„Nieder mit Sandu!“ und „Stoppt die Inflation!“ heißt es auf Transparenten. Seit Wochen kampieren die Demonstranten in der moldawischen Hauptstadt Chisinau vor Parlamentsgebäude und Präsidentenpalast. Gerade sind die Proteste etwas abgeflaut. Noch vor Weihnachten versammeln sich jeweils am Wochenende Tausende, vor allem ältere Bürger auf dem Hauptplatz der Hauptstadt Chisinau und formierten sich zu einem Demonstrationszug durch die Nobelmeile Stefan Cel Mare. Die Demonstranten kamen mit Bussen aus der Provinz, aus Kleinstädten im Norden und Süden, in denen die pro-westliche Anti-Korruptionspartei von Staatspräsidentin Maia Sandu, „Aktion und Solidarität“ (PAS) bei den Wahlen vom Juli 2021 keine Mehrheit erlangt hatte.
Laut moldawischen Medienberichten erhalten die Demonstranten umgerechnet bis zu 20 Euro pro Tag. Organisiert wird die Fahrt in die Hauptstadt von der pro-russischen populistischen Schor-Partei, der dritten und kleinsten Kraft im Parlament (6 von 101 Sitzen). Der ins israelische Exil geflohene Parteigründer Ilan Schor hatte im September angekündigt, solange zu protestieren, bis die Regierung von Natalia Gavrilita abgesetzt sei, und es zu vorgezogenen Neuwahlen komme. Seine Partei wirft dem pro-westlichen Kabinett Versagen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der Inflation vor. Im Jahresdurchschnitt 2022 betrug diese statthafte 30,2 Prozent. Schuld daran sind vor allem die gestiegenen Energiepreise. Alleine der Gaspreis hat sich seit Oktober 2021 verfünffacht.
Sicherheitsrisiko Transnistrien
Dies trifft die Moldawier besonders hart, denn die Arbeitslosigkeit ist groß, und das Land gehört zu den ärmsten in Europa. Dazu ist die Gesellschaft seit Jahren zu etwa gleichen Teilen zwischen Pro-Russen und Pro-Westlern gespalten. Die Lage verkompliziert das pro-russische Separatistengebiet Transnistrien, ein rund 500 Kilometer langer, schmaler Landstrich vor allem östlich des Flusses Dniestr mit knapp 400.000 Einwohnern, der sich von Moskau unterstützt schon 1990 abgespalten hatte. Drei Viertel der Transnistrier haben moldawische Pässe, viele davon dazu einen russischen Reisepass. Russland unterhält dort rund 1.500 Soldaten, die sowjetische Munitionsdepots bewachen sollen, sowie rund 500 Mitglieder der so genannten „Friedenstruppen“.
Noch im Frühling träumte Russlands Präsident Wladimir Putin von einer Landverbindung über Cherson und Odessa nach Transnistrien. Doch die Probleme der russischen Invasionsarmee in der Ukraine bei Cherson haben diese Pläne vereitelt. Dennoch ist auch Moldawien ein Opfer des Ukraine-Krieges geworden. Bereits zum dritten Mal seit Anfang November schlug Mitte Januar eine abgeschossene russische Rakete im moldawisch-ukrainischen Grenzgebiet, rund 50 Kilometer von der ukrainischen Stadt Tschernowitz, ein. Diesmal traf es das Dorf Larga. Rund 80 Kilogramm nicht explodierter Sprengstoff russischer Raketenteile müssten möglichst sicher entsorgt werden, berichtete das Innenministerium in Chisinau Anfang dieser Woche. „Das ist ein heikles, gefährliches Unterfangen“, klagte ein Ministeriumssprecher. Staatspräsidentin Maia Sandu forderte derweil am „World Econimic Forum“ in Davos Hilfe beim Schutz der moldawischen Grenzen und damit der Integrität des Landes.
Chisinau hat wegen der Raketen auch bereits einen russischen Diplomaten des Landes verwiesen, Moskau tat dasselbe. Bedeutender sind indes russische Einmischungen in Moldawien selbst.
Russische Gaslieferstopp-Drohung
Sowohl beim Gaspreis wie den Protesten hat der Kreml nämlich die Hände im Spiel. Bis zur russischen Invasion in die Ukraine bezog Moldawien das Erdgas vom russischen Monopolisten Gazprom. Doch nachdem die pro-westliche Regierung von Staatspräsidentin Maia Sandu die russische Invasion verurteilt hat, ist Moldawien ebenso wie die EU vom russischen Gaslieferstopp betroffen. Chisinau hat zwar bereits im Sommer vorgesorgt und Gasspeicher im westlichen Nachbarland Rumänien und in der östlich gelegenen Ukraine gemietet. So sollen nun die größten Engpässe in diesem Winter überbrückt werden. Doch wie ein Damoklesschwert hängt die Moskauer Drohung eines vollständigen Lieferstopps über dem Land. Nicht viel besser steht es um die Stromversorgung Moldawiens. Zwar kann das Land rund 20 Prozent seines Bedarfs mit eigenen Kraftwerken decken, doch der Löwenanteil der benötigten Elektrizität wurde bisher in einem Gaskraftwerk im pro-russischen Separatistengebiet Transnistrien produziert. Dieses hat auf Moskaus Geheiß seine Produktion halbiert. Bei beiden Energieträgern springt inzwischen teilweise Rumänien ein, doch immer wieder kommt es in Moldawien zu stundenlangen Blackouts.
Moskau setzt auf umstrittene Politiker
Im politischen Pokerspiel setzt Moskau einstweilen auf die kleine Schor-Partei, des seit 2014 flüchtigen Parteigründers. Ilan Schor wurde damals zu 7,5 Jahren Haft wegen der Abzweigung von einer Milliarde Dollar aus zwei moldawischen Banken verurteilt. Doch die Schor-Partei pflegt gute Beziehungen zum 2020 als Staatspräsident abgewählten und inzwischen wegen Korruption angeklagten pro-russischen Politiker Igor Dodon und dessen Bündnis aus Sozialisten und Kommunisten (PCMR, 32 von 101 Sitzen) und der „Nationalen Alternativen Bewegung“ von Ion Ceban, des Bürgermeisters von Chisinau, eines einstigen sozialistischen Spitzenpolitikers. So unterstützt das Rathaus der Hauptstadt immer wieder die Protestmärsche gegen die pro-westliche Regierung.
Politische Beobachter in Chisinau sehen die pro-westliche Regierung Gavrilita trotz massiver Verluste bei den Meinungsumfragen nicht direkt in Gefahr, da PAS im Parlament über eine große Mehrheit (63 von 101 Sitzen) verfügt. Doch setzen Proteste das ambitionierte Reformprogramm der Parteikollegen von Staatspräsidentin Sandu unter Druck. Die ehemalige Anti-Korruptionsaktivistin hatte sich Ende 2020 gegen den pro-russischen Dodon durchgesetzt und das Land zurück auf einen pro-westlichen Kurs geführt.
Am Donnerstag hat zu allem Unbill auch der vor allem im Norden des Landes, der direkt an die Ukraine grenzt, beliebte Politiker Renato Usati seine Rückkehr in die Politik angekündigt. Usati war nach dem Zusammenbruch der UdSSR als Geschäftsmann in Russland reich geworden. Er gibt sich zwar gerne patriotisch, doch Beobachter in Chisinau sind überzeugt, dass auch er an Putins Gängelband geht. Im Oktober stehen Regionalwahlen an, 2024 muss ein neuer Staatspräsident gewählt werden.

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