Die von Historiker Robert L. Philippart, der mittlerweile als Unesco Site Manager auch für die Pflege des Unesco-Patrimoniums der Hauptstadt verantwortlich zeichnet, geleiteten und fachlich kommentierten Promenaden sind breit gefächert und vermitteln interessantes Wissen rund um Kunst, Architektur und Geschichte. Veranstaltet werden diese Rundgänge monatlich jeweils sonntags ab 14.30 Uhr, teils in französischer, teils in luxemburgischer Sprache. Man sollte sich anmelden*, da die Zahl der verfügbaren Plätze beschränkt ist.
100 Jahre „Gëlle Fra“
Conférencier Robert L. Philippart variiert die angesprochenen Themen und fokussierten Sehenswürdigkeiten und passt diese Jahr um Jahr auch einer historisch motivierten Aktualität an. Letztes Jahr hat er dank zahlreicher Ornamente am ehemaligen Postgebäude, die auf den Luxemburger Künstler Sosthène Weis hindeuten, auf diese Weise den 150. Geburtstag des bekannten Malers hervorgehoben.
2023 erinnert die Tour an den 100. Jahrestag der Errichtung der „Gëlle Fra“ von Claus Cito, eine goldene Figur, die nicht nur Touristen aus aller Herren Länder immer wieder fasziniert und den Pavillon des Großherzogtums bei der Weltausstellung in Shanghai zierte, vielmehr war die smarte, luftig gekleidete Frauenstatue mit Lorbeerkranz – ein Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges – auch Modell für ein stark abgewandeltes Kunstwerk, ein Projekt, das seinerzeit so manche Kontroverse auslöste. Die umstrittene Skulptur stand jedoch für ein Thema, das heute recht aktuell ist, und schaffte es gar bis ins bedeutende Museum of Modern Art (MoMa) in New-York. Die „Gëlle Fra“ steht hier stellvertretend für das „Denkmal“ schlechthin im öffentlichen Raum. In der Tat: „Monumente“ sind nicht neutral. Anlass, Beschaffenheit, Standort oder Namensgebung sind alles Elemente, die es sorgfältig auszuwählen gilt. Wer eine Wahl trifft, und sei diese auch noch so gerechtfertigt, löst Kontroversen aus. Dieser Aspekt wird am 28. Mai rund um die „Gëlle Fra“ analysiert, gleichzeitig werden noch andere Ehrendenkmäler entlang des Boulevard F. D. Roosevelt besucht und kommentiert.
Im ersten Halbjahr 2023 stehen außerdem einige wichtige Gebäude auf der Agenda. Am 29. Januar geht es mit der Präsenz der Post im Garer Viertel los. Seit 1859 gibt es ein Postgebäude in der Nähe des Bahnhofs. Der neue Sitz der Post ist das fünfte Gebäude dieses wichtigen Unternehmens und ist bei diesem Rundgang Anlass, um über Architektur im Wandel der Zeit zu sprechen. Am 26. März wird die avenue Gaston Diderich unter die Lupe genommen. Im Blickfeld stehen namhafte Bewohner dieser renommierten Straße, etwa der bekannte Ingenieur Guillaume Kroll, ein international geschätzter Metallforscher, der 1889 in Esch-Alzette geboren wurde, später in die USA emigrierte, die amerikanische Nationalität annahm und 1973 in Brüssel verstarb. Er hat eine Menge an Patenten anmelden können. Seit 2003 vergibt die AISL ihren „Guillaume Kroll Preis“.
Architektonisches Erbgut
Am 23. April wird im Rahmen eines sogenannten „History-Flash“ mit einer Dauer von 60 Minuten die Residenz der österreichischen Botschaft in der Goethe-Straße besucht. Es ist ein Gebäude, das 1905 im Auftrag der Wohltäter Jean Reichling und Catherine Pier erbaut wurde, später in den Besitz der Arbed überging. Am 26. Februar erstreckt sich die Promenade ab dem ehemaligen Postgebäude (Hamilius-Platz) bis hin zum Café „Ënnert de Steiler“, ein traditionelles Etablissement im Herzen der Stadt, das kürzlich Objekt einer Versteigerung war. Ziel ist es, sich die Architektur mehrerer Hotels und Restaurants der „Belle Epoque“ in der Oberstadt anzuschauen, sowie auf die gesellschaftliche Rolle einiger Traditionshäuser hinzuweisen. In den 60er Jahren änderte sich viel, Luxemburg wurde Kongresszentrum und das Hotelwesen musste sich den modernen Erfordernissen anpassen.
