Am 24. Dezember haben Anna und Denis ihren ersten Heiligabend in Luxemburg verbracht. Hinter ihnen liegt ein Jahr der Ungewissheit und der Entbehrungen. Monate voller Anspannungen und Zukunftsängste. Sollten beide kurz vor dem Zusammenbruch gestanden haben, so haben sie es sich nicht anmerken lassen. Denn: Anna und Denis sind dankbar.
Dankbar dafür, dass sie dem Krieg in ihrem Land noch rechtzeitig entkommen konnten. Dankbar, dass ihre beiden Söhne Bomben, Waffen und den Tod nur aus Erzählungen kennen. Dass Vania und Matti weiterhin Kind sein dürfen. Und dass ihre Familie in Luxemburg ein neues Zuhause gefunden hat.
Anna war eine der ersten Ukrainerinnen, die mit ihren Kindern, Mutter und Großmutter nach Luxemburg flüchten konnte. Ihr Mann befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits aus beruflichen Gründen im Großherzogtum. Dass es das Paar nach Luxemburg verschlug, ist demnach kein Zufall. Auch haben Denis’ Kontakte dem Paar den Start ins neue Leben enorm erleichtert. Dessen sind sich Anna und Denis stets bewusst.
Doch einfach sind die letzten Monate nicht gewesen. Quasi über Nacht wurden sie, wie viele ihrer Landsleute, mitten aus ihrem Leben gerissen. Mussten nicht nur Familienmitglieder und Freunde in einem Kriegsgebiet zurücklassen, sondern auch zahlreiche Habseligkeiten und Erinnerungen. In einem fremden Land mussten sie sich zurechtfinden. Innerhalb weniger Wochen ein neues Leben aufbauen, Verdienstmöglichkeiten ausmachen, bürokratische Behördengänge absolvieren, die Kinder in Schulen unterbringen, eine permanente Bleibe finden.
Gleichzeitig schlug ihnen vonseiten mancher Bürger Neid entgegen. Abneigung, Vorbehalte, Ressentiments. Sie wissen, dass längst nicht alle Luxemburger sie willkommen heißen. Dass ihnen Opportunismus unterstellt wird. Dass ihnen vorgeworfen wird, Unterkünfte und finanzielle Zuwendungen einzusäckeln, die eigentlich Luxemburgern vorbehalten sein sollten. Nach dem bekannten Stammtisch-Motto „Ausländern wird geholfen, doch wir gehen leer aus“.
Tatsächlich waren Anna und Denis in den ersten Wochen auf finanzielle Hilfe angewiesen. Dankbar haben sie jede private Sachspende angenommen, die ihnen angeboten wurde. Auch griffen sie regelmäßig auf die Unterstützung des Verfassers dieser Zeilen zurück. Etwa bei Behördengängen oder in anderen Situationen, in denen Landes- oder Sprachkenntnisse von Vorteil waren.
Mit einem einzigen Ziel vor Augen: Schnellstmöglich produktive Mitglieder der Luxemburger Gesellschaft zu werden. Das seien sie Luxemburg und seinen Bürgern schuldig, sagt Anna. Inzwischen haben beide einen Job, beide lernen Französisch und Luxemburgisch, die Kinder besuchen beide die Schule. Regelmäßig unternehmen sie Ausflüge, um das Land und seine Leute kennenzulernen. Sie besuchen Spiele der Luxemburger Nationalmannschaft, die Kavalkade in Diekirch, die Nacht der Museen in der Hauptstadt. Sie machen Urlaub, fahren in den Märchenpark, in die Grottes de Han.
Auch eine feste Bleibe hat die Familie inzwischen gefunden. Dabei hatten sie die gleichen Schwierigkeiten, die auch Luxemburger bei der Suche nach einer Wohnung erfahren. Staatliche Hilfe erhalten sie keine mehr. Bezahlt wird aus der eigenen Tasche. Mit dem Gehalt tüchtiger Arbeitnehmer, die sich nicht zu schade waren, Jobs anzunehmen, für die sie eigentlich überqualifiziert scheinen.
Sollte jemand immer noch ein Problem mit der Luxemburger Flüchtlingspolitik haben, der braucht sich nur Anna und Denis vor Augen zu führen. Sie sind dankbar für die Starthilfe und versuchen, es zurückzuzahlen. Als vollwertige, Steuer zahlende, Traditionen berücksichtigende Mitglieder der Luxemburger Gesellschaft. Anna und Denis sind endlich angekommen. So wie viele andere Ukrainer auch. Oder Syrer, Afghanen, Kroaten, Serben …
Ein nettes, da halbwegs positives Beispiel. Dennoch eher die Ausnahme.
