Nach meinen Informationen hat es hier noch nie Aufführungen von Die Meistersinger von Nürnberg oder Tannhäuser gegeben; der Ring des Nibelungen wurde Mitte der 60er Jahre einmal im Grand Théâtre in Luxemburg-Stadt als Gastspiel des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken unter Siegfried Köhler aufgeführt und dann noch einmal 2012 in gekürzter Form und für 18 Musiker, ebenso Lohengrin, Parsifal und Der Fliegende Holländer. Tristan, Holländer und Parsifal konnte man dagegen in Théâtre de la Ville Esch/Alzette 1972, 1974 bzw. 1980 erleben. Hinzu kommen jetzt ab dem 27. Februar drei Aufführungen von Tristan und Isolde im Grand Théâtre.
Die kleine Zunft der Heldentenöre
Umso glücklicher können wir uns schätzen, dass die Philharmonie Luxemburg es geschafft hat, Sir Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks für eine konzertante Aufführung von Siegfried zu verpflichten, die im Rahmen von Rattles Münchner Ring-Projekt stattfindet und in konzertanter Form sowohl in der Isarphilharmonie in München als auch in der Hamburger Elphi aufgeführt wird.
Wenn man in Sachen Heldentenor die letzten 80 Jahre Revue passieren lässt, dann kommt man mit Lauritz Melchior, Max Lorenz, Set Svanholm, Ludwig Suthaus, Günther Treptow, August Seider, Bernd Aldenhoff, Ramon Vinay, Wolfgang Windgassen, Hans Hopf, Hans Beirer, Jess Thomas, James King, René Kollo, Peter Hofmann, Spas Wenkoff, Manfred Jung, Heikki Siukola, Siegfried Jerusalem, Ben Heppner, Reiner Goldberg, Peter Seiffert, Robert Dean Smith, Stephen Gould, Andreas Schager und … Simon O’Neill, sowie noch einigen anderen auf vielleicht 40 Sänger, die dieses Fach regelmäßig, lange und weltweit gesungen haben. Ähnliches gilt für die hochdramatischen Soprane.
Das ist an sich nicht viel, ruft man sich die vielen Opernhäuser weltweit erst mal ins Gedächtnis. Die Heldentenormisere (Achtung: Ein Heldentenor singt nicht nur Wagner, sondern ebenfalls Partien wie Verdis Othello, Brittens Peter Grimes, Berlioz‘ Aeneas oder Strauss‘ Bacchus u.a.) gibt es aber schon lange. Bereits in den 60er Jahren sagte Wieland Wagner: „Ohne den Herrn Windgassen könnten wir schließen).
Bock auf Schmiedelieder, Waldweben und Liebesduett
Nun, Simon O’Neill, der Siegfried unserer Aufführung, gehört mittlerweile zu den renommiertesten Heldentenören der Gegenwart und tritt auch an vielen großen Bühnen weltweit in diesem Repertoire auf. Bei den Bayreuther Wagner-Festspielen war er 2010 als Lohengrin und 2011 als Parsifal zu hören. Und er darf zu der raren Gattung des wirklichen Heldentenors gezählt werden, die natürlich voraussetzt, dass man Wagner nicht schreit, sondern mit viel Belcanto und stimmlicher Schönheit singt. O’Neills Tenor ist tatsächlich sehr lyrisch angelegt und dabei trotzdem mit einer großen Durchschlagskraft versehen.
Mit seinen 52 Jahren scheint der Sänger nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein; die Stimme ist schön, flexibel und angenehm zu hören. Er singt die Siegfried-Partie mit Leichtigkeit und ohne hörbare Anstrengung. Vor allem aber allem klingt die Stimme gesund, was heißt, dass der Sänger bisher alles richtig gemacht hat. Und dass er auch in diesem vierten Siegfried innerhalb von neun Tagen immer noch genug Reserven und vor allem Bock auf Schmiedelieder, Waldweben und Liebesduett hat, davon konnte sich das Publikum am 11. Februar in der Philharmonie überzeugen. Doch in dieser Oper der Konfrontationen – es sind immer nur zwei Protagonisten gleichzeitig auf der Bühne – ist jede Stimme gleich wichtig.
