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Lust zu lesenVon Land und Leuten

Lust zu lesen / Von Land und Leuten
Eric Pfeil Foto: Alfred Jansen/Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG

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Immer mal wieder kam italienische Popmusik in Mode. Und möglicherweise steht die nächste Welle kurz bevor, sodass „Azzurro“, Eric Pfeils dezidiert subjektive Auswahl an Liedgut Made in Italy, nach Meinung unseres Autors Thomas Koppenhagen als unterhaltsame Einstimmung gelesen werden kann.

Bereits vor über zwanzig Jahren regte sich der österreichische Schriftsteller Wolfgang Pollanz über die allseits grassierende Listen-Manie auf. Die drei liebsten Tonträger, Bücher oder Menschen für die einsame Insel, die 100 wichtigsten Kunstwerke, Kochrezepte, Rockgruppen, Restaurants … und nun also auch „Azzurro, Mit 100 Songs durch Italien“ des deutschen Publizisten Eric Pfeil. Dass er seinen Buchtitel von Adriano Celentanos größtem internationalen Hit ausborgte, kann man nicht auf den Geschmack des Autors zurückführen, sondern ergibt sich geradezu empirisch aus der Materie: „Azzurro“ ist der Song, an den sich die meisten Menschen zumindest in der westlichen Hemisphäre erinnern, wenn man sie auf italienische Popmusik anspricht.

Eng verknüpft Eric Pfeil seine Kindheitserinnerungen mit dem Phänomen. In den Sommerferien fuhr er mit den Eltern über die Alpen in eine völlig andere Welt: „Das Land erschien mir wie ein riesiger, von der Sonne verwöhnter Vergnügungspark.“ Pfeil streicht die Theatralik heraus, denn „nichts war offenbar Selbstzweck, sondern auch immer Schauspiel für andere“ und damit mental geradezu Lichtjahre von der tristen Sachlichkeit seiner Heimatstadt Bergisch-Gladbach entfernt.

Mit dem Erwachsenwerden verwandelte sich die Italien-Begeisterung des Autors, wurde die Grau-Bunt-Wahrnehmung im Vergleich von Deutschland und Italien ausdifferenziert. Was nicht zuletzt mit dem Auftauchen von gefährlichen Knallchargen wie Silvio Berlusconi zu tun hat, der sozusagen das Janusköpfige an der Faszination, die Italien vor allem für Nord- und Mitteleuropäer ausmacht, repräsentiert.

Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte der „canzone Italiana“ als nationales Kulturgut mit „ihren Ausprägungen und Spielarten vom neapolitanischen Lied über die alljährlich beim ,Festival di Sanremo‘ dargereichten Sommerhits“ stürzt sich Pfeil auf seine Lieblinge – wobei er einen gewissen Hang zu den tragischen Figuren der Szene wie Rino Gaetano (der nach einem Autounfall starb, weil die Notaufnahmen mehrerer Krankenhäuser in Rom sich weigerten, ihn aufzunehmen) oder Mia Martini (die sich 1995 mit einer Überdosis Kokain das Leben nahm) zeigt. Ansonsten sind neben dem bereits erwähnten Celentano alle wesentlichen Stars des italienischen Schlagers und der Rockmusik mit einem oder gleich mehreren exemplarischen Stücken vertreten, ebenso die sogenannten „Cantautori“, eine Spielart der angelsächsischen Singer/Songwriter, die in Italien Mitte der 1970er vom linken Rand der Unterhaltungsbranche in den Mittelpunkt rückten. Die Aufzählung kann mit Domenico Modugno beginnen, der für die Herausbildung einer spezifisch italienischen Popmusik mindestens so wichtig war wie die dramatische Sängerin Mina, deren von Ennio Morricone geschriebener und halsbrecherisch arrangierter Song „Se Telefonando“ 1966 zeigte, dass Schlager nicht bloß Ohrwurm und Wegwerfprodukt zu sein braucht.

Weil der Autor über Populärmusik sowohl den deskriptiven wie analytischen Rückschluss auf Land und Leute versucht, kann man seinen Ansatz als möglicherweise zu kurz gegriffen kritisieren. Oder aber in der Argumentation auf das spezielle Verhältnis der durchschnittlichen Italienerinnen und Italiener zu ihrer landeseigenen Musik verweisen, das in der Tat sehr speziell, sehr innig ist. Du bist, was du hörst – diese These würde sich anbieten, doch Eric Pfeil verweigert sich dieser verkürzten Ansicht – auch, indem er immer wieder mit Camp-Attitüde versucht, seinem Sujet die gewichtige Schlagseite zu nehmen: Alles nebensächlich, und gerade deshalb durch den Alltag tragend.

Eric Pfeil<br />
Azzurro. Mit 100 Songs durch Italien.<br />
Verlag Kiepenheuer und Witsch,<br />
Köln 2022<br />
368 S., 14,00 Euro
Eric Pfeil
Azzurro. Mit 100 Songs durch Italien.
Verlag Kiepenheuer und Witsch,
Köln 2022
368 S., 14,00 Euro