Eddie the Eagle: Pearl Jam am 18. Juni auf dem Pinkpop Festival Landgraaf
Eben war noch Pandemie und dann steht man an einem unglaublich heißen Samstagnachmittag plötzlich mit einem kühlen Heineken in der Hand auf einer Wiese inmitten schöner halbnackter Menschen mit rosa Sonnenhut, während die Isländer Kaleo „Way down we go“ spielen und man muss vor Glückseligkeit ein bisschen vor sich hin weinen. Die verrückten Italiener von Maneskin heizen dann etwas später die Stimmung dermaßen an, dass die Spannung vor dem Headliner unerträglich wird und alle am Limit sind.
Man ist bereit für einen Abend voller Nostalgie und Überraschungen. Zuerst wird Jan Smeets, der Mann, der das Festival vor 50 Jahren gegründet hat, auf die Bühne geholt und unter tosendem Applaus in den Ruhestand entlassen, dann legen Pearl Jam mit „Even Flow“ und „Why go“ los – zwei Krachern ihres Magnum Opus „Ten“, das 30-jähriges Jubiläum feiert.
Der 92er Pearl-Jam-Auftritt wurde übrigens in einer Abstimmung zum besten Konzert ever am Pinkpop gekürt. Während über die Bildschirme Beweismaterial von damals läuft, erzählt Eddie Vedder die Anekdote, wie er den armen Kameramann auf dessen wackeligen Gerüst nötigte, ihm dabei behilflich zu sein, ein Bad in der Menge zu nehmen. Man sieht den Mann mit den Kopfhörern gerade noch „You Motherf…“ brüllen, bevor Eddie zum Abflug Richtung Fans ansetzt. Der Genötigte erscheint dann höchstpersönlich auf der Bühne und erteilt Vedder nach all den Jahren die Absolution.
Bei „Elderly Woman“ hat der Sänger einen völligen Blackout, doch seine Bandkollegen spielen unbeeindruckt weiter, bis dieser einfach eine neue Geschichte erfindet, die den Song noch intensiver macht. Das wunderschöne „Sleeping by myself“ wird dem verstorbenen Gitarrenbauer und Freund aus Amsterdam gewidmet, der Eddies Ukulelen hergestellt hat und am Ende kriegt man mit den Coverversionen von „Street Fighting Man“ und „Comfortably Numb“ sowie „Alive“ die Volldröhnung verpasst. Dann dürfen wir uns den Weg durch die Plastikberge von Bechern und Tellern nach draußen bahnen – die einzige Gräueltat an diesem Abend. (Gil Max)
The Smile, tout feu: le 11 juillet, Thom Yorke fait son show dans l’arène de Nîmes
Il faut s’imaginer la scène ainsi: trois grands gaillards, qui font une marche forcée à travers toute la ville d’Avignon, leur train part dans 23 minutes, mais selon Google Maps, que l’un d’eux consulte sans arrêt, il en faut 27 pour rejoindre la gare, sur le dernier kilomètre la marche devient une course effrénée, l’un d’eux a encore un verre de vin en main, le liquide éclabousse son t-shirt, trempé aux aisselles, il fait 38 degrés aussi, il faut le dire.
Ils ne ratent pas le train. Une demi-heure plus tard, ils entrent dans l’arène de Nîmes – début de construction: vers l’an 90 de notre ère, sous l’empereur Domitien – en plein DJ set de Thom Yorke, qui, sur une petite estrade, appuie sur une variation de boutons colorés et sourit à la foule amassée dans l’arène, baignée dans la lumière du soleil couchant.
Il faut attendre la nuit et quelques pintes de bière de plus pour voir arriver sur scène The Smile, la nouvelle formation de Thom Yorke et Johnny Greenwood. Les vieilles pierres vibrent sous les notes de basse (le son est cristallin!) et s’allument de tous les feux d’un light show opulent. A chaque nouveau morceau, un des trois hurle „C’est ma chanson!“ et ils se remettent à danser comme des forcenés, et quand enfin le groupe entame les premières notes de „The Smoke“, c’est l’extase totale. On secoue des chevelures, on se déhanche et la joie aura fini par contaminer les deux sœurs majorquaises qui deviendront par la suite de bonnes amies qu’on retrouvera à Avignon.
