Der Erste Weltkrieg liegt nun schon über ein Jahrhundert zurück, und noch immer schreiben Historiker Bücher, in denen sie über die Ursachen des Krieges diskutieren. Begann er, weil ein serbischer Terrorist 1914 einen österreichischen Erzherzog ermordete, oder hatte er mehr mit der aufsteigenden deutschen Macht zu tun, die Großbritannien herausforderte, oder gar mit dem wachsenden Nationalismus in ganz Europa? Die Antwort lautet: „All das und noch mehr.“ Aber der Krieg war nicht unvermeidbar, bis er im August 1914 tatsächlich ausbrach; und selbst dann war es nicht unumgänglich, dass vier Jahre des Gemetzels folgen mussten.
Um die Dinge zu klären, ist es hilfreich, zwischen tieferen, mittleren und direkten Ursachen zu unterscheiden. Denken Sie an das Entfachen eines Lagerfeuers: Das Aufschichten der Holzscheite ist eine tiefe Ursache; das Hinzufügen von Holz und Papier ist eine Zwischenursache; und das Anzünden eines Streichholzes ist eine auslösende Ursache. Aber selbst dann muss ein Lagerfeuer nicht zwingend brennen. Ein starker Wind kann das Streichholz auslöschen oder ein plötzlicher Regenschauer kann das Holz durchnässen. Wie der Historiker Christopher Clark in seinem Buch „Die Schlafwandler“ über die Anfänge des Ersten Weltkriegs feststellt, war 1914 „die Zukunft noch offen – gerade noch“. Schlechte politische Entscheidungen waren eine entscheidende Ursache für die Katastrophe.
Eine „spezielle Militäroperation“
In der Ukraine war es zweifellos Putin, der das Feuer entfachte und am 24. Februar den russischen Truppen den Befehl zum Einmarsch gab. Wie die Führer der Großmächte im Jahr 1914 glaubte er wahrscheinlich, dass es sich um einen kurzen, scharfen Krieg mit einem schnellen Sieg handeln würde, ähnlich wie bei der Übernahme Budapests durch die Sowjetunion im Jahr 1956 oder Prags im Jahr 1968. Luftlandetruppen würden den Flughafen erobern und vorrückende Panzer würden Kiew einnehmen, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj absetzen und eine Marionettenregierung einsetzen.
Dem russischen Volk erklärte Putin, er führe eine „spezielle Militäroperation“ durch, um die Ukraine zu „entnazifizieren“ und die NATO daran zu hindern, an die Grenzen Russlands vorzudringen. Aber angesichts der Tatsache, wie sehr er sich verkalkuliert hat, müssen wir uns fragen, was er sich wirklich dabei gedacht hat. Wir wissen aus Putins eigenen Schriften und von verschiedenen Biografen wie Philip Short, dass die Zwischenursache in der Weigerung lag, die Ukraine als legitimen Staat zu betrachten.
Putin beklagte den Zusammenbruch der Sowjetunion, der er als KGB-Offizier gedient hatte, und aufgrund der engen kulturellen Verwandtschaft zwischen der Ukraine und Russland hielt er die Ukraine für einen Scheinstaat. Außerdem sei die Ukraine undankbar gewesen und habe Russland mit dem Maidan-Aufstand 2014, bei dem eine prorussische Regierung abgesetzt wurde, und der Vertiefung der Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union beleidigt.
Warum nicht noch weiter gehen?
Putin möchte das wiederherstellen, was er die „russische Welt“ nennt, und da er sich dem Alter von 70 Jahren nähert, denkt er über sein Vermächtnis nach. Frühere Herrscher wie Peter der Große hatten die russische Macht zu ihrer Zeit ausgebaut. Angesichts der schwachen westlichen Sanktionen, die auf Russlands Einmarsch in die Ukraine und die Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 folgten, scheint sich Putin gefragt zu haben: Warum nicht noch weiter gehen?
Die Aussicht auf eine NATO-Erweiterung war ein weniger wichtiger Zwischengrund. Der Westen richtete zwar einen NATO-Russland-Rat ein, durch den russische Offiziere an einigen NATO-Tagungen teilnehmen konnten, aber Russland erwartete mehr von diesen Beziehungen. Und obwohl der amerikanische Außenminister James Baker seinem russischen Amtskollegen Anfang der 90er-Jahre erklärt hatte, dass die NATO nicht erweitert würde, haben Historiker wie Mary Sarotte gezeigt, dass Baker seine mündliche Zusicherung, die nie in einer schriftlichen Vereinbarung niedergelegt war, schnell wieder zurücknahm.
