Wie ein neuer Bericht des Roosevelt Institute, dessen Mitverfasser ich bin, zeigt, wird jeder durch die zusätzliche zinsbedingte Verringerung der Inflation bedingte Nutzen im Vergleich zu dem, was ohnehin passiert wäre, minimal sein. Die Inflation scheint bereits nachzulassen. Womöglich mildert sie sich langsamer ab, als die Optimisten vor einem Jahr – vor Russlands Krieg in der Ukraine – hofften, doch sie tut es, und zwar genau aus den Gründen, die die Optimisten skizziert hatten. So würden etwa die hohen, durch einen Mangel an Computerchips verursachten Automobilpreise sinken, wenn die Lieferengpässe überwunden wären. Das ist passiert, und die Fahrzeugbestände sind tatsächlich im Steigen begriffen.
Die Optimisten erwarteten zudem, dass die Ölpreise sinken würden, statt weiter zu steigen, und auch das ist genau so eingetreten. Tatsächlich legen die sinkenden Kosten für erneuerbare Energieträger nahe, dass der Ölpreis langfristig noch unter den heutigen Preis fallen wird. Es ist bedauerlich, dass wir nicht eher auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Wir wären dann viel besser gegen die Unwägbarkeiten der Preise für fossile Brennstoffe abgesichert gewesen und deutlich weniger anfällig für die Launen von Ölstaat-Diktatoren wie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Saudi-Arabiens Herrscher, dem Kriegstreiber und Journalistenmörder Kronprinz Mohammed bin Salman (weithin als MBS bekannt). Wir sollten dankbar sein, dass beide mit ihrem offensichtlichen Versuch gescheitert sind, die US-Midterms in diesem Jahr zu beeinflussen, indem sie die Ölproduktion Anfang Oktober steil drosselten.
Nachfrage als Inflationstreiber
Ein weiterer Grund für Optimismus hat mit den Handelsspannen zu tun – dem Betrag, um den die Preise die Kosten übersteigen. Während die Handelsspannen angesichts der zunehmenden Monopolisierung der US-Wirtschaft bereits zuvor langsam gestiegen waren, sind sie seit Beginn der Covid-19-Krise steil in die Höhe geschossen. Wenn die Wirtschaft nun zunehmend die Pandemie (und hoffentlich den Krieg) hinter sich lässt, dürften die Handelsspannen fallen, wodurch sich die Inflation abmildern dürfte. Zwar steigen derzeit die Löhne vorübergehend schneller als vor der Pandemie, aber das ist gut so. Es gab eine enorme, langanhaltende Zunahme der Ungleichheit, die durch den jüngsten Rückgang der (inflationsbereinigten) Reallöhne nur noch verschlimmert wurde.
Der Bericht des Roosevelt Institute räumt auch mit dem Argument auf, dass die heutige Inflation durch übermäßige pandemiebedingte Ausgaben verursacht wurde und dass zu ihrer Senkung eine lange Phase hoher Arbeitslosigkeit erforderlich sei. Eine nachfragebedingte Inflation tritt ein, wenn die Gesamtnachfrage das potenzielle Gesamtangebot übersteigt. Aber das ist überwiegend nicht der Fall. Stattdessen hat die Pandemie zahlreiche sektorale Angebotsbeschränkungen und Nachfrageverschiebungen hervorgebracht, die sich – zusammen mit Anpassungsasymmetrien – zu den primären Treibern des Preisanstiegs entwickelten.