Machen die Promenaden im August Pause, so greift Robert Philippart am 18. Juni noch die Pflege des Unesco-Kulturerbes in den historischen Vierteln der Hauptstadt und rund um die Befestigungsanlagen auf. Start ist auf dem dann wohl renovierten Knuedler bei Ankunft im „Rousegaart op de Rondellen“ unterhalb der „Cité judiciaire“ gelegen. Zu diesem traditionellen Rundgang gehört selbstredend ein Besuch des Unesco Visitor Center im Lëtzebuerg City Museum und eine ausführliche Erläuterung, warum Luxemburg in dieses Unesco-Programm aufgenommen werden konnte. Wird anlässlich eines anderen Rundganges über die Entwicklung des Hotelwesens informiert, so steht am 30. Juli die Geschichte des Garer Viertels mit einst 14 Hotels und zahlreichen Geschäftslokalen auf dem Besucherprogramm. Treffpunkt ist das CFL-Direktionsgebäude, das bekanntlich auch erneuert wird.
Abstecher zum Luxemburger „Panthéon“
Da im Dezember, wohl witterungsbedingt, keine Promenaden geplant sind, kann der interessierte Besucher deren gleich zwei im November erleben. Es ist ein Abstecher auf den Notre-Dame-Friedhof neben dem Glacis-Feld am 5. November. Dieser Friedhof, auf dem auch das „Hinzerter Kreuz“ steht, bei dem alle Jahre wieder an den Widerstandskampf gegen die Nazis und an die erschossenen Helden in besagtem KZ in Hinzert erinnert wird, bezeichnen Historiker, ob der zahlreichen dort begrabenen Persönlichkeiten, gerne auch als Luxemburger „Panthéon“. Weil früher betuchte Familien ihren Totenkult mit aufwendig gestalteten Gräbern und Gruften feierten, verbergen sich hier manche hochwertige Kunstwerke. Neben den Erinnerungen an die Verstorbenen gilt es, diese auch zu bewundern.
Luxemburgs Baukultur lässt sich nicht nur an Fassaden und Gebäudestrukturen messen. Der Art-déco-Baustil, der Modernismus und andere Architekturen haben innerhalb der Bauten ihre Spuren hinterlassen, sodass am 26. November ein 90-minütiger Rundgang ab den Arkaden des „Cercle“-Gebäudes bis zum „Casino – Forum d’art contemporain“, rue Notre Dame, verschiedene Beispiele mehrerer wertvoller Architekturen in- und außerhalb von Bauten vorführen wird. Eingeläutet werden die Sonntagspromenaden nach den Sommerferien am 24. September mit einer Bestandsaufnahme der öffentlichen Plätze der Hauptstadt. Plätze sind ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität und strukturieren teilweise auch Städte. Den Anfang macht der Knuedler mit der imposanten Reiterstatue von Guillaume II, gefolgt vom Salon der Stadt, der place d’Armes, dann place du Théâtre usw. bis hin zum Piquet.
Der Leser dieser Rubrik erinnert sich an unsere Abstecher auf den Kirchberg, das aufstrebende Europa- und moderne Bankenviertel der Stadt Luxemburg mit seinem Kongresszentrum und seinen beiden Museen. Uns scheint darüber hinaus wichtig, immer wieder auf die architektonischen Juwelen des Stadtkerns und die Entwicklung von der einstigen Festungsstadt hin zu einer einladenden Metropole hinzuweisen. Apropos, wer diese Metamorphose anhand übersichtlicher Modelle eingehender studieren möchte, dem sei ein Abstecher ins City Museum empfohlen. Hier sind solche Modelle der Wandlung der Stadt Luxemburg permanent ausgestellt.
Entwicklungen in Architektur und Stadtplanung, geschichtliche Hintergründe, spannende Wandlungen und eine Menge Wissenswertes kann man bei diesen „Promenades architecturales du dimanche“ auch 2023 wieder erleben.
* Anmeldungen: servicepublics@mnha.etat.lu. Informationen auch via robertphilippart@msn.com, www.histoireurbaine.lu und www.m3e.lu.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können