Als US-Präsident Bill Clinton in den 1990er-Jahren mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin über dieses Thema sprach, akzeptierte Russland zähneknirschend eine gewisse NATO-Erweiterung, aber die Erwartungen auf beiden Seiten waren unterschiedlich. Die Entscheidung der NATO auf ihrem Gipfel 2008 in Bukarest, die Ukraine (und Georgien) als potenzielle künftige Mitglieder aufzunehmen, bestätigte lediglich Putins schlimmste Erwartungen an den Westen.
Doch auch wenn der NATO-Beschluss von 2008 unangebracht gewesen sein mag, fand Putins Gesinnungswandel schon vorher statt. Zwar hatte er den Vereinigten Staaten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geholfen, aber seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 zeigt, dass er dem Westen schon vor dem Bukarester Gipfel ablehnend gegenüberstand. Die Möglichkeit einer NATO-Erweiterung war also nur eine von mehreren Zwischenursachen – eine, die kurz nach dem Bukarester Gipfel durch die Ankündigung Frankreichs und Deutschlands, ein Veto gegen die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine einzulegen, an Bedeutung verlor.
Ein unvermeidlicher Flächenbrand?
Hinter all dem standen die entfernten oder tieferen Ursachen, die auf das Ende des Kalten Krieges folgten. Anfänglich herrschte sowohl in Russland als auch im Westen großer Optimismus, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion den Aufstieg von Demokratie und Marktwirtschaft in Russland ermöglichen würde. In den ersten Jahren bemühten sich Clinton und Jelzin ernsthaft um die Entwicklung guter Beziehungen. Doch während die USA der Regierung des russischen Ministerpräsidenten Jegor Gaidar Kredite und Wirtschaftshilfe gewährten, erwarteten die Russen viel mehr.
Außerdem war nach sieben Jahrzehnten zentraler Wirtschaftsplanung eine plötzliche Umwandlung in eine florierende Marktwirtschaft unmöglich. Der Versuch, solch rasche Veränderungen durchzusetzen, musste zwangsläufig zu enormen Verwerfungen, Korruption und extremer Ungleichheit führen. Während einige Oligarchen und Politiker durch die rasche Privatisierung von Staatsbesitz steinreich wurden, sank der Lebensstandard der meisten Russen.
Im Februar 1997 berichtete der Gouverneur von Nischni Nowgorod, Boris Nemzow (der später einem Attentat zum Opfer fiel), in Davos, dass in Russland niemand Steuern zahle und die Regierung mit der Zahlung von Löhnen im Rückstand sei. Im September desselben Jahres erklärte der liberale Parlamentarier Grigorij Jawlinski bei einem Abendessen an der Harvard Kennedy School, dass „Russland völlig korrupt sei und Jelzin keine Vision habe“. Unfähig, die politischen Folgen der sich verschlechternden Wirtschaftslage zu bewältigen, wandte sich der gesundheitlich angeschlagene Jelzin an Putin, den unbekannten Ex-KGB-Agenten, um die Ordnung wiederherzustellen.
All dies bedeutet nicht, dass der Krieg in der Ukraine unvermeidbar war. Aber er wurde mit der Zeit immer wahrscheinlicher. Am 24. Februar 2022 verrechnete sich Putin und zündete das Streichholz an, das den Flächenbrand auslöste. Es ist schwer vorstellbar, dass er es wieder löschen kann.
* Joseph S. Nye, Jr. ist Professor an der Harvard-Universität und ehemaliger stellvertretender US-Verteidigungsminister. Sein Buch „Do Morals Matter? Presidents and Foreign Policy from FDR to Trump“ erschien 2020 bei Oxford University Press.
Übersetzung: Andreas Hubig
Copyright: Project Syndicate, 2022
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Majo, dann zitt iech mol d'Fakten vun der Kuba Kris mat den geplangten Stationnementer vun Sowjet-Rakéiten op Kuba op d'Long.
Dat hei ass dat selwecht, juste emgedréint. An et kann een wonneren din, dass de Putin sech dat schleichend Oprüsten vun den US an der Nato Richtung Russland esou lang nogekuckt huet.
Deemols, virun 60 Joer, den 27. Oktober sin de Kennedy an den Chruschtschow sech eens gin, fir Kuba net unzegräifen, d'US Rakéiten aus der Türkei ofzezéien an en contrepartie keng russesch Rakéiten op Kuba ze stationnéieren.
Leider fehlt et haut un dem politeschen Wëllen fir eng ähnlech Léisung ze fannen...