Wirklich „Team Ampel“? Robert Habeck ist sauer. Ziemlich sauer. Die Ampel nervt, jedenfalls die Ampel-Partner SPD und FDP. Es ist Ende März, als der Bundeswirtschaftsminister, der auch Vizekanzler der Bundesregierung ist, bei der Klausur der Grünen-Fraktion in Weimar diesen Satz formuliert: „Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt.“ Alle gegen einen.
Wen Habeck meint, ist klar, auch wenn er niemanden direkt adressiert. Fortschritt: Grün. Verhinderung von Fortschritt: Rot und Gelb. Grünen-Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann versucht nachher, die Wogen zu glätten, und spricht von einem „Team Ampel“ – etwa bei Demokratieförderung, Einbürgerung, Fachkräftezuwanderung. Doch die Wahrheit ist die: Die Stimmung in der Koalition ist im zweiten Jahr dieser ungewöhnlichen Polit-WG zu dritt gereizter denn je. Die Zeit der liebevollen Selfies ist vorbei. Mittlerweile fühlen sich vor allem die Grünen von SPD und FDP in die Zange genommen. Warum nur?
Szenenwechsel. Berlin, Reichstag, Fraktionsebene, direkt unter der Kuppel. Es ist der Abend nach dem Marathon-Koalitionsausschuss von fast 50 Stunden. Müde Parteivorsitzende wollen dort vor die Presse treten. Es dauert. Erst kommt Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Er wartet und hält Ausschau nach den anderen. Grünen-Chefin Ricarda Lang ist die nächste, dann folgt endlich der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Das alles ist wie gemacht für die politischen Beobachter – alle sind in dieser Koalition auf der Suche, freilich jeder für sich. Selbst ein gemeinsamer Auftritt fällt schwer. Das liegt auch an Olaf Scholz.
Machttaktische Überlegungen
Der Bundeskanzler lässt viele Debatten auffallend lange laufen. Nur einmal hat er bisher kurz eingegriffen, und zwar im vergangenen Oktober im Streit zwischen Grünen und FDP über die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke. Er nutzt plötzlich das Instrument seiner Richtlinienkompetenz. „Da hat er seine Dickfälligkeit aufgegeben“, sagt einer aus der Regierung. Es riecht zunächst nach Rückkehr zur Basta-Politik. Die Umfragen für Scholz sind zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht sonderlich gut, es wird mehr Führung erwartet; die lässt er also aufblitzen. So viel Eigennutz muss sein. Aber ansonsten? Scholz hält sich lieber raus bei den Streitereien der anderen. „Getreu der Devise: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, in diesem Falle der Kanzler, der mit besseren Umfragewerten belohnt wird, während sein Hauptkonkurrent Robert Habeck abstürzt“, sagt der Politikexperte und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik, Albrecht von Lucke. Dabei bediene Scholz sich durchaus gerne der FDP, um die Forderungen der Grünen auszubremsen. Wie im letzten Koalitionsausschuss.
Dass sich die Genossen augenscheinlich jetzt verstärkt von den Grünen abwenden, hat also auch schnöde machttaktische Gründe. Sie könnten Scholz und der SPD gefährlich werden, weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch bei der nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin ins Rennen schicken werden – gegen Scholz. Habeck oder doch noch einmal Annalena Baerbock? Es kann nur einen geben. Scholz und die SPD wissen das. Das lässt man die anderen nun mehr denn je spüren.
Hinzu kommt eine Art inhaltliches Erwachen – in ihren Wahlkreisen bekommen die Abgeordneten dem Vernehmen nach zu hören, wie überfordert sich viele Bürger von den Ampel-Klimaplänen fühlen, Stichwort Heizungen, Stichwort Verbrennungsmotor. Alles teuer. Entsprechend sind die Umfragen. Die Angst vor dem Verdruss ist groß. Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, formuliert es so: Gerade für ambitionierten Klimaschutz brauche man gesellschaftlichen Rückhalt. Treibe man ihn praxis- und realitätsfern voran, „dann werden wir die Leute gegen uns haben“. Es ist eine schön verpackte Absage an die grünen Weltverbesserer um jeden Preis – und eine Hinwendung zu mehr Pragmatismus.
Keine sozialliberale Renaissance
Von einer sozialliberalen Renaissance kann jedoch keine Rede sein. Das wird in der SPD ohnhein dementiert. Dafür sind die Liberalen auch zu schwach. Die FDP wird zudem für unbelehrbar gehalten, gerade bei ihrer strategischen Ausrichtung. Richtig ist freilich: Die Lindner-Partei braucht dringend Erfolge. Die letzten Landtagswahlen waren eine Katastrophe, die nächsten könnten ähnlich mies ausfallen. Eine immer stärker ums Überleben kämpfende FDP könnte am Ende die Ampel gefährden und damit auch die Macht des Kanzlers. Da tut Hilfe not.
Bei den Liberalen weisen sie diese Gedankenspiele allerdings zurück – „die FDP will niemand retten, wir sind auch der SPD egal“ , sagt einer aus der engeren Führung. Dort erzählt man die Geschichte lieber so: Alle seien „extrem genervt“ von den ewigen Auseinandersetzungen mit und bei den Grünen. Sie seien intern zerstritten, was sich bei Verhandlungen immer wieder zeige und wodurch sie unendlich in die Länge gezogen würden. „Vor allem Robert Habeck ist nicht abschlussfähig.“ Das wirke sich negativ auf die Koalition aus, heißt es. Deswegen also gerade alle gegen einen in der Ampel. Oder irgendwie doch jeder gegen jeden?
Zu Demaart
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