Alt-J – The Dream
Hatte man Alt-J nach dem Desaster-Duo „Relaxer/Reduxer“ schon fast abgeschrieben, durften die Art-Rocker aus Leeds dieses Jahr für eine positive Überraschung sorgen: Mit „The Dream“ streift die Band endlich die Bürde ab, die ihr die britische Musikpresse mit dem Hype um „the next Radiohead“ auferlegt hatte. Alt-J besinnen sich auf das, was sie können: guten, verspielten Pop-Rock zwischen Pomp und Intimität. Mit Radiohead teilen sie vielleicht das Bekenntnis zur Künstlichkeit, ansonsten hat die Musik ihre eigene Persönlichkeit. (hat)
And You Will Know Us By The Trail Of Dead – XI: Bleed Here Now
Trail Of Dead, wie man sie in der Kurzform nennt, kamen vom Post-Hardcore, kehrten zum Alternative/Noise Rock über und landeten irgendwann beim progressiven Bombast Rock bzw. Artrock. Für „XI: Bleed Here Now“ erschufen sie einen quadrophonischen Surround Mix und ein buntes Zusammenspiel verschiedener Stilrichtungen. Das Spektrum reicht von einer Akustikballade über rauen, ungeschliffenen Post-Hardcore, vom hypnotischen Bombast-/Progrock-Trip bis zur Stadion-Indierock-Ballade. 22 Songs respektive 73 Minuten lang dauert dieser großartige Spaß. (kfb)
Brian Eno – FOREVERANDEVERNOMORE
C’est plutôt rare qu’on entend la voix de ce compositeur mythique, qui nous offre ici des réflexions sur la dégradation de la planète. Il ouvre le bal en chantant: „Who gives a thought about the fireflies?“ Sa voix soyeuse, accompagnée de trames sonores menaçantes, confère au sublime „There were Bells“ toute son ampleur. Un disque contemplatif qui, aussi beau soit-il, nous offre que peu de réconfort face à notre sort qui semble pointer vers l’extinction. Où trouver refuge? Dans l’au-delà, parmi les voûtes ambiantes de ce monastère qu’a construit Brian Eno. (ar)
Brutus – Unison Life
Stefanie Maennerts geht auch auf dem dritten Album nicht die Puste aus. Das belgische Post-Metal-Trio aus Leuven setzt seinem bisherigen Schaffen die Krone auf – „Unison Life“ schließt nahtlos an den Vorgänger „Nest“ an, wirkt vielleicht noch eine Unze durchdachter, eine Facette sauberer geschliffen. Brutus machen Musik, zu der man seinen tristen Großraumbüro-Arbeitsplatz gemächlich mit einer Kreissäge zerlegen möchte. Es ist nicht die schäumende Wut des Punk, sondern die abgeklärte Gewissheit, dass diese Gesellschaft zerstört werden muss, damit etwas Besseres entstehen kann. Am besten mit Gitarre und Bass. (hat)
Calexico – El Mirador
Nach ihrer etwas countrylastigen Zusammenarbeit mit Iron & Wine, ihrem (obgleich sehr originellen) Weihnachtsalbum von 2020 endlich wieder ein Calexico-Album durch und durch! Sogar der zwischenzeitlich abhandengekommene vielseitige Kollege Sergio Mendoza ist wieder mit von der Partie und hat das Album im eigenen Heimstudio produziert. Deshalb überwiegen diesmal die Cumbia- und Fandango-Klänge gegenüber dem reduzierten „Tucson-Desert»-Americana-Sound. Calexico sind die ideale Mariachi-Begleitung einer mexikanischen Hochzeit und könnten einem Tarantino-Film entsprungen sein. Arriba! (gm)
Carmen Villain – Only Love from Now On
