Als Fritz Kuhn noch Bundesvorsitzender der Grünen war, fuhr er im Sommer 2001 durch Thüringen und Sachsen-Anhalt. Sein Blick schweifte aus dem Zug über die weiten staubigen Felder ehemaliger ostdeutscher Kolchosen. „Vielleicht müssen wir einfach wieder über die Äcker“, entfuhr es Kuhn, der später Oberbürgermeister von Stuttgart wurde, beim lauten Nachdenken darüber, wie der Atomausstieg in Deutschland durch neuen Protest eines Tages durchgesetzt werden könnte.
Kuhn führte damals mit Claudia Roth, heute Staatsministerin für Kultur und Medien, die Ökopartei. Beide hatten sich viele Jahre zuvor kennengelernt, als sie beim Landestheater Memmingen mit dem Stück „Freiheit im Krähwinkel“ hospitierten, ein Werk des Autors Johann Nepomuk Nestroy über Kleinbürgermief. Gut 25 Jahre später verfolgten sie als Grünen-Parteichefs noch ein anderes Ziel: Freiheit von Atomkraft – für das ganze Land. Das verstanden sie als Auftrag, jedenfalls war es mit ein Gründungsauftrag ihrer Partei, den Grünen.
In wenigen Tagen werden an diesem Samstag, 15. April 2023, die letzten drei noch laufenden deutschen Atommeiler vom Netz genommen. Dann sind die Kraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland insofern Geschichte, dass sie keinen Strom mehr produzieren werden und ihr Rückbau wie auch die sichere Endlagerung des strahlenden Mülls organisiert werden muss. Die Grünen, 1980 gegründet, sind damit gut 43 Jahre nach ihren Anfängen am Ziel: Deutschland ist am Ende seiner aktiven Atomkraftzeit angelangt. Die Grünen und ihre Mitstreiter sind in ihrem Kampf gegen Atomkraft über viele Äcker gelaufen – nicht nur im Wendland. Dabei ist die Generation führender Grünen-Politiker älter geworden oder hat Verantwortung an Jüngere abgegeben.
Die Grünen sind am Ziel
Kuhn, Roth oder Ex-Parteichefinnen wie Renate Künast und Krista Sager standen bei Anti-Atom-Protesten mit in der ersten Reihe. Ebenso der Alt-Linke Hans-Christian Ströbele, der im vergangenen Jahr starb. Jürgen Trittin, der einst selbst Parteichef war, hielt beim Bundesparteitag in Bonn im vergangenen Oktober einen bewegenden Nachruf auf Ströbele. Joschka Fischer, erster Außenminister mit Grünen-Parteibuch und lange Zeit der Realissimo der Partei, führt seit Jahren gemeinsam mit Dietmar Huber, einst langjähriger Pressesprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, die Politikberatungsfirma „Joschka Fischer & Company“. Fischer wird an diesem Mittwoch 75 Jahre alt. Womöglich blickt auch er bei seinem eigenen runden Geburtstag zurück auf wildere grüne Zeiten – auf dem Acker und in einer Bielefelder Parteitagshalle, als er 1999 für eine Mehrheit der Grünen für ein deutsches Ja zum Kosovo-Krieg kämpfte, geplatzter Farbbeutel und geplatztes Trommelfell inklusive.
Die Grünen sind am Ziel. Die FDP, die sich längere Atomlaufzeiten weiter vorstellen kann, ist verstimmt. So ist die Lage in der Ampel-Koalition. Bundeskanzler Olaf Scholz musste im vergangenen Oktober tatsächlich ein Machtwort sprechen und seine Richtlinienkompetenz als Kanzler einsetzen, als er einen Weiterbetrieb der drei letzten deutschen Atomkraftwerke bis zum 15. April dieses Jahres anordnete. Dabei hatte der Grünen-Bundesparteitag in Bonn zuvor eigens Wirtschaftsminister Robert Habeck den Rücken gestärkt und einem vorübergehenden Reservebetrieb der beiden süddeutschen Meiler Isar und Neckarwestheim bis Mitte April zugestimmt. Das AKW Emsland aber sollte abgeschaltet werden. Ein Zufall? Damals im Oktober 2022 war gerade der Landtagswahlkampf in Niedersachsen vorbei und die Grünen wollten in die Regierung – ohne ein laufendes Atomkraftwerk Emsland.
Abschalten in aller Stille
Nun also beschreiben führende Grüne wie Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann und Co-Parteivorsitzende Ricarda Lang den Einstieg in ein neues Energiezeitalter ohne Atomkraft. Für Haßelmann ist damit ein Gewinn an Sicherheit verbunden. Sie sagte dem Tageblatt: „Atomkraft ist teuer, sie ist unsicher und sie ist eine Technologie von gestern. Wie wir in Frankreich und Belgien sehen, sind AKW störanfällig und unzuverlässig. Mit dem Atomausstieg gewinnen wir in der Energieversorgung an Sicherheit und Unabhängigkeit.“ Jetzt sei der Weg frei für die Technologien der Zukunft, vor allem aus Wind und Sonne. Bereits in wenigen Jahren werde sich das Stromsystem in Deutschland zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen speisen.
Grünen-Chefin Lang weiß um die Sensibilität des Themas und den Ärger gerade im FDP-Lager wegen des bevorstehenden Atomausstiegs. Lang lobt die Ampel. „Der Ausstieg ist vor allem ein endgültiger Einstieg: ins Zeitalter der Erneuerbaren. Hier sind wir seit Antritt der Ampel-Regierung erheblich vorangekommen, haben den Turbo beim Ausbau der erneuerbaren Energien gezündet und holen nach, was in der großen Koalition liegen geblieben ist“, sagte sie dem Tageblatt. Die FDP plädiert dafür, die drei Atomkraftwerke wenigstens noch ein Jahr „Standby“ betriebsbereit zu halten. Auch eine knappe Mehrheit der Bundesbürger hält aktuell nach einer Umfrage das Abschalten der drei letzten Meiler für falsch. Vielleicht halten die Grünen auch deshalb den Ball so flach wie möglich. Eine zentral organisierte Feier zum endgültigen Atomausstieg an diesem Samstag sei nicht geplant, heißt es in der Parteizentrale. Isar, Neckarwestheim und Emsland werden abgeschaltet. In aller Stille. Dazu müssen die Grünen nicht mehr auf den Acker.
Zu Demaart
Ech sinn geint Atomkraft, mee, an der Energiesituatio'un wo'u mer elo sin, ohni russegen Gas, (war als Iwerbrekungstechnologie geduecht) bestehend Atomkraftwierker zo'u ze machen an Kuehlekraftwierker an Plaatz un d'Netz ze huelen, ass wirklech en Nonsense. Vive Klima !