Eskapistische Kinokost – meist ohne großartigen künstlerischen Anspruch – ist das überlebenswichtige tägliche Brot von Filmverleihern und Kinos. Das sogenannte Arthouse- und Autorenkino fordert natürlich diesen Anspruch ein, präsentiert sich aber meistens ohne den geringsten Funken an Leichtigkeit. Aber auch die Fackelträger des Weltkinos in all seinen Facetten suchen nach „leichter Kost“, nach einer „Komödie“. Die Gründe dafür sind vielfältig und die Gedanken dazu es wert, zu Papier gebracht zu werden. Dass sich gerade das CinEast seit jeher damit schwertut, liegt schon alleine in der geografischen Ausrichtung des Festivals, das seinen Blick bekanntlich gen Osten richtet. Dieser europäische Osten, der sich im Kino seit jeher am Vergangenen abarbeitet, geht seit Monaten durch eine neue Krise. Wann dieser Krisenzustand sein Ende findet und wie dieses Ende aussehen soll, ist zu diesem Zeitpunkt nicht einschätzbar.
Die Tschechische Republik mag bei dieser 15. (Geburtstags-)Ausgabe des Festivals „focus country“ zu sein, das eigentliche Augenmerk aber liegt auf der Ukraine beziehungsweise auf Filmen von ukrainischen RegisseurInnen und ProduzentInnen. Zwei von diesen insgesamt sieben Filmen (und sechs Kurzfilmen) – die Wettbewerbsfilme „How is Katia?“ von Christina Tynkevych und „107 Mothers“ von Peter Kerekes – hatten wir an dieser Stelle schon besprochen (siehe Tageblatt-Ausgabe vom 13. Oktober). Alle diese Filme verbindet der Wunsch nach so etwas, was einem normalen Leben nahekommt. Eine Normalität, die allen Beteiligten verwehrt bleibt.
Trostloser Antikriegsfilm
Einer der stärksten Beiträge bisweilen beim diesjährigen CinEast ist Maryna Er Gorbachs „Klondike“. Der Gewinner eines Regiepreises beim Sundance Festival sowie Preisgewinner bei der Berlinale zu Beginn des Jahres nimmt einen mit auf eine Reise ins Donezbecken, in unmittelbarer Nähe zur ukrainisch-russischen Grenzregion. Im Juli 2014 erwartet das Paar Irka und Tolik sein erstes gemeinsames Kind. Die hochschwangere Frau weigert sich, den kleinen Hof zu verlassen, nachdem separatistische Kräfte das russische Militär mit offenen Armen empfangen haben. Das Leben in diesem Krisengebiet gestaltet sich aber immer schwieriger. Gleich zu Beginn des Films schlägt eine Rakete auf Irkas und Toliks Haus ein und reißt eine komplette Seitenwand auf, wodurch sich ein ungewollter Panoramablick auf weitläufige Landschaften in Richtung Grenze öffnet. Dass den Bewohnern der Himmel auf den Kopf zu fallen scheint, wird zu einer neuen Routine in deren Leben. Eines Tages sind es aber nicht Raketen, sondern die Trümmer eines unter mysteriösen Umständen abgeschossenen Passagierflugzeuges der Malaysia Airlines, die zerstreut abstürzen.
Er Gorbach inszeniert einen unerbittlich trostlosen Antikriegsfilm, den man in dieser Art aus dem ukrainischen Kriegsgebiet noch nicht gesehen hat. Die Regisseurin bleibt konsequent bei ihren Protagonisten, die ihr Dasein zwischen den bis auf die Zähne bewaffneten Fronten erleben. Ihre Inszenierung aus langsamen Kameraschwenks bekräftigt die Attitüde Irkas, die eine Ruhe und Normalität in diesem Ausnahmezustand bewahren will. Der Feminismus, den die Regisseurin mit ihrem Film einfordert, riskiert aber von einem der unerträglichsten Filmenden der letzten Jahre erstickt zu werden. „Klondike“ ist definitiv nichts für schwache Nerven.
Nicht erst seit Februar dieses Jahres
Dass der Krieg nicht erst im Februar dieses Jahres angefangen hat, wird auch in Volodymyr Tykhyys „One Day in Ukraine“ klar. „14. März 2022 – der 2944. Tag des Russland-Ukraine-Krieges“ ist auf einer Schrifttafel zu lesen. Tykhyys Dokumentarfilm, der in den vergangenen Monaten produziert wurde, gibt einen Einblick in das Leben in Kiew zu Beginn des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine. Auch hier stehen Menschen im Mittelpunkt, die „ihren Beitrag leisten“ und ein Leben zu leben versuchen. „One Day in Ukraine“ behält trotz seines dokumentarischen Stils eine Distanz, die den Unterschied von Momentaufnahme und Propaganda verwischen lässt.
„Butterfly Vision“ von Maksym Nakonechnyi und „Klondike“ verbindet nicht nur der Donbass. Die Protagonistin in Ersterem kommt am Anfang des Films nach monatelanger russischer Gefangenschaft frei. Die Luftaufklärerin der ukrainischen Armee wird mit heroischem Pomp zu Hause empfangen und mit Erleichterung von Mann und Mutter willkommen geheißen. Bei medizinischen Tests stellt sich aber heraus, dass die junge Frau schwanger ist. Rita Burkovska als Lilia trägt einen Film in einer undramatischen Introspektion auf ihren Schultern, der eigentlich alles andere als ein solches beschrieben werden kann. Psychologisches Familiendrama und Gesellschaftsporträt zugleich, verbunden in einer Hybridform aus Schulterkamera, Flashbacks und Drohnen-Aufnahmen, lässt der Film überraschend kalt, obwohl ihm eigentlich nichts vorzuwerfen ist.
„Pamfir“ von Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk, eine luxemburgische Koproduktion, spielt sich im Westen der Ukraine an der rumänischen Grenze ab. Der Film, der bei den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere feierte, hat nicht den aktuellen Konflikt oder dessen Beginn im Jahr 2014 als Hintergrund. Ein Vater – dessen Figur, der titelgebende Spitzname verliehen wurde – muss, nachdem sein jugendlicher Sohn versehentlich die Dorfkirche niedergebrannt hat, einen letzten Schmuggeljob annehmen. Mit den Codes des Kriminalfilms bringt Sukholytkyy-Sobchuk einen hoch ästhetisierten Film zutage, der alleine schon wegen seiner Farben hervorsticht. Die furiose Regiehand mit ausholenden Einstellungen und die brachiale Energie von allen Beteiligten vor und hinter der Kamera machen so manch dramaturgische Schwäche wett.
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