Industrien, Erdöl-Firmen, Lebensmittel-Multis, Fluggesellschaften, Reedereien, besonders solche, die Kreuzfahrten organisieren, geben Spenden für den „World Wildlife Fund“, für „Oxfam“ und andere Speerspitzen der Zivilgesellschaft.
Immer beliebter wird das Kaufen von Zertifikaten von CO2-Kompensationsprojekten, mittels derer die Betriebe die eigene Klimabilanz „verschönern“ können. Lufthansa, Swiss und selbst die Luxair investieren in solche Projekte. Um danach zu behaupten, die von ihren Flugzeugen verursachten Emissionen würden „kompensiert“.
In Luxemburg zahlt der Staat für den CO2-Ausstoß der Regierungsmitglieder bei ihren Flugreisen. Die benutzten Flugzeuge wären auch ohne die Minister geflogen. Aber durch solche „Ablass-Zahlungen“ verschafft man sich ein „gutes Gewissen“. Die Frage bleibt, ob es wirklich zu einem echten Ausgleich der von den Flugreisenden mitverursachten Klimagase kommt.
Der gesinnungsethische „Kompensationshandel“ geriet zu einem Milliarden-Dollar-Geschäft. In Washington sitzt als Marktführer die Gesellschaft „Verra“. Die vorgibt, „verifizierte Karbon-Standards“ zu setzen. Die weltweit als „regierungsunabhängige Organisation“ (NGO) agierende Gesellschaft „schützt“ angeblich die Regenwälder. Indem sie dafür sorgt, dass bestehende Urwälder oder andere Waldbestände nicht abgeholzt werden. Das funktioniert wie folgt: Für jeden Hektar Wald, der nicht gefällt wird, werden 4.000 Tonnen CO2 gutgeschrieben. Diese theoretische Einsparung wird als Zertifikat verkauft, um einen realen CO2-Ausstoß zu kompensieren.
„South Pole“ ist eine Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz und 1.200 Mitarbeitern weltweit. Die sehr lukrative Privatfirma, mit einem Pinguin in ihrem Logo, will über 200 Millionen Tonnen CO2 eingespart haben. Indem sie in erneuerbare Energien investiert. Oder arme Bauern der Dritten Welt mit emissionsarmen Kochstellen versorgt. Sowie CO2-Einsparungen durch Aufforstung oder nur den Erhalt von Baumbestand realisiert. Das Waldschutzprojekt Kariba in Simbabwe erbrachte angeblich Einsparungen von 40 Millionen Tonnen CO2. Eine unabhängige Überprüfung kam auf höchstens 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenz. Da die Zertifikate schon verkauft waren, wurde versprochen, dieses Jahr bei Ablass-Scheinen entsprechend einzusparen.
Phantom-Zertifikate?
Ein Journalistenteam des britischen Guardian und der deutschen Die Zeit kam nach von Wissenschaftlern überprüften Recherchen zur Schlussfolgerung, dass es sich bei der Mehrheit der Kompensations-Kredite um „Phantom-Zertifikate“ handelt. Im Falle von „Verra“ würden gar 90% der Projekte zum Schutz des Regenwaldes zu keinen realen Emissionsminderungen führen.
Bei Projekten, welche auf die Vermeidung von Abholzungen zielen, beruhe die dadurch erreichte CO2-Einsparung auf willkürlichen Schätzungen. Vor allem würden die angeblich verhinderten Rodungen von Holzbeständen an einem bestimmten Ort keine Garantie bieten, dass nicht in nächster Nachbarschaft umso stärker abgeholzt wird.
Gesellschaften wie „Verra“ oder „South Pole“ lassen ihre Projekte von fremden Gutachtern zertifizieren. Doch, wie die Neue Zürcher Zeitung bemängelte, ist die CO2-Kompensierung zu einem solchen Riesengeschäft herangewachsen, dass je mehr Zertifikate herausgegeben werden, desto mehr auch die Kontrolleure verdienen.
Bislang erfolgte dieser Zertifikatehandel rein privatwirtschaftlich. Da es keine offizielle Aufsichtsbehörde gibt, kontrollierte niemand die Kontrolleure. Das soll sich ändern. Laut Financial Times vom 30. März 2023 bildete sich eine regierungsunabhängige „Task Force“, die sich zum Ziel setzt, bis Ende 2023 klare Spielregeln für die korrekte Erfassung der CO2-Kompensationen zu erstellen.
Rat für Karbon-Integrität
Der „Integrity Council for the Volontary Carbon Market“ wurde initiiert von Mark Carney, ehemaliger Gouverneur der Bank of England. Der neue Rat wird geführt von Annette Nazareth, ehemalige Kommissarin der „US Securities and Exchange Commission“. Alles bleibt also in angelsächsischer Hand.