Ce que Nils Frahm sait extraire d’instruments à claviers, la compositrice mexico-norvégienne Carmen Villain le fait avec les Bois. Elle en extrait l’essence sur cet album hypnotisant, où l’origine des trames sonores manipulées reste souvent incertaine. Un véritable palimpseste où l’ajout de la trompette d’Arve Henriksen harmonise avec des cascades de beats percussifs et des motifs à vent qui s’imbriquent et se répètent. Un album époustouflant qui invite à l’introspection et qui accompagne parfaitement le crépuscule de cette année. (ar)
Caroline – Caroline
Avec un style se situant quelque part à la confluence de l’emo, du post-rock, du folk appalachien et du chant choral, les huit membres du groupe anglais Caroline, formé en 2017, concoctent des sons aux textures riches, où leurs harmonies vocales sont agrémentées par le jeu du cello et de guitares qui carillonnent répétitivement, faisant ressurgir des émotions plutôt vastes. Ils partagent cette étendue sonore très dynamique, si typique pour le post-rock, avec les Microphones de Phil Elverum. Un album toute en subtilité méritant maintes réécoutes. (ar)
Crippled Black Phoenix – Banefyre
Fast nirgendwo klingt vertonter Pessimismus besser: Aus der Zeit gefallen ist der Progrock von Crippled Black Phoenix seit jeher, auf „Banefyre“ schert sich das Kollektiv mit wechselndem Line-up um Justin Greaves nun weniger denn je um Trends. 2022 eine 92-minütige Platte mit 12 Songs zu veröffentlichen, ist eigentlich schon ein Mittelfinger an Musikkonsumgewohnheiten, gegen den Konsum und die verheerenden Konsequenzen des Kapitalismus geht es dann auch (u.a.) auf dieser gleichzeitig pechschwarzen und wunderschönen Platte mit überlangen Songs zwischen Prog, Blues und Postrock, in deren Riffgewitter und Melodien man sich stundenlang verlieren kann. (js)
Ef – We Salute You, You and You
Die erste Platte der schwedischen Postrocker in neun Jahren kann sich hören lassen – in nur sieben Tracks straft „We Salute You, You and You“ all diejenigen Lügen, die der Meinung sind, das Genre des Postrocks habe sich ausgeschöpft: Vom lebensbejahenden klavierlastigen Opener über treibenden Postrock und atmosphärische Intermezzi bis hin zu pechschwarzen Epen wie „Hymn of …“ oder „Chambers“, an deren Ende man fast im Postmetal landet, verdichten sich hier Einflüsse von Maybeshewill, Caspian, Explosions in the Sky oder Cult of Luna auf einer Platte mit genug Eigencharakter, um aus den Schatten dieser Postrockgrößen herauszutreten. (js)
Everything Everything – Raw Data Feel
Pop im Jahr 2022: Jonathan Higgs füttert einen Chatbot mit dem altenglischen Beowulf und den Nutzungsbedingungen von LinkedIn und schreibt dann mit ihm zusammen die Texte für ein Album. Das Resultat ist „Raw Data Feel“ – und was jetzt von der KI ist, was von Higgs stammt, lässt sich nicht sagen. Everything Everything haben es geschafft, das absolute Generikum der Popmusik herauszuschälen und, garniert mit willkürlichen Zitaten, als Ready-made in ein Album zu gießen. Es ist völlig unpersönliche Musik. Und sie ist ausgezeichnet. (hat)
Father John Misty – Chloë and the next 20th Century
Der Kanadier Josh Tillman alias Father John Misty hat im April eine Art Weihnachtsalbum veröffentlicht, mit viel Swing, opulenten Streicherarrangements, mit Musical- und Filmmusik-Flair, das dennoch in erster Linie vom Klavierspiel und Crooning des 41-jährigen Multi-Instrumentalisten und Sängers getragen wird. Beim näheren Hinhören wird einem dann auch bewusst, dass sich Geschichten wie die der Hauptfigur, die an ihrem 31. Geburtstag „zum Walkürenritt“ vom Balkon springt, gar nicht mal so gut zu Weihnachten eignen. Umso besser, so kann man sie das ganze Jahr über hören. (gm)
