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Alain spannt den BogenDrei Konzerte der besonderen Art

Alain spannt den Bogen / Drei Konzerte der besonderen Art
Der Starpianist Lang Lang zeigte, wie schon in seinen Goldbergvariationen vor einem halben Jahr an gleicher Stelle, dass er hörbar gereift und dazu bereit ist, sich einem gemeinsamen Konzept unterzuordnen

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Es war ein Konzert mit Wow-Effekt. Man kann sich nur begeistert über das Zusammentreffen zweier so unterschiedlicher Musiker äußern, wie das der chinesische Pianist und Weltstar Lang Lang und der Ausnahmedirigent Paavo Järvi sind.

Lang Lang, bekannt für seine oft zu manierierten und hyperexpressiven, nahe am Kitsch angesiedelten Interpretationen, ist musikalisch das genaue Gegenteil des minutiös und präzis arbeitenden Paavo Järvi, der punktgenau und extrem dynamisch aller Überschwänglichkeit aus dem Wege geht. Demnach streng und akzentreich war auch die lange Orchestereinleitung zu Beethovens 3. Klavierkonzert und man fragte sich, wie Lang Lang darauf antworten würde. Nun, der Starpianist zeigte, wie schon in seinen Goldbergvariationen vor einem halben Jahr an gleicher Stelle, dass er hörbar gereift und dazu bereit ist, sich einem gemeinsamen Konzept unterzuordnen. Auf die Strenge und Agogik, mit der Järvi seine tolle Deutsche Kammerphilharmonie Bremen aufspielen ließ, antwortete Lang Lang mit der gleichen Dynamik und Spielfreude, ja seine kindliche Freude am Experimentieren war unüberhörbar. So erlebte das Publikum einen bis in die Extreme ausgeloteten Kopfsatz, der von Järvi gekonnt geleitet und in Szene gesetzt wurde und dem Lang Lang mit höchster Präzision und Musikalität antwortete.

Im zweiten Satz Largo übernahm dann Lang Lang die Führung. Das Tempo wurde moderierter, die Expressivität gewann an Präsenz und das betörend schöne Spiel des Pianisten ließ keine Wünsche offen. Järvi dagegen folgte nun der eingeschlagenen Interpretationslinie und ließ die Musik fließen und atmen, bis sich dann beide zu einem regelrechten Schlagabtausch im Finale wiederfanden. Das war große Kunst und das war Musizieren auf allerhöchster Ebene. Als Zugabe spielte Lang Lang anschließend noch Rainbow-Connection von Jim Henson aus dem Muppets-Film. Das Konzert hatte mit Haydns Symphonie Nr. 96 begonnen. Stringenz, Präzision und höchste Musizierlust machten auch diese zu einem wirklichen Hörgenuss. Järvi schärfte die Kanten, entstaubte Haydn mit flotten Tempi und markanten Akzenten und zeigte so ganz nebenbei, dass seine Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein wirkliches Top-Orchester ist.

Ein ganz besonderes Erlebnis war dann auch Järvis Interpretation der 2. Symphonie von Johannes Brahms, die weit über ein professionelles Durchmusizieren hinausging. Die Musik stellte sich dabei selbst infrage, Järvi wechselte oft die Tempi, unterbrach den Fluss der Melodie und ließ uns dabei ganz neue Stimmungen, Melodienfetzen und Mittelstimmen heraushören. Die Musiker der Kammerphilharmonie Bremen spielten auf der Stuhlkante, niemand war zurückgelehnt, und das spiegelte sich dann in einem konzentrierten, absolut virtuosen und bestens aufeinander abgestimmten Spiel wider. Das Publikum quittierte diese außergewöhnliche Lesart mit lautstarkem Jubel, sodass die Musiker sich es nicht nehmen ließen, noch einen Ungarischen Tanz von Brahms als Zugabe zu spielen. Fazit: Ein hundertprozentiges Konzerterlebnis, bei dem nicht nur alles stimmte, sondern zudem drei individuelle und ausgearbeitete Interpretationskonzepte musikalische Routine in die Schranken wiesen.