Ziel ist es, die Schwelle für „Zertifizierte Karbon-Kredite“ zu erhöhen. Laut Annette Nazareth erfüllen die meisten „Karbon-Offsets“ nicht die notwendigen Kriterien für Transparenz und „best efforts“. Der „Integritäts-Rat“ will nicht nur schärfere Regeln erstellen. Er gedenkt auch vor Ort unangemeldete Kontrollen vorzunehmen. Um notfalls die Zertifikat-Händler öffentlich bloßzustellen. Die Auditfirmen, welche bislang die Karbon-Kredite zertifizierten, sollen besser geschult und in ihrer Arbeit überprüft werden.
Zusätzlich sollen Firmen wie „Verra“ oder „South Pole“ offenlegen, wo ihre CO2-Einsparungsprojekte real angesiedelt sind und wie sie verifiziert wurden. Sowie welche Firmen die Abnehmer der Kompensations-Zertifikate sind. Zwecks Verhinderung von Mehrfach-Verkäufen. Ob es dem neuen Organismus gelingt, den wilden Markt der Karbon-Kredite zu disziplinieren, zeigt sich frühestens ab 2024.
Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob die Idee hinter den angeblich „marktwirtschaftlichen Lenkungsinstrumenten“ zur Bekämpfung der Klimagase überhaupt funktioniert.
Chicago-Boys
Es waren die Amerikaner, die anlässlich der Kyoto-Konferenz von 1997 den von der neoliberalen „Chicago School of Economics“ entwickelten Handel mit Emissionsrechten durchsetzten. Die Idee: Betriebe, welche Einsparungen erzielten, sollten diese als „Belohnung“ verkaufen können an Industrien, die ihre Einsparziele nicht erreichten. Auch Staaten sollten ihre Einsparziele durch Investitionen in Drittstaaten, vornehmlich in Entwicklungsländern, aufstocken können.
Wie üblich gingen praktisch nur die Länder der EU sowie die Schweiz und Norwegen auf diesen Weg. Die USA verweigerten eine Teilnahme. China und Indien sowieso. Kanada, Japan, Korea, Neuseeland und andere stiegen nach und nach aus.
In der Europäischen Union setzte der offizielle Handel mit Emissions-Zertifikaten zuerst viel kriminelle Energie frei. Dubiose Firmen wurden gegründet, welche durch Karussell-Geschäfte quer durch die Union fiktive Verkäufe tätigten. Für ihre angeblichen „Exporte“ von Emissionsrechten ließen sie sich die Mehrwertsteuer erstatten. Und kassierten damit illegal Milliarden Euro, um sofort ihre Scheinfirmen aufzulösen. Nicht alle Kriminellen konnten gefasst werden.
Doch die EU-Europäer fahren unverdrossen mit ihrem „guten Beispiel“ fort. Der Anteil der Europäischen Union an den weltweiten Emissionen von Klimagasen hat sich seit 2005 mehr als halbiert. Von um die 15% auf nunmehr rund 7%. Es gab wirkliche Einsparungen durch den Wegfall von volkswirtschaftlich unrentablen Dreckschleudern in der ehemaligen DDR und anderen Ostblock-Staaten. Die dank EU-Beitritt ihre industriellen Strukturen sanieren konnten. Auch die Covid-Krise führte zu zeitweiligen Einsparungen.
Doch sind die Einsparungen nur prozentual. In absoluten Zahlen steigen die globalen Emissionen weiterhin an. Etwas weniger in Europa und selbst in den USA. Umso heftiger aber in Staaten wie Indien, China und anderen aufstrebenden Nationen.
Das alles trotz behördlich kontrolliertem Emissionshandel sowie den „freiwilligen Kompensationen“. Die Frage muss erlaubt sein, ob die Milliarden Dollar und Euro, die da für unser „grünes Gewissen“ fließen, nicht besser ausgegeben werden könnten …
Der Physiker Vince Ebert schreibt in seinem anregenden Buch „Lichtblick statt Blackout“: „Bereits für die Hälfte der Kosten des Pariser Klimaschutz-Abkommens könnte man die schlimmsten Probleme der Welt dauerhaft lösen: sauberes Trinkwasser, Sanitärhygiene, Gesundheitsversorgung, Malaria-Bekämpfung, Bildung.“ Ebert ist kein Klima-Skeptiker. Er wagt nur, darauf hinzuweisen, dass es nicht Klimaforscher, sondern sogenannte Aktivisten sind, welche damit hausieren, Millionen Menschen würden durch extreme Wetterereignisse zu „Klimaflüchtlingen“: „Alle wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit den möglichen Auswirkungen der Meeresspiegel-Erhöhung in Küstenregionen wie Bangladesch oder Südvietnam beschäftigen, erwähnen explizit, dass die Regionen nur dann unbewohnbar werden, wenn man keinerlei Anpassungsmaßnahmen unternimmt.“
Dazu gehören Deiche, aber auch Aufforstungen sowie Mangroven-Anpflanzungen. Für die gespendet werden darf und soll. Aber nicht durch undurchsichtige „Karbon-Kompensationen“, die vor allem ihre Initiatoren gut ernähren.
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