Fjørt – nichts
Der elliptische Plattentitel und das minimalistische Cover trügen: Auf ihrem vierten Album haben Fjørt der Welt alles andere als „nichts“ zu sagen. Die Songs sind selbstkritisch, verarbeiten deutsche Vergangenheit, religiösen Fanatismus und Lethargie in einer neofaschistischen Welt. Stilistisch ist „nichts“ wütender Hardcore mit Versatzstücken aus Postrock und Indie – mit dieser experimentellen, aber gleichzeitig verdammt eingängigen Platte ist Fjørt das deutschsprachige Äquivalent zu La Disputes legendärem Album „Wildlife“ gelungen. (js)
Fontaines D.C. – Skinty Fia
Nicht ganz so dringlich und hitlastig wie der Vorgänger „A Hero’s Death“, dafür aber politischer, textlich mutiger und stilistisch abwechslungsreicher: Fontaines D.C. schreiben darüber, was es heißt, als Ire in London zu leben und experimentieren mit ihrem Klanggeflecht, das sich hier vom getriebenen Postpunk der Anfangstage entfernt und sich zwischen Indie-Pop und Electrorock der Marke Primal Scream und Death in Vegas ansiedelt. Am besten gelingt ihnen das auf „I Love You“, einer zwiespältigen Liebeserklärung an das Heimatland, die sowohl musikalisch wie thematisch neue Grenzen auslotet. (js)
Jean Jean – Fog Infinite
Ohne das phänomenal gute Konzert im Gudde Wëllen hätte ich dieses Album fast übersehen: Auf „Fog Infinite“ sind Jean Jean nun zu dritt, ihr wilder Mathrock irgendwo zwischen Aiming for Enrike und Mutiny on the Bounty klingt deswegen elektronischer als auf „Froidepierre“. Auch wenn man sich erstmal daran gewöhnen muss, dass die tollen, effektlastigen Gitarren etwas mehr im Hintergrund stehen: Auf den neun Tracks von „Fog Infinite“ ändern sich vielleicht die Klangfarben, was jedoch bleibt ist die Spielfreude, der Spannungsbogen und die meisterhaften, tanzbaren Songs. (js)
Kae Tempest – The Line is a Curve
Cette poète au talent vertigineux anciennement connue sous le nom Kate Tempest, brosse une espèce d’autoportrait, moins axé sur l’analyse impitoyable de la société britannique contemporaine qui caractérisait son dernier disque. Le rap, la Neo-Soul et le hip-hop grime sont néanmoins toujours au rendez-vous, avec le renfort ponctuel d’un Griam Chatten (des Fontaines D.C.) sur le très touchant et doux „I Saw Light“ ou de Lianne la Havas pour le chorus sur „No Prizes“. La production de Dan Carey enrobe et complète avec précision la force des émotions transmises par Kae. (ar)
Konvent – Call Down the Sun
Die vier Däninnen hatten bereits auf ihrem Debüt „Puritan Masochism“ (2020) mit ihrem pechschwarzen Black Metal/Doom-Sound und gutturalen Lauten von Sängerin Rikke Emilie List beeindruckt. Im Vergleich zu „Puritan Masochism“ steigen sie auf „Call Down The Sun“ in noch tiefere, entlegenere Abgründe ab. Anstatt sich mehr Hörer durch Eingängigkeit zu erschließen, scheinen sie sich lieber in der hintersten, dunkelsten Ecke verstecken zu wollen. Ein fantastisch schwarzes Album, das Freude macht. Kein Witz! (kfb)
Love A – Meisenstaat
