Die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal. Die Hitzewelle in Pakistan, der noch viel tödlichere Fluten gefolgt sind. Waldbrände, die in Australien Koalas töten und anderswo Menschen. Während wir uns in Büchern, Serien und Filmen gerne in dramatische, fiktionale Geschichten wegträumen, passieren die größten Dramen gerade in der Wirklichkeit. Extremwetterereignisse werden häufiger und heftiger, eine Pandemie scheint vorbei und ist es doch nicht, in Europa herrscht Krieg und viel mehr Menschen müssen plötzlich schauen, wie sie die nächste Stromrechnung bezahlen können.
„Die Welt hat Fieber“, schreibt Greta Thunberg. Und damit wären wir beim Thema.
Die 19 Jahre alte Klimaaktivistin aus Schweden hat mit tatkräftiger Unterstützung führender Experten aus aller Welt ein Buch geschrieben, das ein ganzheitliches Bild von der herrschenden Klimakrise zeichnet. „Das Klima-Buch“, so der nüchterne Titel des am Donnerstag erschienenen 500-Seiten-Wälzers, stellt ein großes Nachschlagewerk dar, das fassungslos macht, aber auch zuversichtlich – vor allem aber zunächst einmal erklärt, beschreibt und einordnet, was überhaupt los ist. Dabei will Thunberg auch die Zusammenhänge etwa zwischen der Zerstörung der Natur und dem Entstehen von Pandemien oder des Klimawandels mit den besagten Fluten von Ahrweiler aufzeigen.
Die Masse an Fakten, die sie dafür zusammengetragen hat, kann einen leicht erschlagen. Doch einmal angefangen, ist der Blick ins Buch höchst lohnenswert. Es handelt nicht nur von einem Thema, das jeden angehen sollte, sondern noch dazu von einem sehr spannenden. Es gehe um „die größte Geschichte der Welt“, die überall erzählt werden müsse, fordert Thunberg. „Wir haben die unvorstellbar großartige Chance, im entscheidendsten Augenblick der Menschheitsgeschichte zu leben. Es ist Zeit, dass wir diese Geschichte erzählen und vielleicht sogar ihren Ausgang verändern.“
Menschheit zwischen Überfluss und Flugscham
Nun hat Thunberg selbst eine einzigartige Geschichte hinter sich. Im Spätsommer 2018 setzte sich die damals 15-Jährige einsam vor den Reichstag von Stockholm, um mehr Klimaschutz von der schwedischen Politik einzufordern. Ein Jahr später war die junge Schwedin eine Weltpersönlichkeit, die eine globale Klimabewegung geschaffen hatte und Obama, Merkel und DiCaprio traf. Sie wurde zum jungen Gewissen einer Menschheit zwischen Überfluss und Flugscham, zwischen westlicher Trägheit und dem täglichen Kampf gegen Klimafolgen in ärmeren Weltregionen.
Nach dem Greta-Hype der Jahre 2019 und 2020 ist es um sie etwas ruhiger geworden. Das hat Thunberg unter anderem dazu genutzt, mit führenden Klimaexperten an der Umsetzung dieses Buches zu arbeiten. Denn auch wenn der Name der 19-Jährigen den Titel ziert, so ist es eine Gemeinschaftsproduktion Dutzender Fachleute. Thunberg meldet sich immer wieder zu Wort, überlässt den Löwenanteil des Platzes aber den Experten, die aus ihren jeweiligen Fachgebieten berichten.
Aufgebaut ist das Ganze mit Präzision: Erst kommen die Grundlagen darüber, wie das Klima funktioniert. „Um dieses Problem zu lösen, müssen wir es zunächst verstehen“, weiß Thunberg. Ausgerüstet mit diesem Wissen lernt man, wie der Mensch den Planeten verändert und welche Folgen das hat – von Krankheiten und Luftverschmutzung bis hin zu Konflikten und den wirtschaftlichen Kosten.
Es folgt das, was (nicht) gegen die Klimakrise unternommen worden ist und was dringend getan werden muss. Thunberg schließt mit konkreten Handlungsvorschlägen und dem Fazit, dass man sich Hoffnung erst mit Taten verdienen müsse. Es bleibt aber auch die Erkenntnis: „Als Individuen können wir zwar vieles tun, aber diese Krise ist nichts, was ein Mensch allein bewältigen könnte.“
„Das Klima-Buch“ ist ein reines Faktenbuch. Gleichzeitig hat es eigentlich alles, was ein guter Thriller benötigt: Da ist eine Geschichte, die, einmal verstanden, unmittelbar in den Bann zieht. Es gibt Bösewichte wie mächtige Öl-Konzerne und Autokraten, Helden und Anti-Helden – das sind wir – sowie mutige Helfer im Kampf um ein Happy End, das so ungewiss ist wie im besten Dan-Brown-Thriller.
Einzige Hürde für den Leser: Das Verständnis dieser Geschichte muss er sich erst erarbeiten. Sich durch Diagramme kämpfen und Begriffe wie „Wolkenfeedback“, „Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation“ und „Eisalbedo-Rückkopplungseffekt“ meistern. Forscher von Weltrang wie etwa Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) reichen dabei eine helfende Hand, indem sie komplexe Inhalte möglichst allgemeinverständlich verpacken. Auch ohne größere Vorkenntnisse lässt sich die Klimakrise so ganzheitlich begreifen.
Thunberg und ihre Mitstreiter haben somit ein Fundament des Wissens geschaffen, das keinen Zweifel daran lässt, wie dringend es ist, besser heute als morgen für das Klima einzustehen. Letztlich will sie Fakten darlegen und „sagen, wie es ist“, wie sie schreibt. Diese nüchterne Herangehensweise macht das Buch gerade so stark: Statt auf blanken Alarmismus, der ihr von Kritikern häufig vorgeworfen wird, setzt sie auf Fakten, klare Worte und Einordnung.
Bleibt nur die Frage, ob es Thunberg gelingt, ein klassisches Problem der Klimaliteratur zu überwinden: Denn während Klimafreunde solche Bücher mit Gusto verschlingen, müssen die, die bislang kein Interesse an dem Thema zeigen, von solchen Wälzern erst überzeugt werden.
Nach über vier Jahren an vorderster Klimafront ist Thunberg jedoch Gegenwind gewohnt. Und zu den Warnungen einer fiebrigen Erde mischt sich längst immer wieder auch so etwas wie Optimismus, etwa wenn die Umweltepidemiologin Ana M. Vicedo-Cabrera schreibt: „Es ist noch nicht zu spät, eine widerstandsfähigere, nachhaltigere und gerechtere Welt für die nächste Generation zu schaffen.“ Ein erster Schritt auf diesem Weg ist es, die Klimakrise zu verstehen – und dafür ist dieses Nachschlagewerk der optimale Beginn. „Das Klima-Buch“ darf somit gerne zur Pflichtlektüre an Schulen werden – aber nicht nur dort, sondern im Grunde in jedem Wohnzimmer und darüber hinaus.
Dieser Kommerz ist eine Beleidigung!
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