Man bedenke etwa, dass es heute weniger Amerikaner gibt als vor der Pandemie erwartet. Nicht nur hat die Covid-19-Politik der Trump-Ära in den USA zum Verlust von mehr als einer Million Menschenleben geführt (und das ist lediglich die offizielle Zahl), sondern auch die Einwanderung ist aufgrund neuer Beschränkungen und eines allgemein weniger einladenden, fremdenfeindlicheren Umfelds zurückgegangen. Der Anstieg der Mieten wurde daher nicht durch eine starke Zunahme des Bedarfs an Wohnraum angetrieben, sondern vielmehr durch die weit verbreitete Umstellung auf die Arbeit im Home-Office, die änderte, wo die Menschen (insbesondere Wissensarbeiter) leben wollten. Da viele Fachkräfte ihren Wohnort wechselten, erhöhten sich die Mieten und Wohnkosten in einigen Gegenden und fielen in anderen. Doch stiegen die Mieten an den Orten steigender Nachfrage stärker, als sie an den Orten sinkender Nachfrage fielen; die Verschiebung der Nachfrage trug daher zur Gesamtinflation bei.
Höhere Zinssätze sind nicht die Antwort
Lassen Sie uns auf die große politische Frage zurückkommen, um die es hier geht. Werden die höheren Zinssätze das Angebot an Chips für Autos erhöhen, oder das Angebot an Öl (indem sie MBS irgendwie dazu bewegen, mehr zu liefern)? Werden sie die Preise für Lebensmittel senken außer durch eine derart starke Verringerung der weltweiten Einkommen, dass die Menschen ihre Ernährung einschränken? Natürlich nicht. Das Gegenteil ist der Fall; höhere Zinsen machen es noch schwieriger, Investitionen zu mobilisieren, die Angebotsverknappungen abmildern könnten. Und wie sowohl der Bericht des Roosevelt Institute als auch mein früherer, gemeinsam mit Anton Korinek verfasster Bericht für die Brookings Institution zeigen, gibt es noch viele andere Wege gibt, wie höhere Zinsen den Inflationsdruck verschärfen können.
Eine wohlausgerichtete Fiskalpolitik und andere, präziser abgestimmte Maßnahmen haben eine bessere Chance, die heutige Inflation zu zähmen, als stumpfe, potenziell kontraproduktive geldpolitische Maßnahmen. Die angemessene Reaktion auf hohe Lebensmittelpreise etwa besteht darin, die jahrzehntealte Subventionspolitik für die Landwirte aufzuheben, die diese dafür bezahlt, nichts zu produzieren, wenn man sie eigentlich dazu animieren sollte, mehr zu produzieren.
In ähnlicher Weise ist die angemessene Reaktion auf aus unberechtigter Marktmacht resultierende Preiserhöhungen eine bessere Durchsetzung des Kartellrechts, und die Methode, um auf die höheren Mieten für arme Haushalte zu reagieren, besteht in der Förderung des Wohnungsbaus, während höhere Zinsen das Gegenteil bewirken. Gäbe es einen Arbeitskräftemangel (das typische Signal hierfür sind steigende Reallöhne – das Gegenteil von dem, was wir derzeit erleben), sollte die Reaktion darauf in einer stärkeren Bereitstellung von Kindergartenplätzen, einer einwanderungsfreundlichen Politik und Maßnahmen zur Erhöhung der Löhne und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bestehen.
Nach mehr als einem Jahrzehnt ultraniedriger Zinssätze ist es sinnvoll, diese zu „normalisieren“. Doch die Zinsen über dieses Maß hinaus anzuheben in dem lebensfremden Versuch, die Inflation rascher zu zähmen, wird nicht nur jetzt Leid hervorrufen; es wird zudem bleibende Narben hinterlassen – insbesondere bei denen, die am wenigsten in der Lage sind, die Hauptlast dieser fehlgeplanten Politik zu tragen. Im Gegensatz dazu hätten die meisten hier beschriebenen fiskalischen und sonstigen Reaktionen langfristige soziale Vorteile, selbst wenn sich die Inflation als gedämpfter erweisen sollte als erwartet.
Der Psychologe Abraham Maslow hat einmal gesagt: „Für einem Mann mit einem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus.“ Nur weil die US Federal Reserve einen Hammer hat, sollte sie nicht damit herumlaufen und die Wirtschaft zertrümmern.
*Joseph E. Stiglitz ist Wirtschaftsnobelpreisträger und Professor an der Columbia University sowie Mitglied der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT).
Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können