Vielmehr handelt es sich, wie US-Finanzministerin Janet Yellen erklärt, um angebotsseitige Investitionen zur Steigerung der US-Wirtschaftskapazität, sowohl insgesamt als auch in Schlüsselsektoren wie der Halbleiterindustrie und den erneuerbaren Energien.
Auch wenn sich die einzelnen Bestimmungen und Finanzierungsverfahren unterscheiden, basieren alle drei Programme auf dem öffentlich-privaten Modell, das für die Wettbewerbsfähigkeit der USA im letzten Jahrhundert entscheidend war. Sie sind darauf ausgelegt, private Investitionen zu fördern und zu beschleunigen, nicht zu ersetzen. Daher wird ein erheblicher Teil ihrer Finanzierung – im Falle von IRA und CHIPS sogar der größte Teil – in Form von Steuergutschriften für Unternehmen bereitgestellt.
Die Programme werden auch die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen, die für den größten Teil der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA verantwortlich sind, zu unterstützenden Änderungen der Rechtsvorschriften ermutigen – zum Beispiel bei der Genehmigung und Standortwahl für grüne Energieprojekte. Und sie teilen verschiedene Merkmale, die einen neuen „nachhaltigen und gerechten“ Ansatz in der Industriepolitik ausmachen. Dazu gehören die Konzentration auf die regionale Wirtschaftsentwicklung auf der Grundlage lokaler Prioritäten mit Schwerpunkt auf dem Kapazitätsaufbau in marginalisierten Gemeinden, die ausdrückliche Verknüpfung mit der tertiären Bildung und der Entwicklung von Arbeitskräften sowie die sektorübergreifende Integration mit wichtigen Dienstleistungen wie dem Gesundheits- und Bildungswesen.
Konkurenz aus dem eigenen Lager
Der Erfolg dieser Programme erfordert zwar die Zusammenarbeit mit den Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen, doch werden diese Behörden auch um die neuen Mittel und Investitionen konkurrieren. So werden beispielsweise die im CHIPS-Gesetz vorgesehenen 39 Mrd. Dollar für Investitionen in die inländische Halbleiterfertigung vom Handelsministerium zugewiesen, das die Anträge der Unternehmen auf Zuschüsse und Darlehen zum Teil auf der Grundlage der Unterstützung durch die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen bewertet. Dementsprechend entwickeln mehrere Bundesstaaten derzeit großzügige Anreize, um ihre Unternehmen zu unterstützen.
Die Bundesstaaten werden – neben ihren Unternehmen, zivilgesellschaftlichen sowie Non-Profit-Organisationen – auch um 122 Mrd. Dollar an klimabezogenen Mitteln im Rahmen des IRA konkurrieren. Während das Finanzministerium die Steuergutschriften überwacht, stellt ein neues 27 Mrd. Dollar schweres Zuschussprogramm der Umweltschutzbehörde – des Greenhouse Gas Reduction Fund – den Städten und Bundesstaaten 7 Mrd. Dollar direkt zur Verfügung. 20 Mrd. Dollar sind für gemeinnützige Einrichtungen vorgesehen, die direkt in grüne Projekte investieren und dabei andere Finanzierungseinrichtungen wie gemeinnützige grüne Banken nutzen. Es existieren bereits 23 grüne Banken in 17 Bundesstaaten, darunter Kalifornien, und sie haben 2 Mrd. Dollar an öffentlichen Mitteln mobilisiert, um 7 Mrd. Dollar an grünen Investitionen zu tätigen.
Alle drei Gesetzentwürfe enthalten ortsbezogene Programme zur Förderung eines integrativen Wachstums, und diese haben auf staatlicher und lokaler Ebene ergänzende Anstrengungen ausgelöst. Kalifornien hat beispielsweise einen „Community Economic Resilience Fund“ (CERF) mit einem Vierjahresbudget von 600 Mio. Dollar eingeführt, um die regionale Zusammenarbeit und die integrative Entwicklung zu unterstützen; und Phoenix hat erhebliche lokale Mittel bereitgestellt und regulatorische Änderungen vorgenommen, um eine 40-Mrd.-Dollar-Investition von TSMC in eine neue Halbleiterproduktion anzuziehen.