Feinster Chorgesang und ein OPL in Hochform

Ein Brahms-Konzert der besonderen Art bescherte uns auch Sir John Eliot Gardiner, diesjähriger Artist in residence der Philharmonie, am Folgetag. Zusammen mit seinem Monteverdi Choir präsentierte er uns diverse Chöre von Johannes Brahms. Das Programm, das ebenfalls am Freitag gespielt wurde, begann mit Nänie op. 82, wobei der Chor vom Orchestre Philharmonique du Luxembourg begleitet wurde. Es folgten die Vier Gesänge op. 17 für Frauenchor, begleitet von zwei Hörnern und Harfe sowie der gemischte A-cappella Chor Fünf Lieder op. 104, dem Gardiner noch Ich schwing mein Horn ins Jammertal für Männerchor anfügte, und den Abschluss machte der Gesang der Parzen op. 89. Gardiner hatte somit Chöre aus verschieden Gattungen zusammengestellt, die einen recht guten Eindruck von Brahms’ Chorschaffen vermittelten.

Der Monteverdi Choir, der mit 38 Sängern und Sängerinnen angetreten war, bot uns dann auch Chorgesang auf allerhöchstem Niveau. Phrasierung, Klangentwicklung, Musikalität, Textverständlichkeit – hier stimmte alles. Vor allem waren es der natürliche Atem, der die Interpretation des Monteverdi Choir auszeichnete, und die Kunst, besondere und immer passende Klangfarben für jede Stimmung zu finden. Da das volle Orchester nur bei Nänie und dem Gesang der Parzen beteiligt war, hatte man noch Antonin Dvoraks 5. Symphonie eingeschoben. Dies war ein sehr glücklicher Griff, denn dieses heitere und virtuose Werk entpuppte sich als ideales Pendant zu den doch eher düsteren und traurigen Chören im ersten Teil und bereitete den äußerst dramatischen Gesang der Parzen optimal vor. Dabei muss man aber betonen, dass Gardiner und das exzellent aufgelegte OPL (mit Nelly Guignard als Kandidatin für den freigewordenen Konzertmeisterposten?) das Werk bis ins Detail vorbereitet hatten und ihnen somit eine in jeder Hinsicht makellos-virtuose Interpretation gelang. Gardiner schien sehr gut mit dem Orchester zurechtzukommen, der Klang war luftig und offen, der Atem natürlich und das Spiel konzentriert und präzise, und man hatte den Eindruck, als spielten die Musiker mit größter Begeisterung unter der Leitung dieses hochkarätigen Gastdirigenten.

Beste Spielkultur mit dem Modigliani-Quartett

Begeisterung und Spielfreude waren auch das Motto des Modigliani Quartetts, das am Montag Streichquartette von Beethoven und Schubert spielte. Mustergültig die Interpretation von Beethovens 6. Streichquartett, dessen letzter Satz La Malinconia einen manisch-depressiven Zustand musikalisch realistisch beschreibt. Hervorragend und authentisch vorgetragen, besonders weil der Jubel des Finales eher maschinell und aufgesetzt als wirklich glücklich und frei interpretiert dargeboten wurde. So wie das bei der Melancholie auch in der Tat ist.

Mit Schubert haben sich die vier Musiker einen exzellenten Namen gemacht und ihre Gesamteinspielung der Schubert-Quartette ist absolut empfehlenswert. So erlebte das Publikum mit den Quartetten Nr. 7 und 15 sehr minutiös ausgearbeitete Interpretationen, denen es nicht an Leichtigkeit und Spieldrang fehlte, die vor allem aber ein wunderbares Teamwork in Sachen Dialoge, Phrasierung und Kommunikation waren. Dabei wurde das leichte D-Dur-Quartett mit der gleichen Raffinesse und Ernsthaftigkeit angegangen wie das große G-Dur-Quartett mit seiner Spieldauer von 45 Minuten, bei denen Schubert sich quasi von allen strukturellen Zwängen freimacht und ein hochemotionales Werk komponiert, das zu den wirklich großen Werken der Kammermusik gezählt werden muss. Die Spielkultur und Musikalität, der Ausdruck und die spieltechnische Brillanz des Modigliani-Quartetts weisen dieses Ensemble als eines der besten seiner Generation aus.