konsens zu finden. Aber wir müssen feststellen, dass dies nicht möglich war, und das bedauere ich.“