Nach einer viel zu langen Pause meldeten sich in diesem Jahr Love A umso stärker zurück. „Meisenstaat“ ist ein nahezu durchgängig brillantes Post-Punk-Album mit tollen Melodien und herrlich verklausulierten Texten, die Aktuelles aufgreifen. „Was sollen wir tun, wenn uns aus der Mitte neue Dunkelheit entgegenweht?/Was sollen wir tun, wenn Geduld zu Schwäche, und die Schwäche dann zu Hass mutiert?“, heißt es beispielsweise im Titelsong. Starke Platte! (kfb)
Makaya McCraven – In these Times
48 Stunden Rohmaterial, das er im Chicagoer Club The Bedford mit seiner Band in unzähligen, größtenteils improvisierten und grooveorientierten Sessions mitschnitt, hat dieser geniale franko-amerikanische Schlagzeuger und Produzent im Studio so nachbearbeitet und neu zusammengefügt, dass ein völlig eigenständiges, lässiges Electrojazz-Album entstanden ist. Man hört dabei kein einziges Cut & Paste heraus. Curtis Mayfield hätte bei einigen Tracks, die dank Streicher, Saxofon und Harfe ein bisschen nach Blaxploitation klingen, noch eine Gesangsspur drüberlegen können. (gm)
Muff Potter – Bei aller Liebe
Muff Potters Comeback nach über 13 Jahren Auszeit kann sich hören lassen: Mit Punk hat die Platte meist nur noch im Esprit und in den Lyrics was zu tun, ansonsten ist das hier grandios-wütender Indie, der seine eigenen Grenzen immer wieder neu definiert. Auf „Ein gestohlener Tag“ – über neoliberale Ausbeutung und das Faulenzen als subversiver Gestus – und „Nottbeck City Limits“ – über den Tönnies-Billigfleischskandal – verdichtet die Band Thorsten Nagelschmidts messerscharfe Beobachtungsgabe und ihre stilistische Wandelbarkeit in zwei epischen, wütenden Tracks für die Ewigkeit. (js)
Die Nerven – Die Nerven
„Und ich dachte irgendwie/in Europa stirbt man nie“: Eine treffendere Songzeile wird es dieses Jahr nicht gegeben haben, einen besseren Song auch kaum. Auf „Europa“ folgt „Ich sterbe jeden Tag in Deutschland“; mit diesem kritischen Diptychon scheinen Die Nerven nicht nur alles gesagt, sondern sich selbst ein Denkmal gesetzt zu haben. Das Schöne dabei: Während der restlichen neun Songs ebbt die Qualität nicht ab, die Band erforscht neues Terrain zwischen ungestümem Punk und Indie-Balladen, auf denen sie gar mit der Institution Tocotronic rivalisieren. (js)
Nidare – von wegen
Nidare machen Post Black Metal. Der Sound ist nicht trashig, das Schlagzeug poltert nicht, die Songs sind dank der Melodien eingängig, es gibt Anflüge von Postrock („Shilhouette“) und es wird auf Deutsch geschrien. Ja, die Berliner Band, deren Mitglieder man von Ancst, Henry Fonda, Ast, Chambers, Afterlife Kids, rýr oder Youth Cult kennen könnte, liefert den Black-Metal-Puristen genügend Gründe, ihren Weg nicht mitzugehen. Wer etwas aufgeschlossener ist, den erwartet ein brillantes Album tief aus der Schwärze des musikalischen Raums. (kfb)
OFF! – Free LSD
Die Band OFF! setzt sich aus Circle Jerks-Sänger Keith Morris (Ex-Black Flag), Gitarrist Dimitri Coats (Ex-Burning Brides), Bassist Autry Fulbright II (Ex-And You Will Know Us By The Trail Of Dead) und dem früheren Thundercat-Schlagzeuger Justin Brown zusammen. In dieser Besetzung nahmen OFF! für das Label Fat Possum ihr drittes Album „Free LSD“ auf. Was haben die 20 Songs für eine schiere Kraft und Energie. „Free LSD“ ist ein Fest – treibender, gewaltiger Punkrock mit einem gewissen Irrwitz in Form von Jazz-Fusion-Versatzstücken. (kfb)
OG Keemo – Mann beißt Hund