Der Breitbandausbau ist besonders wichtig für die regionale Wirtschaftsentwicklung. Wie die Covid-19-Pandemie gezeigt hat, gibt es in den USA immer noch eine eklatante digitale Kluft: Mehr als 24 Millionen Amerikaner haben keinen Hochgeschwindigkeits-Breitbandanschluss, und noch viel mehr verfügen über keine digitalen Kenntnisse. Dank des Infrastrukturprogramms und des vorherigen American-Rescue-Plans wurden jedoch mehr als 100 Mrd. Dollar an Bundesmitteln bereitgestellt, um jeden Haushalt mit Breitband zu versorgen. Dies ist die größte öffentliche Investition in die Vernetzung der Amerikaner seit der Schaffung des Interstate-Highway-Systems. Dennoch ist die Schließung der Lücken in der mittleren und letzten Meile auf lokaler Ebene eine große Herausforderung; die Koordination über alle Regierungsebenen hinweg ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Schließlich sind gesunde, qualifizierte Arbeitskräfte der wichtigste Faktor, um Arbeitgeber und Unternehmen in Schlüsselsektoren anzuziehen und zu halten. Daher haben viele Bundesstaaten, Städte und Regionen ihre Investitionen in die Entwicklung von Arbeitskräften erhöht, um sicherzustellen, dass ihre Einwohner über die richtigen Qualifikationen verfügen, um von den neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in den Bereichen Infrastruktur, Halbleiterproduktion und klimabezogene Industrien zu profitieren.
Die Bedeutung des Humankapitals
Kalifornien ist ein typisches Beispiel dafür. Der Bundesstaat gibt mehr als jeder andere für die Hochschulbildung aus und hat in neue Berufsbildungsprogramme an den Community Colleges und in berufsfördernde technische Ausbildungen an seinen öffentlichen Schulen investiert. Im besten Fall reichen die Programme zur Entwicklung von Arbeitskräften von der Vorschule bis zur Hochschulbildung und dann bis zur Einbindung der Arbeitgeber.
Die drei großen industriepolitischen Programme der Biden-Administration erkennen alle die Bedeutung des Humankapitals für den Aufbau von Angebotskapazitäten an, und jedes von ihnen bietet ein gewisses Maß an Unterstützung für Qualifikationsmaßnahmen – in erster Linie durch Steuergutschriften für Arbeitgeber. Der IRA enthält beispielsweise ein Dutzend Steuergutschriften für den Energiesektor, um den Zugang zu Lehrstellen und Arbeitsplätzen mit marktüblichen Löhnen zu verbessern. Eine vorgeschlagene Bereitstellung von 40 Mrd. USD für die Entwicklung von Qualifikationen der Arbeitskräfte wurde jedoch nicht in die endgültige Gesetzesvorlage aufgenommen, was bedeutet, dass diese Aufgabe weitgehend den Städten, Bundesstaaten, Arbeitgebern und Einzelpersonen überlassen wurde.
Die neuen regionalen Wirtschaftsentwicklungsbemühungen sind von vornherein sektoren- und regierungsübergreifend – von der staatlichen und lokalen bis zur Bundesebene. Oftmals haben eine oder mehrere Trägerinstitutionen die Führung bei den regionalen Entwicklungsbemühungen inne und arbeiten mit anderen gemeinschaftsnahen Organisationen und Schlüsselsektoren und -institutionen, wie z.B. Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, zusammen. In Kalifornien hat die Central Valley Community Foundation unter der Leitung eines Lenkungsausschusses, der sich aus 300 Führungspersönlichkeiten des Gemeinwesens zusammensetzt, einen Entwicklungsplan (mit 19 vorrangigen Investitionen in Höhe von insgesamt ca. 4 Mrd. USD in den nächsten zehn Jahren) erstellt. Viele ähnliche Bemühungen sind im ganzen Land im Gange, und viele weitere sind notwendig.
Die Industriepolitik ist ein zentraler Bestandteil von Bidens Wirtschaftsagenda. Eine gute Industriepolitik zu entwickeln, ist nie einfach, und die Entwicklung einer standortbezogenen Politik stellt eine noch größere Herausforderung dar. Aber sie ist jetzt unerlässlich, um ein gerechteres und nachhaltigeres Wachstum zu erreichen.
* Laura Tyson war Vorsitzende des Rates der Wirtschaftsberater während der Regierung von Bill Clinton. Sie ist Professorin an der Haas School of Business der Universität von Kalifornien, Berkeley, und Mitglied des Beirats der Angeleno Group. Lenny Mendonca, Senior Partner Emeritus bei McKinsey & Company, ist ehemaliger Wirtschafts- und Unternehmensberater des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom und Vorsitzender der California High-Speed Rail Authority.
Übersetzung: Andreas Hubig
Copyright: Project Syndicate, 2023. www.project-syndicate.org
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können