Thom Yorke a un pouvoir fédérateur. On le salue. Un rare moment de bonheur parfait. (Ian De Toffoli)
Den Mythos aufrechterhalten: Tortoise, am 1. Oktober im Rialto Theatre, Montreal
Am vorletzten Abend des Pop-Montréal-Festivals hatte ich mein schwitziges erstes Mal. Geborgen in einem dieser flauschigen Theatersäle neobarocken Stils, draußen kühle Oktobernacht, die Fangemeinde graumeliert und gefühlt Ü40. Nach dem verfluchten Pandemie-Ausfall spielen Tortoise hier ihr erstes von nur fünf Gigs. Mission: Mythos aufrechterhalten.
Die anfänglich eher atmosphärischen Post-Rock-Vibes wechseln schnell in jazzige Improvisationsorgien mit den zwei Schlagzeugern, die im perfekten Takt hämmern … Faszinierend, wie die fünf Bandmitglieder durchgehend von einem Instrument zum andern wechseln, einem einzigen lebenden Organismus nah.
Mittlerweile tanzen schon einige frenetisch zu den Beats, die stets im Dienst des Grooves, der Melodie, der dynamischen Bandbreite stehen. Im Herzen verspielt, offen, experimentierfreudig. „Ten Day Interval“ bläst einfach den ganzen Saal weg, während drei Mitglieder gleichzeitig Perkussion (Drums, Synthdeck und Vibrafon) spielen und Jean-Michel-Jarre-artige Soundlandschaften erschaffen, die leicht einen Kubrick-Film untermalten könnten.
Auf „Eros“ lassen sie Krautrock, Dub, Minimalismus und Elektro aufeinanderprallen, bevor „Crest“ das Hauptset auf grandiose Weise abschließt; „Thank you“ ist das Erste, was jemand aus der Band die ganze Nacht über zum Publikum sagt, als Tortoise von der Bühne huschen, um nur kurz drauf zwei mächtige Closer draufzulegen. Danke fürs Erste, indeed. (Alasdair Reinert)
Die Qual der Wahl: (nicht nur) Caspian und Cult of Luna am 22. Oktober in der Rockhal
Wer an Konzerthighlights 2020 und 2021 zurückdenkt, wird meist zynisch und denkt an die paar Shows zurück, die er oder sie in den paar Monaten, in denen man überhaupt Gigs aufsuchen konnte – in dieser mageren Krisenzeit entschied man sich quasi „by default“ für einen mehr oder weniger markanten Auftritt.
Ich persönlich erinnere mich an zwei außergewöhnliche Konzerte: Da wäre einerseits das wenige Tage nach dem Ende des ersten französischen Lockdowns aufgezogene Les-Inrocks-Festival in Paris, für das zwei Schriftsteller, ein Schauspieler und ein Künstler am Tag nach einer langen Désoeuvrés-Lesungsnacht und einem (negativen) Schnelltest nach Paris fuhren, um sich dort einen Weg durch üble Verkehrsstaus zu bahnen, nur um am Ende überglücklich zu sein, ganze 45 Minuten Live-Musik mitzuerleben – und andererseits ein Streaming-Konzert zu Ehren der Veröffentlichung des Mogwai-Albums „As the Love Continues“, für das Alasdair Reinert einen Projektor mietete und wir zu fünft ein quasi illegales Mini-Moshpit in dessen hauptstädtischen 50-Quadratmeter-Wohnung starteten.