Es ist leicht, in Superlative zu verfallen, wenn man über die Musik von OG Keemo reden möchte. Der Rapper befreite schon 2019 mit seinem Debüt „Geist“ ein im Käfig aus einfältigem Gangsterrap und überironischen Takes gefangenes Genre. „Mann beißt Hund“ übertrifft die Maßstäbe, die er sich selbst gesetzt hat – ein Konzeptalbum, das eigentlich ein Hörspiel ist, das Leben dreier Galgenvögel aus der Hochhaussiedlung, erzählt aus verschiedenen Perspektiven, autofiktional, bombastisch, roh. Technisch und sprachlich kann Keemo sich mit Kendrick Lamar und Drake messen. Und die Beats, mit denen Produzent Funkvater Frank die Zeilen unterlegt, sind eh von einem anderen Stern. (hat)
Placebo – Never Let Me Go
Eines der gelungensten Comebacks des Jahres – was für ein Album, was für Live-Shows! Und das, obwohl der Band seit über 15 Jahren kein wirklich überzeugendes Album mehr gelungen und sie zu einem Duo, bestehend aus Sänger/Gitarrist Brian Molko und Bassist Stefan Olsdal, geschrumpft ist. Durchschneidend die Stimme, aufrüttelnd die Texte vom ersten Atemzug an, fett und wie immer alternativ gestimmt die Gitarren vom ersten Griff an: Der 50-jährige Brian Molko ist in der Form seines Lebens, bloß sein neuer Look ist etwas gewöhnungsbedürftig. Schade, dass sein Kumpel David Bowie das Album nicht mehr hören kann! (gm)
Rival Consoles – Now Is
La musique expérimentale du musicien et producteur londonien Ryan Lee West, alias Rival Consoles, atteint ici son apogée: le son plus organique et vivant des 11 titres semble capturer un sens humain de l’écriture derrière les machines. Des arrangements entraînants de „Beginnings“ et des rythmes motorisés de „World Turns“, à l’isolement perçu de „Frontiers“, influencé par les paysages arides de l’Islande, ce huitième album est plus euphorique, oscillant entre des souvenirs réconfortants du passé et des idées provisoires sur l’avenir. (ar)
Rolling Blackouts Coastal Fever – Endless Rooms
Distanz ist auch ein Filter: Musik, die es aus Australien nach Europa schafft, ist in der Regel gut. Das beweisen Nick Murphy, King Gizzard und jetzt auch RBCF. Deren dritter Longplayer „Endless Rooms“ klingt, als wären Two Door Cinema Club 2013 nach „Beacon“ nicht plötzlich scheiße geworden, sondern nach Down Under ausgewandert, um sich weiterzuentwickeln. Es ist guter, tanzbarer Indierock. Mit erwachsenen Texten, ordentlich Tempo und genügend Überraschungen, um spannend zu bleiben – eines der besseren Alben des Jahres. (hat)
Russian Circles – Gnosis
Hatte das mythische US-amerikanische Trio auf „Blood Moon“ zum ersten Mal Ermüdungserscheinungen gezeigt, sorgte bei „Gnosis“ der pandemische Schaffensprozess für eine neue Vitalität: Die sieben Songs entstanden nicht wie gehabt am Ende ausgiebiger Jams, sondern basieren auf den Ideen, die Schlagzeuger Dave Turncrantz, Bassist Brian Cook und Gitarrist Mike Sullivan in der Isolation schrieben. Das Resultat ist eine abwechslungsreiche Platte, zwischen Tool-Prog, Mogwai-Anleihen und brachialen Trash-Black-Metal-Riffs, die man hoffentlich bald auch wieder live genießen kann. (js)
Sea Power – Everything was Forever