Die Situation für viele ukrainische Flüchtlinge sieht gänzlich anders aus. Und leider sind daran zu einem nicht unerheblichen Teil zuständige Administrationen schuld. Die Ausrede, man wäre von einem solchen „Ansturm“ überrascht worden, darf nicht herhalten für offensichtliche und vor allem vermeidbare Versäumnisse. Einiges lief schief, und läuft weiterhin schief. Der Frust ist teilweise sehr groß.
Auch das „Outsourcen“ vieler Aufgaben an das Rote Kreuz, das quasi unkontrolliert agiert(e) und den Aufgaben offensichtlich nicht gewachsen war/ist, aber großzügig vergütet wird, müsste hinterfragt werden.
Nicht zuletzt muss die mehr als schleppende Bearbeitung von Flüchtlingsanträgen zum „statut de protection temporaire“ thematisiert werden. Es ist schon sehr befremdlich, wenn man wusste, es kommen wöchentlich weitaus mehr Flüchtlinge als Anträge bearbeitet werden können und begegnet dieser „Herausforderung“ mit einer minimalen Personalaufstockung, die nie in der Lage war, dem Antragsaufkommen gerecht zu werden. Es dürfte kaum vermittelbar gewesen sein, dass Antragsteller mit diesem Arbeitstempo bestenfalls noch 30 Wochen auf ihren Status warten mussten, im ungünstigen Falle gar knapp 40 Wochen. Es kamen ja wöchentlich zeitweise 350 hinzu, also drei bis vier Mal mehr, als pro Woche bearbeitet werden konnten. Warum jede einzelne Bearbeitung eines Antrages so viel Zeit in Anspruch nahm/nimmt, mehrere Monate nämlich, wobei in einigen anderen EU-Ländern dies innerhalb weniger Tage vonstattengeht, ist weiterhin unklar. Man kann nur vermuten, dass dies mindestens zwei Gründe haben könnte: Bürokratische Unzulänglichkeit und mangelnder Einsatz der ausführenden Mitarbeiter, oder anders formuliert, Arbeitsprozesse und Arbeitsethik? Die Frage sei zumindest gestattet. Es gab (gibt?) irgendwo einen Flaschenhals, es wurde jedoch scheinbar nie eruiert, wo dieser auszumachen wäre und vor allem, wie man diesen beseitigen könnte.
Überhaupt schneidet Luxemburg im internationalen Vergleich im Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine nicht besonders schmeichelhaft ab. Es gab und gibt immer noch einige Baustellen. Interessanterweise ist das Thema quasi aus den Medien verschwunden, und das liegt sicher nicht an einer Behebung der Missstände, denn eine solche ist nicht erfolgt. Dabei wäre das Thema durchaus ergiebig da eventuell ein systemisches Versagen anzunehmen ist (da würde jetzt ein großes Fass aufgemacht werden müssen).
Dabei muss im Blick behalten werden, dass selbstverständlich ukrainische Flüchtlinge auch in Luxemburg mit vielen ihrer Landsleute in anderen Ländern in Kontakt stehen, die ihre jeweiligen Erfahrungen kommunizieren. Im direkten Vergleich mit einigen anderen EU-Ländern hinkt Luxemburg offensichtlich hinterher. Luxemburg hat diesbezüglich ein Imageproblem. Und das scheint schlicht ignoriert zu werden.
Wie das persönliche Beispiel des Autors zeigt: Es ist tatsächlich so, dass die unzähligen Privatinitiativen vieler Bürger in Luxemburg sowie von NGOs, die konkrete humanitäre Hilfe leisten, das Ansehen des Landes und somit der Regierung „rette(te)n“, und das gänzlich zu ihren eigenen Kosten. Auch zu diesem Aspekt besteht immer noch Handlungsbedarf seitens zuständigen staatlichen Stellen.
"Mit dem Gehalt tüchtiger Arbeitnehmer, die sich nicht zu schade waren, Jobs anzunehmen, für die sie eigentlich überqualifiziert scheinen. "
Das gilt auch für einige Luxemburger!
Und trotzdem reicht es nicht für eine Wohnung.