2022 war das Jahr des großen Nachholens – es gab Versäumtes, Verlegtes, Abgesagtes, aber auch Tours von Bands, die das neue Album seit Monaten oder Jahren in den Startlöchern hatten und nun endlich wieder große oder mittelgroße Bühnen bespielen durften.
Es war das Jahr, an dem die hiesigen Konzerthallen endlich mit Maskenpflicht, Distanzierungen und Schnelltests aufhören konnten und Auftritte von The Smile (neimënster), alt-J (den Atelier), Battles (Rotondes), Russian Circles (Kufa), Placebo (Rockhal) oder auch der Francofolies-Abend mit Brutus und Alcest (Kufa) wieder daran erinnerten, wie wichtig das Ventil Livemusik in der neoliberalen Alltagsversklavung, die wir Arbeit nennen, ist.
Sich auf ein einziges Konzert festzulegen gestaltete sich dieses Jahr nahezu unmöglich: Neben den bereits aufgelisteten Konzerten stachen das verblüffende Set von Jean Jean im Gudde Wëllen oder das stoisch vor elf Menschen vorgetragene, grandiose Konzert von It Was A Good Dream im Vantage (Bereldingen) aus der Konzertmenge heraus.
Auch das zwei Jahre lang abgesagte ArcTangent fand endlich wieder statt – und neben Auftritten von u.a. Mclusky, Mono, Leprous oder Maybeshewill waren es vor allem Caspian, die in den Pandemiejahren ihr komplexes, vielschichtiges Klangbild auch live perfektioniert haben – und die dank des wahnsinnig guten Klangs auf der neuen Mainstage emotionale Tiefen erreichen, die während früherer Liveshows im Wall of Sound auch mal untergingen.
Wenig später trat das Bostoner Quintett in der Rockhal auf – mit einem Konzert, das, eingepfercht zwischen dem tollen Auftakt von Birds in Row und den wuchtigen, postapokalyptischen Headlinern Cult of Luna, für so viel Schönheit inmitten des Krawalls sorgte, dass man irgendwie, wenn auch nur für kurze Zeit, mit den vermasselten Pandemiejahren Frieden schließen konnte. (Jeff Schinker)
Ein guter Testballon: Unto Others am 24. Oktober in der Saarlandhalle, Saarbrücken
Fürwahr, auf vielen Konzerten war ich im letzten Jahr nicht. Ich kann sie sogar an einer Hand abzählen, um ehrlich zu sein. Die Vorstellung, mich wieder in einen vollen Club mit schwitzenden, laut grölenden Menschen zu begeben, die fällt mir noch schwer. Die Pandemie hat definitiv Spuren hinterlassen.
Insofern war der Auftritt von Unto Others in der spärlich gefüllten Saarlandhalle in Saarbrücken ein guter Testballon, wieder ins Konzertleben zurückzufinden. Abstand war gegeben und man konnte unbedrängt zusehen, wie die US-Metaller am frühen Abend das Aufwärmprogramm für Carcass, Behemoth und Arch Enemy angingen. Keine leichte Aufgabe, denn mit Death oder Black Metal hat die Band aus Portland, Oregon, nichts gemein. Sie vermischt auf ungewöhnliche, aber brillante Art Metal- mit Gothic- und Glamrock-Einflüssen.
Was auf ihren beiden Alben schon vortrefflich funktionierte (beim ersten hießen sie noch Idle Hands), klappte auch an diesem Abend. Überraschenderweise konnte das auf härtere Musik getrimmte Publikum auch etwas mit Unto Others anfangen, sodass die Herren um den charismatischen, Sonnenbrille-tragenden Frontmann Gabriel Franco sich nicht verheizen lassen mussten. Sie spielten Songs beider Alben sowie ihrer 2018er EP „Don’t Waste Your Time“. Und am liebsten hätten sie noch viel länger die Halle beschallen können, aber die ebenfalls großartigen Carcass warteten schon auf ihren Einsatz. Aber definitiv eine Band, die ich egal wo wieder live sehen will. (Kai Florian Becker)
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