So kultiviert kann man Wagner singen
Und in diesem Münchner Siegfried hat man nun wirklich alles aufgeboten, um ein Maximum an sängerischer Kunst und Kultiviertheit auf die Bühne zu bringen. Peter Hoare, ein Charktertenor mit heldischem Einschlag, ist hervorragend. Der Sänger, der im ersten Akt permanent zu singen hat, hat auch in der 80. Minute noch genug Präsenz, um dem stimmgewaltigen O’Neill Paroli zu bieten. Auch er „singt“ die Partie, ohne dabei ins Karikaturale abzurutschen oder in den gefährlichen Sprechgesang zu verfallen. Als gelernter Perkussionist darf er dann auch sich selbst mit dem Hammer auf dem Amboss begleiten.
Michael Volle ist (neben dem stimmlich etwas anders gelagerten Thomas Konieczny) wohl der weltbeste Wotan/Wanderer (wie auch Hans Sachs) zurzeit. Seine Szenen mit Mime, Alberich, Erda und Siegfried sind von höchster Intensität und man kann sich als Hörer kaum an dieser prachtvollen Stimme satthören. Einen unerwarteten belcantesken Alberich liefert uns Georg Nigl, der noch vor drei Jahren bei uns Bach mit Simon Rattle gesungen hat. Im Gegensatz zu den hier üblichen rauen, dunklen Stimmen beeindruckt Nigl mit einem leichten, höhensicheren und durchschlagskräftigen Bariton, der die Figur von ihrem Klischee befreit und sie jugendlicher, frischer und menschlicher erscheinen lässt. Franz Josef Selig ist ein beeindruckender Fafner und fast schon eine Luxusbesetzung für diese kleine Rolle.
Einziger Fehltritt des Abends war die Platzierung von Gerhild Romberger als Erda auf dem linken Turm, was schon dramaturgisch nicht korrekt ist, weil Erda als Urmutter mit der Erde verbunden ist und nichts in luftigen Höhen zu suchen hat. Ihre wundervoll strömende Alt-Stimme konnte so nur ansatzweise genossen werden und in der Konfrontation mit dem voll aufdrehenden Michael Volle als Wanderer besaß sie so nicht die genügende stimmliche Präsenz. Sehr schade, denn ihr vollendeter Gesang war von großer Schönheit. Danae Kontora, die kurzfristig vor dieser Konzertserie als Waldvogel für Barbara Hannigan (welch ein Luxus wäre das gewesen!) eingesprungen war, rundete mit ihrer glasklaren, feinen Stimme dieses erstklassige Sängerensemble auf allerhöchstem Niveau ab.
Rattle, ein geborener Wagner-Dirigent
Und welch ein Gewinn ist Sir Simon Rattle für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks! Er nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die musikalische Wunderwelt des Richard Wagner und machte hörbar, was man sonst eigentlich nur auf einer gut aufgenommenen CD wahrnehmen kann. Hier war alles optimal. So wie Rattle Innenspannung, orchestrale Virtuosität, Klangstaffelung, Transparenz und melodischen Fluss nahtlos miteinander verband, das war einfach sensationelle Kunst. Das Orchester spielte überragend und ließ auch in dieser vierten Vorstellung und während der vier Stunden Musik keine Schwächen erkennen.
Erkennen konnte man allerdings unseren OPL-Trompeter Adam Rixer in der Blechgruppe. Wahrscheinlich war er kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen. Unbedingt erwähnen muss man dann auch das erstklassige Spiel von Carsten Duffin im „Siegfried-Ruf“, diesem berühmten zweiminütigen Horn-Solo im 2. Akt. Freuen wir uns also jetzt auf das Erscheinen der CD dieses Münchner Rings, von dem bereits Rheingold und Die Walküre erhältlich sind. Und was für ein Genuss wäre es, Sir Simon Rattle, das BR und ein exquisites Sängerensemble für die kommende Götterdämmerung in der Luxemburger Philharmonie begrüßen zu können.
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