„Der masochistisch veranlagte Österreicher scheint einen Hang zu bulimischem Fress-Kotzen zu haben“ – nur so kann sich Schriftsteller Franzobel den gegenwärtigen Höhenflug einer Partei erklären, die seit Jahrzehnten einen Skandal nach dem anderen produziert, in der Folge immer wieder auf Splitterparteiniveau abstürzt, um hinterher den Phönix aus der Asche zu geben. „Die FPÖ ist ein Partei gewordener Jo-Jo-Effekt“, postete Franzobel dieser Tage auf Facebook, „völlig egal, womit man sich übergibt, ein Jahr später wird doch wieder der Fremdenhass gefressen“.
Es ist freilich nicht nur das Thema Migration, das den Wind im blauen Segel ausmacht. Ohne Zweifel hat es den Rechtspopulisten nicht geschadet, dass die von Affären geschüttelte ÖVP von Kanzler Karl Nehammer ihr Heil im Hochziehen einer neuen Asyldebatte gesucht und nicht gefunden hat. Das innenpolitisch motivierte Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens stoppte keinesfalls den ÖVP-Sinkflug in den Umfragen, sondern rückte nur das Lieblingsthema der Rechtspopulisten wieder in den Fokus.
Auch die SPÖ düngt die rechtspopulistische Saat mit einem seit vier Jahren auf offener Bühne ausgetragenen Machtkampf. Die aus multiplen Krisen resultierenden sozialen Verwerfungen böten gerade ideale Möglichkeiten zur sozialdemokratischen Profilierung, doch die SPÖ beschäftigt vor allem die Profilneurose eines Spitzengenossen, der Parteichefin Pamela Rendi-Wagner seit ihrem Start im November 2018 ein Match um die Kanzlerkandidatur liefert, ohne seinen Hut aber offiziell in den Ring zu werfen. Der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil lanciert sogar selbst Umfragen, denen zufolge die SPÖ mit ihm als Frontman bessere Wahlergebnisse hätte als mit der Rendi-Wagner.
ÖVP im Sturzflug
Und so wird es am Sonntag in Niederösterreich wohl kommen, wie es unter diesen Umständen kommen muss: Die ÖVP wird in ihrer Hochburg ein weiteres Desaster erleben und die 2018 mit 49,6 Prozent erreichte absolute Mandatsmehrheit im Landtag verlieren. Zehn bis zwölf Prozentpunkte minus sind prognostiziert. Wie schon bei der Landtagswahl in Tirol, wo es im September ebenfalls dramatisch abwärts gegangen war, wird sich die ÖVP damit trösten, mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Platz eins behauptet zu haben.
Ihre Niederlage wird nicht nur mit bundespolitischem Gegenwind und den internationalen Krisen zu erklären sein. Die niederösterreichische ÖVP bekommt auch die Rechnung präsentiert für machtpolitische Grenzüberschreitungen, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade augenscheinlich werden. Im Dezember wurde ORF-Landesdirektor Robert Ziegler die Verantwortung für die Wahlkampfberichterstattung entzogen, weil er Journalisten zu ÖVP-freundlichen Reportagen vergattert hatte. Nach Auffliegen der Affäre verkehrte sich der erhoffte Propagandaeffekt für Mikl-Leitner ins Gegenteil.
Vom türkisen Niedergang wenig bis gar nicht profitieren werden die Genossen. Sie müssen sogar ein noch schlechteres Ergebnis als vor fünf Jahren (23,9 Prozent) befürchten. Nichtsdestotrotz erhebt der rote Spitzenkandidat Ewald Schnabl Anspruch auf den Landeshauptmann-Sessel, was freilich nur eine theoretische Möglichkeit für den Fall einer rot-blauen Mehrheit im Landtag wäre. Denn ein Bündnis mit der FPÖ würde die Genossen zerreißen. Andererseits ist eine Mehrheit mit Grünen und liberalen Neos, die bei sechs bzw. sieben Prozent gehandelt werden, völlig außer Reichweite. Tatsächlich hat in den Umfragen die FPÖ die Nase mit etwa 25 Prozent vorn, was ein Plus von zehn Prozent gegenüber 2018 wäre. Und deren Spitzenkandidat Udo Landbauer will ebenfalls Landeshauptmann werden.
NS-Liederbuch
Der 36-Jährige ist ein Paradebeispiel für die Teflon-Qualität der FPÖ. Er hatte schon als Spitzenkandidat vor der Landtagswahl 2018 für Schlagzeilen gesorgt, als aufflog, dass in der schlagenden Burschenschaft, der er angehörte, ein NS-Liederbuch mit grässlich antisemitischen Texten auflag. Landbauer musste in der Folge auf sein Landtagsmandat verzichten und als Stadtrat von Wiener Neustadt zurücktreten. Jetzt ist er wieder da. Strafrechtlich konnte er nicht belangt werden. Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die 2018 noch eine Zusammenarbeit mit Landbauer ausgeschlossen hatte, bereitet sich jetzt schon auf ein Bündnis mit ihm nach dem Verlust der Absoluten vor.
Diese Entscheidung der 1,3 Millionen Wähler wird nicht ohne bundespolitische Wirkung bleiben. Immerhin ist am Sonntag in Niederösterreich ein Fünftel aller österreichischen Wahlberechtigten an die Urnen gerufen. FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl wird die absehbaren Gewinne als weitere Stufe auf dem Weg ins Kanzleramt interpretieren und Neuwahlen fordern, auch wenn er nicht beantworten kann, mit welchem Partner er tatsächlich ans Ziel gelangen könnte.
Die ÖVP, die 2019 nach dem Ibiza-Skandal seinen Sturz als Innenminister betrieben hatte, scheidet wohl dieses Mal aus. Und für die ohnehin gespaltene SPÖ, mit der FPÖ-Granden in letzter Zeit auffallend freundlich umgehen, wäre eine Koalition ausgerechnet mit dem rechtesten FPÖ-Demagogen völlig undenkbar. Sozial- wie Christdemokraten stehen jedenfalls Wahlnachbeben bevor. Bei den Genossen könnte es eng werden für Parteichefin Rendi-Wagner. In der ÖVP wird man schon allein aufgrund der Tatsache, dass Kanzler Nehammer, Innenminister Gerhard Karner und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka aus Niederösterreich kommen, nicht zur Tagesordnung übergehen können.
Zu Demaart
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