Wo Fontaines D.C. über britische Feindseligkeit gegenüber irischen Landesgenossen singt, haben British Sea Power, die auf ihrem Erstling „The Decline of British Sea Power“ bereits die eigene Kolonialvergangenheit anprangerten, nun gemerkt, dass angesichts der Notlage des Landes auch Humor nichts mehr bringt. Die Band heißt nun nur noch Sea Power, ihr Indie-Rock zwischen Echo & The Bunnyman und David Bowie ist auf „Everything was Forever“ trotz (oder wegen) des Namenswechsels mit wuchtigen Hymnen („Doppelganger“), melancholischem Indierock („Two Fingers“) und atmosphärischem Postrock („Lakeland Echo“) abwechslungsreicher und dringlicher denn je. (js)
The Smile – A Light for Attracting Attention
Spätestens nach den ersten paar Singles und drei in ästhetischem Schwarzweiß streambaren Livekonzerten war der Hype um die neue Band von Radiohead-Sänger Thom Yorke und seinem Bandgitarristen Johnny Greenwood nicht mehr aufzuhalten. Die Platte klingt mehr nach Radiohead als alle anderen Nebenprojekte der beiden Tausendsassa – was angesichts der überragenden Qualität der hier gebotenen Tracks zwischen Krautrock, Indie und Elektro keineswegs als Kritik zu verstehen ist. Mit seinen elegant-komplexen Schlagzeugparts verleiht Tom Skinner den Ausbrüchen seiner beiden Mitmusiker zudem die notwendige Struktur. (js)
Tocotronic – Nie wieder Krieg
Es war ein außergewöhnlich gutes Jahr für deutschsprachige Musik – und dieser gute Lauf begann mit der aus heutiger Sicht utopisch betitelten Platte „Nie wieder Krieg“. Mit ihrem 13. Studioalbum veröffentlichte die deutsche Kultband rund um Sänger Dirk von Lowtzow am 28. Januar ironischerweise die vielleicht letzte wichtige Vorkriegsplatte, auf der die Band so fokussiert, knackig, politisch und aufgekratzt wie seit langem nicht mehr klingt. Und die drei Balladen „Nie wieder Krieg“, „Hoffnung“ und „Ich tauche unter“ hören sich heute an wie lichtdurchflutete Hoffnungsschimmer in dunklen Zeiten. (js)
Warhaus – Ha Ha Heartbreak
Maarten Devoldere, einer der beiden Sänger der belgischen Indie-Rock-Band Balthazar hat Liebeskummer. Dumm für ihn, aber gut für uns, da aus dieser schmerzlichen Erfahrung wunderbare Songs für das 3. Album seines Soloprojekts Warhaus entstanden sind. Der Titel mit der pfiffigen Alliteration zeigt bereits, dass Maarten hier nicht herumjammert, sondern mit einer gehörigen Portion Selbstironie zu Werke geht. Die Musik hat er zu einer betörenden Mischung aus Melancholie pur mit Streicherorchestrierung, mäandernden Gitarren à la War on Drugs und lasziv groovenden Discoklängen angerührt. (gm)
Die Top 5 unserer Mitarbeiter
Kai Florian Becker
1. And You Will Know Us By The Trail Of Dead – XI: Bleed Here Now
2. Nidare – von wegen
3. OFF – Free LSD
4. Love A – Meisenstaat
5. Konvent –Call Down The Sun
Tom Haas
1. OG Keemo – Mann beißt Hund
2. Everything Everything – Raw Data Feel
3. Alt-J – The Dream
4. Brutus – Unison Life
5. Rolling Blackouts Coastal Fever – Endless Rooms
Gil Max
1. Calexico – El Mirador
2. Placebo – Never let me go
3. Warhaus – Ha Ha Heartbreak
4. Makaya McCraven – In these Times
5. Father John Misty – Chloë ant the next 20th Century
Alasdair Reinert
1. Caroline – Caroline
2. Rival Consoles – Now Is
3. Kae Tempest – The Line is a Curve
4. Brian Eno – FOREVERANDEVERNOMORE
5. Carmen Villain – Only Love from Now On
Jeff Schinker
1. The Smile – A Light for Attracting Attention
2. Fjørt – nichts
3. Muff Potter – Bei aller Liebe
4. Placebo – Never Let Me Go
5. Russian Circles – Gnosis
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